O cara, cara Maria vale! Vale cara Maria! Cara, cara Maria vale!
Es war ein großer Dichter, der dies auf den Grab- stein einer geliebten Abgeschiedenen setzte, er hatte große, gewaltige, herzerschütternde Gesänge gesungen; hier wußte er nichts weiter als diese drei Worte, herzzerreißend wiederkehrend. Und jenes: Morgen, dämmerte. Das Leben der großen Stadt begann wieder seinen gewöhn- lichen Gang; der Reichthum gähnte auf seinen Kissen, oder hatte auch wohl das Herz ebenso schwer, als die Armuth, die jetzt aus ihrem dunkeln Winkel huschte, um einen neuen Ring der Kette ihres Leidens, einen neuen Tag ihrem Dasein anzuschmieden. Die Gewerbe faßten ihr Handwerkszeug; die großen Maschinen begannen wie- der zu hämmern und zu rauschen; die Wagen rollten in den Straßen und der Taufzug begegnete dem Todten- wagen, denn es war nicht die einzige Leiche drüben in der kleinen Kammer, die in der menschenvollen Stadt im letzten Schlaf ausgestreckt lag. --
Ich ging hinüber. Der Kesselschmidt Marquart -- er war damals noch jünger und kräftiger als heute -- hatte sein Hämmern eingestellt und lehnte traurig in der niedrigen Thür, die in seine unterirdische Werkstatt hin-
Am 3. December. —
O cara, cara Maria vale! Vale cara Maria! Cara, cara Maria vale!
Es war ein großer Dichter, der dies auf den Grab- ſtein einer geliebten Abgeſchiedenen ſetzte, er hatte große, gewaltige, herzerſchütternde Geſänge geſungen; hier wußte er nichts weiter als dieſe drei Worte, herzzerreißend wiederkehrend. Und jenes: Morgen, dämmerte. Das Leben der großen Stadt begann wieder ſeinen gewöhn- lichen Gang; der Reichthum gähnte auf ſeinen Kiſſen, oder hatte auch wohl das Herz ebenſo ſchwer, als die Armuth, die jetzt aus ihrem dunkeln Winkel huſchte, um einen neuen Ring der Kette ihres Leidens, einen neuen Tag ihrem Daſein anzuſchmieden. Die Gewerbe faßten ihr Handwerkszeug; die großen Maſchinen begannen wie- der zu hämmern und zu rauſchen; die Wagen rollten in den Straßen und der Taufzug begegnete dem Todten- wagen, denn es war nicht die einzige Leiche drüben in der kleinen Kammer, die in der menſchenvollen Stadt im letzten Schlaf ausgeſtreckt lag. —
Ich ging hinüber. Der Keſſelſchmidt Marquart — er war damals noch jünger und kräftiger als heute — hatte ſein Hämmern eingeſtellt und lehnte traurig in der niedrigen Thür, die in ſeine unterirdiſche Werkſtatt hin-
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Am 3. December. —
O cara, cara Maria vale!
Vale cara Maria!
Cara, cara Maria vale!
Es war ein großer Dichter, der dies auf den Grab-
ſtein einer geliebten Abgeſchiedenen ſetzte, er hatte große,
gewaltige, herzerſchütternde Geſänge geſungen; hier
wußte er nichts weiter als dieſe drei Worte, herzzerreißend
wiederkehrend. Und jenes: Morgen, dämmerte. Das
Leben der großen Stadt begann wieder ſeinen gewöhn-
lichen Gang; der Reichthum gähnte auf ſeinen Kiſſen,
oder hatte auch wohl das Herz ebenſo ſchwer, als die
Armuth, die jetzt aus ihrem dunkeln Winkel huſchte, um
einen neuen Ring der Kette ihres Leidens, einen neuen
Tag ihrem Daſein anzuſchmieden. Die Gewerbe faßten
ihr Handwerkszeug; die großen Maſchinen begannen wie-
der zu hämmern und zu rauſchen; die Wagen rollten in
den Straßen und der Taufzug begegnete dem Todten-
wagen, denn es war nicht die einzige Leiche drüben in
der kleinen Kammer, die in der menſchenvollen Stadt
im letzten Schlaf ausgeſtreckt lag. —
Ich ging hinüber. Der Keſſelſchmidt Marquart —
er war damals noch jünger und kräftiger als heute —
hatte ſein Hämmern eingeſtellt und lehnte traurig in der
niedrigen Thür, die in ſeine unterirdiſche Werkſtatt hin-
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/37>, abgerufen am 23.02.2025.
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