Kommens. Diese sind denn auch mit die Anhaltepunkte, an welche ich bei meinem Rückgedenken den stellenweis unterbrochenen Faden meiner Chronik wieder anknüpfe.
Einem Wässerchen will ich diese Chronik vergleichen, einem Wässerchen, welches sich aus dem Schooß der Erde mühevoll losringt und anfangs trübe, noch die Spu- ren seiner dunklen, schmerzenvollen Geburtsstätte an sich trägt. Bald aber wird es in das helle Sonnenlicht sprudeln, Blumen werden sich in ihm spiegeln, Vögel- chen werden ihre Schnäbel in ihm netzen. An dieser Stelle werdet Ihr es fast zu verlieren glauben, an je- ner wird es fröhlich wieder hervorhüpfen. Es wird seine eigene Sprache reden in wagehalsigen Sprüngen über Felsen, im listigen Suchen und Finden der Auswege -- -- Gott bewahre es nur vor dem Verlaufen im Sande! ...
So fahre ich fort:
Es war, wie gesagt, ein trauriger unheimlicher Tag, aber nicht er war es, der damals so schwer auf meine Seele drückte. An jenem Tage sah ich von dem Fenster dort drüben, die Fenster der Kammer meiner jetzigen Wohnung weit geöffnet trotz der Kälte, trotz dem Regen. Die weißen Vorhänge waren herabgelassen und an den Seiten befestigt, damit der Wind, welcher sie heftig hin und her bewegte, sie nicht abrisse.
Kommens. Dieſe ſind denn auch mit die Anhaltepunkte, an welche ich bei meinem Rückgedenken den ſtellenweis unterbrochenen Faden meiner Chronik wieder anknüpfe.
Einem Wäſſerchen will ich dieſe Chronik vergleichen, einem Wäſſerchen, welches ſich aus dem Schooß der Erde mühevoll losringt und anfangs trübe, noch die Spu- ren ſeiner dunklen, ſchmerzenvollen Geburtsſtätte an ſich trägt. Bald aber wird es in das helle Sonnenlicht ſprudeln, Blumen werden ſich in ihm ſpiegeln, Vögel- chen werden ihre Schnäbel in ihm netzen. An dieſer Stelle werdet Ihr es faſt zu verlieren glauben, an je- ner wird es fröhlich wieder hervorhüpfen. Es wird ſeine eigene Sprache reden in wagehalſigen Sprüngen über Felſen, im liſtigen Suchen und Finden der Auswege — — Gott bewahre es nur vor dem Verlaufen im Sande! …
So fahre ich fort:
Es war, wie geſagt, ein trauriger unheimlicher Tag, aber nicht er war es, der damals ſo ſchwer auf meine Seele drückte. An jenem Tage ſah ich von dem Fenſter dort drüben, die Fenſter der Kammer meiner jetzigen Wohnung weit geöffnet trotz der Kälte, trotz dem Regen. Die weißen Vorhänge waren herabgelaſſen und an den Seiten befeſtigt, damit der Wind, welcher ſie heftig hin und her bewegte, ſie nicht abriſſe.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0034"n="24"/>
Kommens. Dieſe ſind denn auch mit die Anhaltepunkte,<lb/>
an welche ich bei meinem Rückgedenken den ſtellenweis<lb/>
unterbrochenen Faden meiner Chronik wieder anknüpfe.</p><lb/><p>Einem Wäſſerchen will ich dieſe Chronik vergleichen,<lb/>
einem Wäſſerchen, welches ſich aus dem Schooß der Erde<lb/>
mühevoll losringt und anfangs <hirendition="#g">trübe</hi>, noch die Spu-<lb/>
ren ſeiner dunklen, ſchmerzenvollen Geburtsſtätte an ſich<lb/>
trägt. Bald aber wird es in das <hirendition="#g">helle</hi> Sonnenlicht<lb/>ſprudeln, Blumen werden ſich in ihm ſpiegeln, Vögel-<lb/>
chen werden ihre Schnäbel in ihm netzen. An dieſer<lb/>
Stelle werdet Ihr es faſt zu verlieren glauben, an je-<lb/>
ner wird es fröhlich wieder hervorhüpfen. Es wird ſeine<lb/>
eigene Sprache reden in wagehalſigen Sprüngen über<lb/>
Felſen, im liſtigen Suchen und Finden der Auswege —<lb/>— Gott bewahre es nur vor dem Verlaufen im<lb/>
Sande! …</p><lb/><p>So fahre ich fort:</p><lb/><p>Es war, wie geſagt, ein trauriger unheimlicher Tag,<lb/>
aber nicht er war es, der damals ſo ſchwer auf meine<lb/>
Seele drückte. An jenem Tage ſah ich von dem Fenſter<lb/>
dort drüben, die Fenſter der Kammer meiner jetzigen<lb/>
Wohnung weit geöffnet trotz der Kälte, trotz dem Regen.<lb/>
Die weißen Vorhänge waren herabgelaſſen und an den<lb/>
Seiten befeſtigt, damit der Wind, welcher ſie heftig hin<lb/>
und her bewegte, ſie nicht abriſſe.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[24/0034]
Kommens. Dieſe ſind denn auch mit die Anhaltepunkte,
an welche ich bei meinem Rückgedenken den ſtellenweis
unterbrochenen Faden meiner Chronik wieder anknüpfe.
Einem Wäſſerchen will ich dieſe Chronik vergleichen,
einem Wäſſerchen, welches ſich aus dem Schooß der Erde
mühevoll losringt und anfangs trübe, noch die Spu-
ren ſeiner dunklen, ſchmerzenvollen Geburtsſtätte an ſich
trägt. Bald aber wird es in das helle Sonnenlicht
ſprudeln, Blumen werden ſich in ihm ſpiegeln, Vögel-
chen werden ihre Schnäbel in ihm netzen. An dieſer
Stelle werdet Ihr es faſt zu verlieren glauben, an je-
ner wird es fröhlich wieder hervorhüpfen. Es wird ſeine
eigene Sprache reden in wagehalſigen Sprüngen über
Felſen, im liſtigen Suchen und Finden der Auswege —
— Gott bewahre es nur vor dem Verlaufen im
Sande! …
So fahre ich fort:
Es war, wie geſagt, ein trauriger unheimlicher Tag,
aber nicht er war es, der damals ſo ſchwer auf meine
Seele drückte. An jenem Tage ſah ich von dem Fenſter
dort drüben, die Fenſter der Kammer meiner jetzigen
Wohnung weit geöffnet trotz der Kälte, trotz dem Regen.
Die weißen Vorhänge waren herabgelaſſen und an den
Seiten befeſtigt, damit der Wind, welcher ſie heftig hin
und her bewegte, ſie nicht abriſſe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/34>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.