Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.Frühling, nicht blühender Sommer, sondern eine stür- Plötzlich springt er auf das Fenster zu, reißt den 2
Frühling, nicht blühender Sommer, ſondern eine ſtür- Plötzlich ſpringt er auf das Fenſter zu, reißt den 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0027" n="17"/> Frühling, nicht blühender Sommer, ſondern eine ſtür-<lb/> miſche, dunkle Herbſtnacht; — vielleicht wird eine ähn-<lb/> liche auf den heutigen Tag folgen. — In dieſer Nacht<lb/> ſitzt hoch oben in einem kleinen, mehr drei- als vier-<lb/> eckigen Dachſtübchen ein Student vor einem gewaltigen<lb/> ſchweinsledernen Folianten, über welchen er hinwegſtarrt.<lb/> Wo wandern ſeine Gedanken? Draußen jagt der Wind<lb/> die Wolken vor dem Monde her, rüttelt an den Dach-<lb/> ziegeln, ſchüttelt den zerlumpten Schlafrock, welchen der<lb/> erfinderiſche Muſenſohn, um ſich und ſeine Studien ganz<lb/> von der Außenwelt abzuſperren vor dem Fenſterkreuz feſt-<lb/> genagelt hat, — kurz geberdet ſich ſo unbändig, wie<lb/> nur ein Wind, der den Auftrag hat, das letzte Laub von<lb/> den Bäumen in Gärten und Wäldern zu reißen, ſich<lb/> geberden kann. Lange hat der Muſenſohn in tiefe Ge-<lb/> danken verſunken dageſeſſen; jetzt ſpringt er plötzlich auf,<lb/> und dreht mir das Geſicht zu, — — — das bin ich<lb/> wieder. — Johannes Wachholder, ein Student der Phi-<lb/> loſophie in der großen Haupt- und Univerſitätsſtadt.<lb/> Sehr aufgeregt ſcheint der Doppelgänger meiner Jugend<lb/> zu ſein; mit ſo gewaltigen Schritten, als das enge, wun-<lb/> derlich ausſtaffirte Gemach nur erlaubt, rennt er auf<lb/> und ab.</p><lb/> <p>Plötzlich ſpringt er auf das Fenſter zu, reißt den<lb/> improviſirten Vorhang herunter und läßt einen präch-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">2</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [17/0027]
Frühling, nicht blühender Sommer, ſondern eine ſtür-
miſche, dunkle Herbſtnacht; — vielleicht wird eine ähn-
liche auf den heutigen Tag folgen. — In dieſer Nacht
ſitzt hoch oben in einem kleinen, mehr drei- als vier-
eckigen Dachſtübchen ein Student vor einem gewaltigen
ſchweinsledernen Folianten, über welchen er hinwegſtarrt.
Wo wandern ſeine Gedanken? Draußen jagt der Wind
die Wolken vor dem Monde her, rüttelt an den Dach-
ziegeln, ſchüttelt den zerlumpten Schlafrock, welchen der
erfinderiſche Muſenſohn, um ſich und ſeine Studien ganz
von der Außenwelt abzuſperren vor dem Fenſterkreuz feſt-
genagelt hat, — kurz geberdet ſich ſo unbändig, wie
nur ein Wind, der den Auftrag hat, das letzte Laub von
den Bäumen in Gärten und Wäldern zu reißen, ſich
geberden kann. Lange hat der Muſenſohn in tiefe Ge-
danken verſunken dageſeſſen; jetzt ſpringt er plötzlich auf,
und dreht mir das Geſicht zu, — — — das bin ich
wieder. — Johannes Wachholder, ein Student der Phi-
loſophie in der großen Haupt- und Univerſitätsſtadt.
Sehr aufgeregt ſcheint der Doppelgänger meiner Jugend
zu ſein; mit ſo gewaltigen Schritten, als das enge, wun-
derlich ausſtaffirte Gemach nur erlaubt, rennt er auf
und ab.
Plötzlich ſpringt er auf das Fenſter zu, reißt den
improviſirten Vorhang herunter und läßt einen präch-
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