Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

und die Nase des mir zuwinkenden Strobels glitt, ver-
trieb alle die Nebel, welche auf meiner Seele gelastet
hatten. Frischen Muthes konnte ich mich wieder an meine
Vanitas setzen, und als ich gar in einem der schweins-
ledernen, verstaubten Tröster, die ich gestern von der
Bibliothek mitgebracht hatte, eine alte vertrocknete Blume
aus einem vergangenen Frühling fand, konnte ich
schon wieder die seltsamsten Muthmaßungen über die Art
und Weise, wie das todte Frühlingskind zwischen diese
Blätter kam, anstellen. Hatte sie vielleicht an einem
lang vergangenen Feiertage ein uralter College mitge-
bracht von einem lustigen Feldwege, oder hatte sie viel-
leicht eins seiner Kinder spielend in dem Folianten des
gelehrten Vaters gepreßt? Hatte sie etwa ein Student
von der Geliebten erhalten und hier aufbewahrt und
vergessen? Welche Vermuthungen! hübsch und anmuthig,
und um so hübscher und anmuthiger, als sie unwahr-
scheinlich sind. --

O, versteht es nur, Blumen zwischen die öden Blät-
ter des Lebens zu legen; fürchtet Euch nicht, kindisch
zu heißen bei zu klugen Köpfen; Ihr werdet keine Reue
empfinden, wenn Ihr zurückblättert und auf die vergilb-
ten Angedenken trefft! --

Sei mir gegrüßt, wechselnder April, du verzogenes
Kind der alten Mutter Zeit und -- -- -- --

und die Naſe des mir zuwinkenden Strobels glitt, ver-
trieb alle die Nebel, welche auf meiner Seele gelaſtet
hatten. Friſchen Muthes konnte ich mich wieder an meine
Vanitas ſetzen, und als ich gar in einem der ſchweins-
ledernen, verſtaubten Tröſter, die ich geſtern von der
Bibliothek mitgebracht hatte, eine alte vertrocknete Blume
aus einem vergangenen Frühling fand, konnte ich
ſchon wieder die ſeltſamſten Muthmaßungen über die Art
und Weiſe, wie das todte Frühlingskind zwiſchen dieſe
Blätter kam, anſtellen. Hatte ſie vielleicht an einem
lang vergangenen Feiertage ein uralter College mitge-
bracht von einem luſtigen Feldwege, oder hatte ſie viel-
leicht eins ſeiner Kinder ſpielend in dem Folianten des
gelehrten Vaters gepreßt? Hatte ſie etwa ein Student
von der Geliebten erhalten und hier aufbewahrt und
vergeſſen? Welche Vermuthungen! hübſch und anmuthig,
und um ſo hübſcher und anmuthiger, als ſie unwahr-
ſcheinlich ſind. —

O, verſteht es nur, Blumen zwiſchen die öden Blät-
ter des Lebens zu legen; fürchtet Euch nicht, kindiſch
zu heißen bei zu klugen Köpfen; Ihr werdet keine Reue
empfinden, wenn Ihr zurückblättert und auf die vergilb-
ten Angedenken trefft! —

Sei mir gegrüßt, wechſelnder April, du verzogenes
Kind der alten Mutter Zeit und — — — —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0258" n="248"/>
und die Na&#x017F;e des mir zuwinkenden Strobels glitt, ver-<lb/>
trieb alle die Nebel, welche auf meiner Seele gela&#x017F;tet<lb/>
hatten. Fri&#x017F;chen Muthes konnte ich mich wieder an meine<lb/><hi rendition="#aq">Vanitas</hi> &#x017F;etzen, und als ich gar in einem der &#x017F;chweins-<lb/>
ledernen, ver&#x017F;taubten Trö&#x017F;ter, die ich ge&#x017F;tern von der<lb/>
Bibliothek mitgebracht hatte, eine alte vertrocknete Blume<lb/>
aus einem vergangenen Frühling fand, konnte ich<lb/>
&#x017F;chon wieder die &#x017F;elt&#x017F;am&#x017F;ten Muthmaßungen über die Art<lb/>
und Wei&#x017F;e, wie das todte Frühlingskind zwi&#x017F;chen die&#x017F;e<lb/>
Blätter kam, an&#x017F;tellen. Hatte &#x017F;ie vielleicht an einem<lb/>
lang vergangenen Feiertage ein uralter College mitge-<lb/>
bracht von einem lu&#x017F;tigen Feldwege, oder hatte &#x017F;ie viel-<lb/>
leicht eins &#x017F;einer Kinder &#x017F;pielend in dem Folianten des<lb/>
gelehrten Vaters gepreßt? Hatte &#x017F;ie etwa ein Student<lb/>
von der Geliebten erhalten und hier aufbewahrt und<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en? Welche Vermuthungen! hüb&#x017F;ch und anmuthig,<lb/>
und um &#x017F;o hüb&#x017F;cher und anmuthiger, als &#x017F;ie unwahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich &#x017F;ind. &#x2014;</p><lb/>
        <p>O, ver&#x017F;teht es nur, Blumen zwi&#x017F;chen die öden Blät-<lb/>
ter des Lebens zu legen; fürchtet Euch nicht, kindi&#x017F;ch<lb/>
zu heißen bei zu klugen Köpfen; Ihr werdet keine Reue<lb/>
empfinden, wenn Ihr zurückblättert und auf die vergilb-<lb/>
ten Angedenken trefft! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Sei mir gegrüßt, wech&#x017F;elnder April, du verzogenes<lb/>
Kind der alten Mutter Zeit und &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0258] und die Naſe des mir zuwinkenden Strobels glitt, ver- trieb alle die Nebel, welche auf meiner Seele gelaſtet hatten. Friſchen Muthes konnte ich mich wieder an meine Vanitas ſetzen, und als ich gar in einem der ſchweins- ledernen, verſtaubten Tröſter, die ich geſtern von der Bibliothek mitgebracht hatte, eine alte vertrocknete Blume aus einem vergangenen Frühling fand, konnte ich ſchon wieder die ſeltſamſten Muthmaßungen über die Art und Weiſe, wie das todte Frühlingskind zwiſchen dieſe Blätter kam, anſtellen. Hatte ſie vielleicht an einem lang vergangenen Feiertage ein uralter College mitge- bracht von einem luſtigen Feldwege, oder hatte ſie viel- leicht eins ſeiner Kinder ſpielend in dem Folianten des gelehrten Vaters gepreßt? Hatte ſie etwa ein Student von der Geliebten erhalten und hier aufbewahrt und vergeſſen? Welche Vermuthungen! hübſch und anmuthig, und um ſo hübſcher und anmuthiger, als ſie unwahr- ſcheinlich ſind. — O, verſteht es nur, Blumen zwiſchen die öden Blät- ter des Lebens zu legen; fürchtet Euch nicht, kindiſch zu heißen bei zu klugen Köpfen; Ihr werdet keine Reue empfinden, wenn Ihr zurückblättert und auf die vergilb- ten Angedenken trefft! — Sei mir gegrüßt, wechſelnder April, du verzogenes Kind der alten Mutter Zeit und — — — —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/258
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/258>, abgerufen am 27.11.2024.