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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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waren jetzt vor dem Fenster des ersten Stockes unseres
Nachbarhauses; ein heller Lampenschein drang aus dem
Zimmer hervor, und über ein Glas mit Goldfischen
und das Strickzeug in den Händen der Frau Hofräthin
Zehrbein schwebten wir hinein, lustig und glänzend,
ohne eine Ahnung des Schrecklichen, welches uns bevorstand.
Mein Fräulein, lispelte eine Stimme, in deren Inhaber ich
den Assessor Kluckhuhn erkannte. Mein Fräulein, in-
commodirt Sie diese abominable schwüle Luft nicht zu
sehr, bitte, so lassen Sie uns noch einmal jene köstliche
Barcarole aus Haydee hören. -- Um Gottes willen!
dachte ich, aber schon war's zu spät, meinen winzigen
Begleitern das Drohende mitzutheilen und zu schneller
Flucht zu rathen; schon hatte Eulalia begonnen:

Das Lido-Fest ist heute
Lust und Vergnügen ringsum lächelt ...

Entsetzen faßte die Geisterschaar; ihre schillernden, glän-
zenden Farben verblichen; von dem Resonanzboden des
ächzenden Musikkastens (wie Gustav sagt), und zwischen
den Lippen der Sängerin entwickelte sich eine mißge-
staltete Gnomenschaar, die, gespenstisch kreischend und
jammernd, sich in der Luft überstürzte und überschlug
und grimmig über die Geister des Lichts herfiel. Es
war schrecklich! Schon fühlte ich mich von einem kobold-

waren jetzt vor dem Fenſter des erſten Stockes unſeres
Nachbarhauſes; ein heller Lampenſchein drang aus dem
Zimmer hervor, und über ein Glas mit Goldfiſchen
und das Strickzeug in den Händen der Frau Hofräthin
Zehrbein ſchwebten wir hinein, luſtig und glänzend,
ohne eine Ahnung des Schrecklichen, welches uns bevorſtand.
Mein Fräulein, lispelte eine Stimme, in deren Inhaber ich
den Aſſeſſor Kluckhuhn erkannte. Mein Fräulein, in-
commodirt Sie dieſe abominable ſchwüle Luft nicht zu
ſehr, bitte, ſo laſſen Sie uns noch einmal jene köſtliche
Barcarole aus Haydée hören. — Um Gottes willen!
dachte ich, aber ſchon war’s zu ſpät, meinen winzigen
Begleitern das Drohende mitzutheilen und zu ſchneller
Flucht zu rathen; ſchon hatte Eulalia begonnen:

Das Lido-Feſt iſt heute
Luſt und Vergnügen ringsum lächelt …

Entſetzen faßte die Geiſterſchaar; ihre ſchillernden, glän-
zenden Farben verblichen; von dem Reſonanzboden des
ächzenden Muſikkaſtens (wie Guſtav ſagt), und zwiſchen
den Lippen der Sängerin entwickelte ſich eine mißge-
ſtaltete Gnomenſchaar, die, geſpenſtiſch kreiſchend und
jammernd, ſich in der Luft überſtürzte und überſchlug
und grimmig über die Geiſter des Lichts herfiel. Es
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[240/0250] waren jetzt vor dem Fenſter des erſten Stockes unſeres Nachbarhauſes; ein heller Lampenſchein drang aus dem Zimmer hervor, und über ein Glas mit Goldfiſchen und das Strickzeug in den Händen der Frau Hofräthin Zehrbein ſchwebten wir hinein, luſtig und glänzend, ohne eine Ahnung des Schrecklichen, welches uns bevorſtand. Mein Fräulein, lispelte eine Stimme, in deren Inhaber ich den Aſſeſſor Kluckhuhn erkannte. Mein Fräulein, in- commodirt Sie dieſe abominable ſchwüle Luft nicht zu ſehr, bitte, ſo laſſen Sie uns noch einmal jene köſtliche Barcarole aus Haydée hören. — Um Gottes willen! dachte ich, aber ſchon war’s zu ſpät, meinen winzigen Begleitern das Drohende mitzutheilen und zu ſchneller Flucht zu rathen; ſchon hatte Eulalia begonnen: Das Lido-Feſt iſt heute Luſt und Vergnügen ringsum lächelt … Entſetzen faßte die Geiſterſchaar; ihre ſchillernden, glän- zenden Farben verblichen; von dem Reſonanzboden des ächzenden Muſikkaſtens (wie Guſtav ſagt), und zwiſchen den Lippen der Sängerin entwickelte ſich eine mißge- ſtaltete Gnomenſchaar, die, geſpenſtiſch kreiſchend und jammernd, ſich in der Luft überſtürzte und überſchlug und grimmig über die Geiſter des Lichts herfiel. Es war ſchrecklich! Schon fühlte ich mich von einem kobold-

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/250>, abgerufen am 24.11.2024.