zurück in die Tasche und ging hinkend den Berg hin- unter, wieder der Weser zu. Aergerlich warf ich mich, am Rande des Flusses angekommen, abermals in's Gras. Was hatte sich Alles zwischen die gefühlsselige Stim- mung von vorhin und den jetzigen Augenblick gedrängt! Der Himmel war noch eben so blau, die Berge noch eben so grün, der Papierstreifen von vorhin steckte noch neben den Waldblumen an meinem Hute, und doch -- wie verändert schaute mich das Alles an! Hätte das Dampfschiff mit seinen Auswanderern nicht später kom- men können, da es doch sonst immer lange genug auf sich warten läßt?! Hätte ich Narr nicht unterlassen können, nach dem Hermannsbild auszuschauen? Wie ruhig könnte ich dann jetzt im Grase meinen Mittags- schlaf halten, ohne mich über den großen Christoffel, den so viele brave Chatten mit ihrem Blute bezahlt haben, zu ärgern! -- Ich versuchte mancherlei, um meinen Gleichmuth wieder zu gewinnen; ich kitzelte mich mit ei- nem Grashalm am Nasenwinkel, ich portraitirte einen dicken, gemüthlichen Frosch, der sich unter einem Kletten- busch sonnte, -- es half Alles nichts! -- Der Dämon Mißmuth ließ mich nicht los, wüthend sprang ich auf, schrie: Hole der Henker die Wirthschaft! und marschirte brummend auf Rühle zu -- -- -- -- -- -- -- -- Wetter, was ist das für ein Lärm in der Sperlings-
zurück in die Taſche und ging hinkend den Berg hin- unter, wieder der Weſer zu. Aergerlich warf ich mich, am Rande des Fluſſes angekommen, abermals in’s Gras. Was hatte ſich Alles zwiſchen die gefühlsſelige Stim- mung von vorhin und den jetzigen Augenblick gedrängt! Der Himmel war noch eben ſo blau, die Berge noch eben ſo grün, der Papierſtreifen von vorhin ſteckte noch neben den Waldblumen an meinem Hute, und doch — wie verändert ſchaute mich das Alles an! Hätte das Dampfſchiff mit ſeinen Auswanderern nicht ſpäter kom- men können, da es doch ſonſt immer lange genug auf ſich warten läßt?! Hätte ich Narr nicht unterlaſſen können, nach dem Hermannsbild auszuſchauen? Wie ruhig könnte ich dann jetzt im Graſe meinen Mittags- ſchlaf halten, ohne mich über den großen Chriſtoffel, den ſo viele brave Chatten mit ihrem Blute bezahlt haben, zu ärgern! — Ich verſuchte mancherlei, um meinen Gleichmuth wieder zu gewinnen; ich kitzelte mich mit ei- nem Grashalm am Naſenwinkel, ich portraitirte einen dicken, gemüthlichen Froſch, der ſich unter einem Kletten- buſch ſonnte, — es half Alles nichts! — Der Dämon Mißmuth ließ mich nicht los, wüthend ſprang ich auf, ſchrie: Hole der Henker die Wirthſchaft! und marſchirte brummend auf Rühle zu — — — — — — — — Wetter, was iſt das für ein Lärm in der Sperlings-
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zurück in die Taſche und ging hinkend den Berg hin-
unter, wieder der Weſer zu. Aergerlich warf ich mich,
am Rande des Fluſſes angekommen, abermals in’s Gras.
Was hatte ſich Alles zwiſchen die gefühlsſelige Stim-
mung von vorhin und den jetzigen Augenblick gedrängt!
Der Himmel war noch eben ſo blau, die Berge noch
eben ſo grün, der Papierſtreifen von vorhin ſteckte noch
neben den Waldblumen an meinem Hute, und doch —
wie verändert ſchaute mich das Alles an! Hätte das
Dampfſchiff mit ſeinen Auswanderern nicht ſpäter kom-
men können, da es doch ſonſt immer lange genug auf
ſich warten läßt?! Hätte ich Narr nicht unterlaſſen
können, nach dem Hermannsbild auszuſchauen? Wie
ruhig könnte ich dann jetzt im Graſe meinen Mittags-
ſchlaf halten, ohne mich über den großen Chriſtoffel, den
ſo viele brave Chatten mit ihrem Blute bezahlt haben,
zu ärgern! — Ich verſuchte mancherlei, um meinen
Gleichmuth wieder zu gewinnen; ich kitzelte mich mit ei-
nem Grashalm am Naſenwinkel, ich portraitirte einen
dicken, gemüthlichen Froſch, der ſich unter einem Kletten-
buſch ſonnte, — es half Alles nichts! — Der Dämon
Mißmuth ließ mich nicht los, wüthend ſprang ich auf,
ſchrie: Hole der Henker die Wirthſchaft! und marſchirte
brummend auf Rühle zu — — — — — — — —
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/236>, abgerufen am 21.11.2024.
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