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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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sehnst, ohne es zu kennen. Sieh' wie blau, wie duftig
die Ferne! Viel, viel weiter liegt's! Komm heraus,
heraus! --

Bah, diese blaue duftige Ferne; wie oft hab' ich mich
von ihr verlocken lassen. Die Erde läßt uns ja nicht
los; wir sind ihre Kinder, und sie ist nichts ohne uns,
wir nichts ohne sie. -- Folge jetzt der lockenden Stimme,
Deine Füße werden schon in den weichen Boden versin-
ken, närrische Sprünge wirst Du mit den Erdklößen an
den Stiefeln machen! Fühle, daß zur Zeit wo die Sehn-
sucht am stärksten ist, auch die Fesseln am stärksten sind;
kehre um, ziehe Pantoffeln an und nimm die gestrige
Zeitung vor die Nase: das Glück liegt nicht in der Ferne,
nicht über dem "wechselnden Mond!" --

31/2 Uhr. -- Da höre ich eben unten in der Gasse
eine merkwürdige Redensart aus dem Munde eines Tage-
löhners, der einen andern, sehr übelgelaunt Aussehenden,
mit den Worten auf die Schulter klopft: "Man muß
nie verzweifeln; kommt's nicht gut, so kommt's doch
schlecht heraus
!" In demselben Augenblick öffnet sich
nebenan ein Fenster. Eine beschmierte rothe Sammet-
mütze auf einem Wald schwarzer Haare beugt sich heraus;
es ist mein würdiger Freund Monsieur Anastase Tour-
billon,
seines Zeichens ein französischer Sprachlehrer.
Er scheint die Redensart drunten auch gehört und --

ſehnſt, ohne es zu kennen. Sieh’ wie blau, wie duftig
die Ferne! Viel, viel weiter liegt’s! Komm heraus,
heraus! —

Bah, dieſe blaue duftige Ferne; wie oft hab’ ich mich
von ihr verlocken laſſen. Die Erde läßt uns ja nicht
los; wir ſind ihre Kinder, und ſie iſt nichts ohne uns,
wir nichts ohne ſie. — Folge jetzt der lockenden Stimme,
Deine Füße werden ſchon in den weichen Boden verſin-
ken, närriſche Sprünge wirſt Du mit den Erdklößen an
den Stiefeln machen! Fühle, daß zur Zeit wo die Sehn-
ſucht am ſtärkſten iſt, auch die Feſſeln am ſtärkſten ſind;
kehre um, ziehe Pantoffeln an und nimm die geſtrige
Zeitung vor die Naſe: das Glück liegt nicht in der Ferne,
nicht über dem „wechſelnden Mond!“ —

Uhr. — Da höre ich eben unten in der Gaſſe
eine merkwürdige Redensart aus dem Munde eines Tage-
löhners, der einen andern, ſehr übelgelaunt Ausſehenden,
mit den Worten auf die Schulter klopft: „Man muß
nie verzweifeln; kommt’s nicht gut, ſo kommt’s doch
ſchlecht heraus
!“ In demſelben Augenblick öffnet ſich
nebenan ein Fenſter. Eine beſchmierte rothe Sammet-
mütze auf einem Wald ſchwarzer Haare beugt ſich heraus;
es iſt mein würdiger Freund Monsieur Anastase Tour-
billon,
ſeines Zeichens ein franzöſiſcher Sprachlehrer.
Er ſcheint die Redensart drunten auch gehört und —

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[218/0228] ſehnſt, ohne es zu kennen. Sieh’ wie blau, wie duftig die Ferne! Viel, viel weiter liegt’s! Komm heraus, heraus! — Bah, dieſe blaue duftige Ferne; wie oft hab’ ich mich von ihr verlocken laſſen. Die Erde läßt uns ja nicht los; wir ſind ihre Kinder, und ſie iſt nichts ohne uns, wir nichts ohne ſie. — Folge jetzt der lockenden Stimme, Deine Füße werden ſchon in den weichen Boden verſin- ken, närriſche Sprünge wirſt Du mit den Erdklößen an den Stiefeln machen! Fühle, daß zur Zeit wo die Sehn- ſucht am ſtärkſten iſt, auch die Feſſeln am ſtärkſten ſind; kehre um, ziehe Pantoffeln an und nimm die geſtrige Zeitung vor die Naſe: das Glück liegt nicht in der Ferne, nicht über dem „wechſelnden Mond!“ — 3½ Uhr. — Da höre ich eben unten in der Gaſſe eine merkwürdige Redensart aus dem Munde eines Tage- löhners, der einen andern, ſehr übelgelaunt Ausſehenden, mit den Worten auf die Schulter klopft: „Man muß nie verzweifeln; kommt’s nicht gut, ſo kommt’s doch ſchlecht heraus!“ In demſelben Augenblick öffnet ſich nebenan ein Fenſter. Eine beſchmierte rothe Sammet- mütze auf einem Wald ſchwarzer Haare beugt ſich heraus; es iſt mein würdiger Freund Monsieur Anastase Tour- billon, ſeines Zeichens ein franzöſiſcher Sprachlehrer. Er ſcheint die Redensart drunten auch gehört und —

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/228>, abgerufen am 25.11.2024.