niedergelegt hat, eigentlich bedeutet! Wer weiß, ob es nicht ein deponirtes Tagebuch ist, voll der geistreichsten Bemerkungen; ein Tagebuch, das man nur aufzurollen und zu entziffern brauchte, wie einen egyptischen Papy- rus, um wunderbare, unerhörte Dinge zu erfahren. Welch' eine Revolution würde es hervorbringen, wenn dem so wäre; wenn man sich vor den Fliegen an der Wand schämen müßte! Wie würden die Fliegenklatschen in Gang kommen. Arme Fliegen! Kein "redlicher Greis in gestreifter kalmankener Jacke" würde euch mehr ver- schonen "zur Wintergesellschaft." Wie den Vogel Dudu würde man euch ausrotten und höchstens -- einige in Uniform gesteckt, mit einer Cocarde auf jedem Flügel, als Regierungsbeamte besolden. Es wäre schrecklich, und ich breche ab. -- -- --
31/4 Uhr. -- Welche Reisegedanken dieser blaue Him- mel schon wieder in mir erweckt! An solchen Vorfrüh- lingstagen, wo der Geist die Last des Winters noch nicht ganz abgeschüttelt hat, ist's, wo die Sehnsucht nach der Ferne uns am mächtigsten ergreift. Es ist ein sonder- bares Ding um diese Sehnsucht, die wir nie verlieren, so alt wir sein mögen. Da zupft Etwas an unserm tiefsten Innern: Komm heraus, komm heraus, was sitzest Du so still Du Thor und hältst Maulaffen feil? Hier findest Du nicht, worüber Du grübelst, wonach Du Dich
niedergelegt hat, eigentlich bedeutet! Wer weiß, ob es nicht ein deponirtes Tagebuch iſt, voll der geiſtreichſten Bemerkungen; ein Tagebuch, das man nur aufzurollen und zu entziffern brauchte, wie einen egyptiſchen Papy- rus, um wunderbare, unerhörte Dinge zu erfahren. Welch’ eine Revolution würde es hervorbringen, wenn dem ſo wäre; wenn man ſich vor den Fliegen an der Wand ſchämen müßte! Wie würden die Fliegenklatſchen in Gang kommen. Arme Fliegen! Kein „redlicher Greis in geſtreifter kalmankener Jacke“ würde euch mehr ver- ſchonen „zur Wintergeſellſchaft.“ Wie den Vogel Dudu würde man euch ausrotten und höchſtens — einige in Uniform geſteckt, mit einer Cocarde auf jedem Flügel, als Regierungsbeamte beſolden. Es wäre ſchrecklich, und ich breche ab. — — —
3¼ Uhr. — Welche Reiſegedanken dieſer blaue Him- mel ſchon wieder in mir erweckt! An ſolchen Vorfrüh- lingstagen, wo der Geiſt die Laſt des Winters noch nicht ganz abgeſchüttelt hat, iſt’s, wo die Sehnſucht nach der Ferne uns am mächtigſten ergreift. Es iſt ein ſonder- bares Ding um dieſe Sehnſucht, die wir nie verlieren, ſo alt wir ſein mögen. Da zupft Etwas an unſerm tiefſten Innern: Komm heraus, komm heraus, was ſitzeſt Du ſo ſtill Du Thor und hältſt Maulaffen feil? Hier findeſt Du nicht, worüber Du grübelſt, wonach Du Dich
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nicht ein deponirtes Tagebuch iſt, voll der geiſtreichſten
Bemerkungen; ein Tagebuch, das man nur aufzurollen
und zu entziffern brauchte, wie einen egyptiſchen Papy-
rus, um wunderbare, unerhörte Dinge zu erfahren.
Welch’ eine Revolution würde es hervorbringen, wenn
dem ſo wäre; wenn man ſich vor den Fliegen an der
Wand ſchämen müßte! Wie würden die Fliegenklatſchen
in Gang kommen. Arme Fliegen! Kein „redlicher Greis
in geſtreifter kalmankener Jacke“ würde euch mehr ver-
ſchonen „zur Wintergeſellſchaft.“ Wie den Vogel Dudu
würde man euch ausrotten und höchſtens — einige in
Uniform geſteckt, mit einer Cocarde auf jedem Flügel,
als Regierungsbeamte beſolden. Es wäre ſchrecklich, und
ich breche ab. — — —
3¼ Uhr. — Welche Reiſegedanken dieſer blaue Him-
mel ſchon wieder in mir erweckt! An ſolchen Vorfrüh-
lingstagen, wo der Geiſt die Laſt des Winters noch nicht
ganz abgeſchüttelt hat, iſt’s, wo die Sehnſucht nach der
Ferne uns am mächtigſten ergreift. Es iſt ein ſonder-
bares Ding um dieſe Sehnſucht, die wir nie verlieren,
ſo alt wir ſein mögen. Da zupft Etwas an unſerm
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/227>, abgerufen am 16.02.2025.
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