Beobachtungen. Zuerst bringe ich zu Papier natürlich das Wetter: das holdseligste Himmelblau, den präch- tigsten Sonnenschein. Hätte ich nur einen Funken poeti- schen Feuers in mir, so würde ich mir beide durch ein junges, schönes Paar personifiziren, welches da hoch oben im Himmelszelt auf seinem weißen, weichen Wol- kendivan tändelt und kos't und total vergessen hat, daß noch so viel hunderttausend deutsche Hausfrauen auf -- Märzschnee warten zum Seifekochen! Wahrhaftig, da ist ja eine Fliege! Welch' ein Fund für einen Chroniken- schreiber! Summend stößt sie gegen die sonnebeschiene- nen Scheiben, die wir schnell schließen wollen, um das arme Thierchen zu seinem Besten vor dem heuchlerischen Frühling da draußen zu bewahren. Sie scheint auch jetzt ihre Thorheit einzusehen, sie läßt ab und umfliegt mich. Halt, jetzt setzt sie sich auf meine Knie, nach mehreren vergeblichen Angriffen auf meine Nasenspitze; sie nimmt den Kopf zwischen beide Vorderbeine, kratzt sich hinter den Ohren und -- -- -- kleiner ....! -- Dahin geht sie, eine Spur hinterlassend auf meinem Knie und -- in der Chronik der Sperlingsgasse. Ich wollte, es gäbe ein Sprichwort: "Schämt Euch vor den Fliegen an der Wand." Um wie viel menschliche Tollheiten und Thorheiten schnurren diese winzigen Flügelwesen! Wer weiß, was der Punkt, den der kleine Tourist da eben
Beobachtungen. Zuerſt bringe ich zu Papier natürlich das Wetter: das holdſeligſte Himmelblau, den präch- tigſten Sonnenſchein. Hätte ich nur einen Funken poeti- ſchen Feuers in mir, ſo würde ich mir beide durch ein junges, ſchönes Paar perſonifiziren, welches da hoch oben im Himmelszelt auf ſeinem weißen, weichen Wol- kendivan tändelt und koſ’t und total vergeſſen hat, daß noch ſo viel hunderttauſend deutſche Hausfrauen auf — Märzſchnee warten zum Seifekochen! Wahrhaftig, da iſt ja eine Fliege! Welch’ ein Fund für einen Chroniken- ſchreiber! Summend ſtößt ſie gegen die ſonnebeſchiene- nen Scheiben, die wir ſchnell ſchließen wollen, um das arme Thierchen zu ſeinem Beſten vor dem heuchleriſchen Frühling da draußen zu bewahren. Sie ſcheint auch jetzt ihre Thorheit einzuſehen, ſie läßt ab und umfliegt mich. Halt, jetzt ſetzt ſie ſich auf meine Knie, nach mehreren vergeblichen Angriffen auf meine Naſenſpitze; ſie nimmt den Kopf zwiſchen beide Vorderbeine, kratzt ſich hinter den Ohren und — — — kleiner ....! — Dahin geht ſie, eine Spur hinterlaſſend auf meinem Knie und — in der Chronik der Sperlingsgaſſe. Ich wollte, es gäbe ein Sprichwort: „Schämt Euch vor den Fliegen an der Wand.“ Um wie viel menſchliche Tollheiten und Thorheiten ſchnurren dieſe winzigen Flügelweſen! Wer weiß, was der Punkt, den der kleine Touriſt da eben
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0226"n="216"/>
Beobachtungen. Zuerſt bringe ich zu Papier natürlich<lb/>
das Wetter: das holdſeligſte Himmelblau, den präch-<lb/>
tigſten Sonnenſchein. Hätte ich nur einen Funken poeti-<lb/>ſchen Feuers in mir, ſo würde ich mir beide durch ein<lb/>
junges, ſchönes Paar perſonifiziren, welches da hoch<lb/>
oben im Himmelszelt auf ſeinem weißen, weichen Wol-<lb/>
kendivan tändelt und koſ’t und total vergeſſen hat, daß<lb/>
noch ſo viel hunderttauſend deutſche Hausfrauen auf —<lb/>
Märzſchnee warten zum Seifekochen! Wahrhaftig, da<lb/>
iſt ja eine Fliege! Welch’ ein Fund für einen Chroniken-<lb/>ſchreiber! Summend ſtößt ſie gegen die ſonnebeſchiene-<lb/>
nen Scheiben, die wir ſchnell ſchließen wollen, um das<lb/>
arme Thierchen zu ſeinem Beſten vor dem heuchleriſchen<lb/>
Frühling da draußen zu bewahren. Sie ſcheint auch<lb/>
jetzt ihre Thorheit einzuſehen, ſie läßt ab und umfliegt<lb/>
mich. Halt, jetzt ſetzt ſie ſich auf meine Knie, nach<lb/>
mehreren vergeblichen Angriffen auf meine Naſenſpitze;<lb/>ſie nimmt den Kopf zwiſchen beide Vorderbeine, kratzt<lb/>ſich hinter den Ohren und ——— kleiner ....! —<lb/>
Dahin geht ſie, eine Spur hinterlaſſend auf meinem<lb/>
Knie und — in der Chronik der Sperlingsgaſſe. Ich wollte,<lb/>
es gäbe ein Sprichwort: „Schämt Euch vor den Fliegen<lb/>
an der Wand.“ Um wie viel menſchliche Tollheiten und<lb/>
Thorheiten ſchnurren dieſe winzigen Flügelweſen! Wer<lb/>
weiß, was der Punkt, den der kleine Touriſt da eben<lb/></p></div></body></text></TEI>
[216/0226]
Beobachtungen. Zuerſt bringe ich zu Papier natürlich
das Wetter: das holdſeligſte Himmelblau, den präch-
tigſten Sonnenſchein. Hätte ich nur einen Funken poeti-
ſchen Feuers in mir, ſo würde ich mir beide durch ein
junges, ſchönes Paar perſonifiziren, welches da hoch
oben im Himmelszelt auf ſeinem weißen, weichen Wol-
kendivan tändelt und koſ’t und total vergeſſen hat, daß
noch ſo viel hunderttauſend deutſche Hausfrauen auf —
Märzſchnee warten zum Seifekochen! Wahrhaftig, da
iſt ja eine Fliege! Welch’ ein Fund für einen Chroniken-
ſchreiber! Summend ſtößt ſie gegen die ſonnebeſchiene-
nen Scheiben, die wir ſchnell ſchließen wollen, um das
arme Thierchen zu ſeinem Beſten vor dem heuchleriſchen
Frühling da draußen zu bewahren. Sie ſcheint auch
jetzt ihre Thorheit einzuſehen, ſie läßt ab und umfliegt
mich. Halt, jetzt ſetzt ſie ſich auf meine Knie, nach
mehreren vergeblichen Angriffen auf meine Naſenſpitze;
ſie nimmt den Kopf zwiſchen beide Vorderbeine, kratzt
ſich hinter den Ohren und — — — kleiner ....! —
Dahin geht ſie, eine Spur hinterlaſſend auf meinem
Knie und — in der Chronik der Sperlingsgaſſe. Ich wollte,
es gäbe ein Sprichwort: „Schämt Euch vor den Fliegen
an der Wand.“ Um wie viel menſchliche Tollheiten und
Thorheiten ſchnurren dieſe winzigen Flügelweſen! Wer
weiß, was der Punkt, den der kleine Touriſt da eben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/226>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.