zen Haare der Mutter greifend, daß die Steine darin blitzen und funkeln. -- -- Jetzt läuft ein Schauer über den kleinen Körper -- -- --
"Vorüber!" -- sagt der alte Doctor dumpf, mir die Hand drückend. -- --
Frau Anna und eine Nachbarin blieben die Nacht bei der armen, bewußtlosen Mutter. --
Am 7. März. --
Gestern Nachmittag begannen die schweren Regen- wolken, die wochenlang über der großen Stadt gehan- gen hatten, sich zu heben. Sie zerrissen im Norden wie ein Vorhang und wälzten sich langsam und schwer- fällig dem Süden zu. Ein Sonnenstrahl glitt pfeil- schnell über die Fenster und Wände mir gegenüber, um eben so schnell zu schwinden; ein anderer von etwas längerer Dauer folgte ihm, und jetzt liegt der prächtigste Frühlingssonnenschein auf den Dächern und in den Stra- ßen der Stadt. Wahrlich, jetzt gleicht die Stadt nicht mehr einem scheuergeplagten Ehemann; sie gleicht viel- mehr seiner bessern Hälfte, die nun ihre Pflicht gethan zu haben meint, erschöpft auf einen Stuhl zum Kaffee-
zen Haare der Mutter greifend, daß die Steine darin blitzen und funkeln. — — Jetzt läuft ein Schauer über den kleinen Körper — — —
„Vorüber!“ — ſagt der alte Doctor dumpf, mir die Hand drückend. — —
Frau Anna und eine Nachbarin blieben die Nacht bei der armen, bewußtloſen Mutter. —
Am 7. März. —
Geſtern Nachmittag begannen die ſchweren Regen- wolken, die wochenlang über der großen Stadt gehan- gen hatten, ſich zu heben. Sie zerriſſen im Norden wie ein Vorhang und wälzten ſich langſam und ſchwer- fällig dem Süden zu. Ein Sonnenſtrahl glitt pfeil- ſchnell über die Fenſter und Wände mir gegenüber, um eben ſo ſchnell zu ſchwinden; ein anderer von etwas längerer Dauer folgte ihm, und jetzt liegt der prächtigſte Frühlingsſonnenſchein auf den Dächern und in den Stra- ßen der Stadt. Wahrlich, jetzt gleicht die Stadt nicht mehr einem ſcheuergeplagten Ehemann; ſie gleicht viel- mehr ſeiner beſſern Hälfte, die nun ihre Pflicht gethan zu haben meint, erſchöpft auf einen Stuhl zum Kaffee-
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zen Haare der Mutter greifend, daß die Steine darin
blitzen und funkeln. — — Jetzt läuft ein Schauer über
den kleinen Körper — — —
„Vorüber!“ — ſagt der alte Doctor dumpf, mir
die Hand drückend. — —
Frau Anna und eine Nachbarin blieben die Nacht
bei der armen, bewußtloſen Mutter. —
Am 7. März. —
Geſtern Nachmittag begannen die ſchweren Regen-
wolken, die wochenlang über der großen Stadt gehan-
gen hatten, ſich zu heben. Sie zerriſſen im Norden
wie ein Vorhang und wälzten ſich langſam und ſchwer-
fällig dem Süden zu. Ein Sonnenſtrahl glitt pfeil-
ſchnell über die Fenſter und Wände mir gegenüber, um
eben ſo ſchnell zu ſchwinden; ein anderer von etwas
längerer Dauer folgte ihm, und jetzt liegt der prächtigſte
Frühlingsſonnenſchein auf den Dächern und in den Stra-
ßen der Stadt. Wahrlich, jetzt gleicht die Stadt nicht
mehr einem ſcheuergeplagten Ehemann; ſie gleicht viel-
mehr ſeiner beſſern Hälfte, die nun ihre Pflicht gethan
zu haben meint, erſchöpft auf einen Stuhl zum Kaffee-
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/199>, abgerufen am 05.07.2024.
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