Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.um wie aus wildem Traume zu noch wilderer Wirklich- Horch! Ein Wagen rasselt heran; er hält drunten. "Die Mutter," sagt der Doctor aufstehend. "Es Ein eiliger Schritt kommt die Treppe herauf; eine "Mein Kind! Mein Kind!" flüstert sie, in gräßlicher "Mama! liebe Mama!" stöhnt das sterbende Kind, um wie aus wildem Traume zu noch wilderer Wirklich- Horch! Ein Wagen raſſelt heran; er hält drunten. „Die Mutter,“ ſagt der Doctor aufſtehend. „Es Ein eiliger Schritt kommt die Treppe herauf; eine „Mein Kind! Mein Kind!“ flüſtert ſie, in gräßlicher „Mama! liebe Mama!“ ſtöhnt das ſterbende Kind, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0198" n="188"/> um wie aus wildem Traume zu noch wilderer Wirklich-<lb/> keit erwachend, mit dem herzzerreißenden Schrei: „mein<lb/> Kind! mein Kind!“ fortzuſtürzen. — — — Wir in<lb/> dem kleinen Dachſtübchen haben das nicht geſehen, nicht<lb/> gehört, aber jeder kürzer werdende Athemzug des ſterben-<lb/> den Kindes ſagte uns, was dort in dem Lichterglänzen-<lb/> den, Muſikerfüllten Gebäude am andern Ende der großen<lb/> Stadt geſchehe.</p><lb/> <p>Horch! Ein Wagen raſſelt heran; er hält drunten.</p><lb/> <p>„Die Mutter,“ ſagt der Doctor aufſtehend. „Es<lb/> war Zeit!“ —</p><lb/> <p>Ein eiliger Schritt kommt die Treppe herauf; eine<lb/> Frau, in einen dunkeln Mantel gehüllt, erſcheint todt-<lb/> bleich und athemlos in der Thür. Sie läßt den regen-<lb/> feuchten Mantel fallen und im phantaſtiſchen Coſtüm,<lb/> wie wir es in Satanella ſahen, ſtürzt ſie auf das<lb/> Bettchen zu.</p><lb/> <p>„Mein Kind! Mein Kind!“ flüſtert ſie, in gräßlicher<lb/> Angſt den Doctor anſehend. Sie beugt ſich, ſie hört<lb/> den leiſen Athem des Kindes: Es lebt noch! — Das<lb/> ſchwarze Lockenhaupt mit dem Flitterputz von Glas-<lb/> diamanten und feuerrothen Bändern ſinkt auf das ärm-<lb/> liche Kiſſen.</p><lb/> <p>„Mama! liebe Mama!“ ſtöhnt das ſterbende Kind,<lb/> mit den kleinen fieberheißen Händchen durch die ſchwar-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [188/0198]
um wie aus wildem Traume zu noch wilderer Wirklich-
keit erwachend, mit dem herzzerreißenden Schrei: „mein
Kind! mein Kind!“ fortzuſtürzen. — — — Wir in
dem kleinen Dachſtübchen haben das nicht geſehen, nicht
gehört, aber jeder kürzer werdende Athemzug des ſterben-
den Kindes ſagte uns, was dort in dem Lichterglänzen-
den, Muſikerfüllten Gebäude am andern Ende der großen
Stadt geſchehe.
Horch! Ein Wagen raſſelt heran; er hält drunten.
„Die Mutter,“ ſagt der Doctor aufſtehend. „Es
war Zeit!“ —
Ein eiliger Schritt kommt die Treppe herauf; eine
Frau, in einen dunkeln Mantel gehüllt, erſcheint todt-
bleich und athemlos in der Thür. Sie läßt den regen-
feuchten Mantel fallen und im phantaſtiſchen Coſtüm,
wie wir es in Satanella ſahen, ſtürzt ſie auf das
Bettchen zu.
„Mein Kind! Mein Kind!“ flüſtert ſie, in gräßlicher
Angſt den Doctor anſehend. Sie beugt ſich, ſie hört
den leiſen Athem des Kindes: Es lebt noch! — Das
ſchwarze Lockenhaupt mit dem Flitterputz von Glas-
diamanten und feuerrothen Bändern ſinkt auf das ärm-
liche Kiſſen.
„Mama! liebe Mama!“ ſtöhnt das ſterbende Kind,
mit den kleinen fieberheißen Händchen durch die ſchwar-
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