Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Doctor, hochroth vom Singen und Rennen und ließ die
Kleine in einen Fliederbusch schauen. Lise, den Athem
anhaltend, um die kleine piepende Welt nicht zu stören,
guckte selig durch die Zweige; während der Rezensent
das Wunder weiter unten suchte und, den Kopf und
Leib im Laubwerk verborgen, nur die Hinterbeine und
den wedelnden Husarenbusch zeigte.

"Nicht wahr Lise, das mußte ich Dir doch zeigen?
S'ist doch prächtig, wenn Einen die Polizei so früh
hinaus jagt in den Wald!"

Ein Buch guckte dem Doctor hinten aus der Rock-
tasche und der Lehrer zog's ihm heraus. Es war --
Reineke de Voß, des Doctors ewiger Begleiter auf
allen seinen Fahrten, den er fast auswendig wußte.
Bei der Berührung des Lehrers schaute er sich auch so-
gleich um und begann:

De quad deyt, de schuwet gern dat licht:
Also dede ok Reinke de bösewicht.
He hadde in de stad so vele missdan,
Dat he dar nicht dorfte kamen noch gan.
He schuwede seer des Konniges hoff
Darin he hadde seer kranken loff!" --

"Aber hier Lise ist's was Anderes, wenn wir
hier ein Vogelnest finden, so dürfen wir auch hinein-
gucken und unsere Meinung darüber sagen" -- -- --

Doctor, hochroth vom Singen und Rennen und ließ die
Kleine in einen Fliederbuſch ſchauen. Liſe, den Athem
anhaltend, um die kleine piepende Welt nicht zu ſtören,
guckte ſelig durch die Zweige; während der Rezenſent
das Wunder weiter unten ſuchte und, den Kopf und
Leib im Laubwerk verborgen, nur die Hinterbeine und
den wedelnden Huſarenbuſch zeigte.

„Nicht wahr Liſe, das mußte ich Dir doch zeigen?
S’iſt doch prächtig, wenn Einen die Polizei ſo früh
hinaus jagt in den Wald!“

Ein Buch guckte dem Doctor hinten aus der Rock-
taſche und der Lehrer zog’s ihm heraus. Es war —
Reineke de Voß, des Doctors ewiger Begleiter auf
allen ſeinen Fahrten, den er faſt auswendig wußte.
Bei der Berührung des Lehrers ſchaute er ſich auch ſo-
gleich um und begann:

De quad deyt, de schuwet gern dat licht:
Also dede ok Reinke de bösewicht.
He hadde in de stad so vele missdan,
Dat he dar nicht dorfte kamen noch gan.
He schuwede seer des Konniges hoff
Darin he hadde seer kranken loff!“ —

„Aber hier Liſe iſt’s was Anderes, wenn wir
hier ein Vogelneſt finden, ſo dürfen wir auch hinein-
gucken und unſere Meinung darüber ſagen“ — — —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="117"/>
Doctor, hochroth vom Singen und Rennen und ließ die<lb/>
Kleine in einen Fliederbu&#x017F;ch &#x017F;chauen. Li&#x017F;e, den Athem<lb/>
anhaltend, um die kleine piepende Welt nicht zu &#x017F;tören,<lb/>
guckte &#x017F;elig durch die Zweige; während der Rezen&#x017F;ent<lb/>
das Wunder weiter unten &#x017F;uchte und, den Kopf und<lb/>
Leib im Laubwerk verborgen, nur die Hinterbeine und<lb/>
den wedelnden Hu&#x017F;arenbu&#x017F;ch zeigte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nicht wahr Li&#x017F;e, das mußte ich Dir doch zeigen?<lb/>
S&#x2019;i&#x017F;t doch prächtig, wenn Einen die Polizei &#x017F;o früh<lb/>
hinaus jagt in den Wald!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ein Buch guckte dem Doctor hinten aus der Rock-<lb/>
ta&#x017F;che und der Lehrer zog&#x2019;s ihm heraus. Es war &#x2014;<lb/>
Reineke de Voß, des Doctors ewiger Begleiter auf<lb/>
allen &#x017F;einen Fahrten, den er fa&#x017F;t auswendig wußte.<lb/>
Bei der Berührung des Lehrers &#x017F;chaute er &#x017F;ich auch &#x017F;o-<lb/>
gleich um und begann:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l> <hi rendition="#aq">De quad deyt, de schuwet gern dat licht:</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Also dede ok Reinke de bösewicht.</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">He hadde in de stad so vele missdan,</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Dat he dar nicht dorfte kamen noch gan.</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">He schuwede seer des Konniges hoff</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Darin he hadde seer kranken loff!&#x201C; &#x2014;</hi> </l>
        </lg><lb/>
        <p>&#x201E;Aber hier Li&#x017F;e i&#x017F;t&#x2019;s was Anderes, wenn wir<lb/>
hier ein Vogelne&#x017F;t finden, &#x017F;o dürfen wir auch hinein-<lb/>
gucken und un&#x017F;ere Meinung darüber &#x017F;agen&#x201C; &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0127] Doctor, hochroth vom Singen und Rennen und ließ die Kleine in einen Fliederbuſch ſchauen. Liſe, den Athem anhaltend, um die kleine piepende Welt nicht zu ſtören, guckte ſelig durch die Zweige; während der Rezenſent das Wunder weiter unten ſuchte und, den Kopf und Leib im Laubwerk verborgen, nur die Hinterbeine und den wedelnden Huſarenbuſch zeigte. „Nicht wahr Liſe, das mußte ich Dir doch zeigen? S’iſt doch prächtig, wenn Einen die Polizei ſo früh hinaus jagt in den Wald!“ Ein Buch guckte dem Doctor hinten aus der Rock- taſche und der Lehrer zog’s ihm heraus. Es war — Reineke de Voß, des Doctors ewiger Begleiter auf allen ſeinen Fahrten, den er faſt auswendig wußte. Bei der Berührung des Lehrers ſchaute er ſich auch ſo- gleich um und begann: De quad deyt, de schuwet gern dat licht: Also dede ok Reinke de bösewicht. He hadde in de stad so vele missdan, Dat he dar nicht dorfte kamen noch gan. He schuwede seer des Konniges hoff Darin he hadde seer kranken loff!“ — „Aber hier Liſe iſt’s was Anderes, wenn wir hier ein Vogelneſt finden, ſo dürfen wir auch hinein- gucken und unſere Meinung darüber ſagen“ — — —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/127
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/127>, abgerufen am 22.11.2024.