Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

schönste der Bücher, das so leicht zu verstehen ist und
so schwer verstanden wird. -- -- -- -- --

Ungeduldig klatscht der Kutscher unten vor der Thür,
ungeduldig treibt Elise, während Martha noch immer
Zurüstungen macht, wie zu einer Reise nach dem Nord-
pol! Endlich aber steigen wir ein.

Unsere Sonntagsodyssee beginnt!

"Hätte der Onkel Doctor nicht morgen abreisen kön-
nen?" fragt noch Lischen nach dem Zettel droben schauend,
auf welchem die Madam Pimpernell ankündigt:

"Hier ist eine Stube mit Cabinet zu vermiethen."

Roder lächelt, scheint etwas auf dem Herzen zu haben,
aber sich gegenwärtig auf Weiteres nicht einlassen zu
wollen, und so rollen wir durch die noch stillen Straßen
dem Thore zu. An den Wochentagen ist's um diese Zeit
schon lebendig genug, heute aber schläft das Volk der
Arbeit in den Morgen und den Sonntag hinein; es hat
das Recht dazu nach sechs Schöpfungstagen.

Jetzt sind wir in den grünen Anlagen, die sich rings
um die Stadt ziehen. Landhäuser und Gärten fassen
auf beiden Seiten die Straße ein. Eine Eisenbahn-
linie geht mitten über den Weg und wir müssen an-
halten, denn ein Zug fliegt eben brausend und schnau-
bend dem Bahnhofe zu. Der Sonntag, der den Städter
hinaus führt, bringt den Landmann hinein in die Stadt

ſchönſte der Bücher, das ſo leicht zu verſtehen iſt und
ſo ſchwer verſtanden wird. — — — — —

Ungeduldig klatſcht der Kutſcher unten vor der Thür,
ungeduldig treibt Eliſe, während Martha noch immer
Zurüſtungen macht, wie zu einer Reiſe nach dem Nord-
pol! Endlich aber ſteigen wir ein.

Unſere Sonntagsodyſſee beginnt!

„Hätte der Onkel Doctor nicht morgen abreiſen kön-
nen?“ fragt noch Lischen nach dem Zettel droben ſchauend,
auf welchem die Madam Pimpernell ankündigt:

„Hier iſt eine Stube mit Cabinet zu vermiethen.“

Roder lächelt, ſcheint etwas auf dem Herzen zu haben,
aber ſich gegenwärtig auf Weiteres nicht einlaſſen zu
wollen, und ſo rollen wir durch die noch ſtillen Straßen
dem Thore zu. An den Wochentagen iſt’s um dieſe Zeit
ſchon lebendig genug, heute aber ſchläft das Volk der
Arbeit in den Morgen und den Sonntag hinein; es hat
das Recht dazu nach ſechs Schöpfungstagen.

Jetzt ſind wir in den grünen Anlagen, die ſich rings
um die Stadt ziehen. Landhäuſer und Gärten faſſen
auf beiden Seiten die Straße ein. Eine Eiſenbahn-
linie geht mitten über den Weg und wir müſſen an-
halten, denn ein Zug fliegt eben brauſend und ſchnau-
bend dem Bahnhofe zu. Der Sonntag, der den Städter
hinaus führt, bringt den Landmann hinein in die Stadt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0120" n="110"/>
&#x017F;chön&#x017F;te der Bücher, das &#x017F;o leicht zu ver&#x017F;tehen i&#x017F;t und<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chwer ver&#x017F;tanden wird. &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ungeduldig klat&#x017F;cht der Kut&#x017F;cher unten vor der Thür,<lb/>
ungeduldig treibt Eli&#x017F;e, während Martha noch immer<lb/>
Zurü&#x017F;tungen macht, wie zu einer Rei&#x017F;e nach dem Nord-<lb/>
pol! Endlich aber &#x017F;teigen wir ein.</p><lb/>
        <p>Un&#x017F;ere Sonntagsody&#x017F;&#x017F;ee beginnt!</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hätte der Onkel Doctor nicht morgen abrei&#x017F;en kön-<lb/>
nen?&#x201C; fragt noch Lischen nach dem Zettel droben &#x017F;chauend,<lb/>
auf welchem die Madam Pimpernell ankündigt:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hier i&#x017F;t eine Stube mit Cabinet zu vermiethen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Roder lächelt, &#x017F;cheint etwas auf dem Herzen zu haben,<lb/>
aber &#x017F;ich gegenwärtig auf Weiteres nicht einla&#x017F;&#x017F;en zu<lb/>
wollen, und &#x017F;o rollen wir durch die noch &#x017F;tillen Straßen<lb/>
dem Thore zu. An den Wochentagen i&#x017F;t&#x2019;s um die&#x017F;e Zeit<lb/>
&#x017F;chon lebendig genug, heute aber &#x017F;chläft das Volk der<lb/>
Arbeit in den Morgen und den Sonntag hinein; es hat<lb/>
das Recht dazu nach &#x017F;echs Schöpfungstagen.</p><lb/>
        <p>Jetzt &#x017F;ind wir in den grünen Anlagen, die &#x017F;ich rings<lb/>
um die Stadt ziehen. Landhäu&#x017F;er und Gärten fa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
auf beiden Seiten die Straße ein. Eine Ei&#x017F;enbahn-<lb/>
linie geht mitten über den Weg und wir mü&#x017F;&#x017F;en an-<lb/>
halten, denn ein Zug fliegt eben brau&#x017F;end und &#x017F;chnau-<lb/>
bend dem Bahnhofe zu. Der Sonntag, der den Städter<lb/>
hinaus führt, bringt den Landmann hinein in die Stadt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0120] ſchönſte der Bücher, das ſo leicht zu verſtehen iſt und ſo ſchwer verſtanden wird. — — — — — Ungeduldig klatſcht der Kutſcher unten vor der Thür, ungeduldig treibt Eliſe, während Martha noch immer Zurüſtungen macht, wie zu einer Reiſe nach dem Nord- pol! Endlich aber ſteigen wir ein. Unſere Sonntagsodyſſee beginnt! „Hätte der Onkel Doctor nicht morgen abreiſen kön- nen?“ fragt noch Lischen nach dem Zettel droben ſchauend, auf welchem die Madam Pimpernell ankündigt: „Hier iſt eine Stube mit Cabinet zu vermiethen.“ Roder lächelt, ſcheint etwas auf dem Herzen zu haben, aber ſich gegenwärtig auf Weiteres nicht einlaſſen zu wollen, und ſo rollen wir durch die noch ſtillen Straßen dem Thore zu. An den Wochentagen iſt’s um dieſe Zeit ſchon lebendig genug, heute aber ſchläft das Volk der Arbeit in den Morgen und den Sonntag hinein; es hat das Recht dazu nach ſechs Schöpfungstagen. Jetzt ſind wir in den grünen Anlagen, die ſich rings um die Stadt ziehen. Landhäuſer und Gärten faſſen auf beiden Seiten die Straße ein. Eine Eiſenbahn- linie geht mitten über den Weg und wir müſſen an- halten, denn ein Zug fliegt eben brauſend und ſchnau- bend dem Bahnhofe zu. Der Sonntag, der den Städter hinaus führt, bringt den Landmann hinein in die Stadt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/120
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/120>, abgerufen am 28.11.2024.