Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Die Römerhöhe hinab stürzte Georg. Der Garten war bereits voll entsetzter Menschen; wo die Silberburg selbst sich erhoben hatte, befand sich jetzt ein hoher Trümmerhaufen, ein wüstes Durcheinander von Balken, Posten und Mauern, über das die Fackeln und Laternen einen blutrothen Schein warfen. Gottes Gericht! Gottes Gericht! rief das zitternde zum Tod erschrockene Volk von Rothenburg. Das letzte Recht! O Vater, Vater -- das letzte Recht! schrie Georg Kindler in namenlosem Schauder.-- Den Eindruck eines Gottesurteils hatte dieses schreckliche Ereigniß, welche so kühne und stolze Hoffnungen und Pläne im Augenblick der Erfüllung zu nichte machte, auf die ganze Stadt Rothenburg, Geistlichkeit, Rath und Bürgerschaft -- Patricier und Plebejer gemacht, und unter diesem Eindruck erkannte man dem alten Friedrich Martin Kindler den Besitz des Trümmerhaufens, welcher einst ein so stolzes Haus gewesen war, einstimmig zu. Während die arme Laurentia auf der Römerhöhe langsam sich erholte und sich zurechtfand in dem Geschehenen, wurden die Trümmer aufgeräumt, die Leichen des Scharfrichters Wolf Scheffer und des weiland Zinsmeisters Christian Jakob Heyliger gefunden und mit ihnen die zertrümmerten Truhen mit den Geldsäcken, Kostbarkeiten und Documenten, wie sie Scheffer zuletzt darin geordnet hatte. In aller Stille wurden die Leichen begraben, und dicht nebeneinander fanden sie ihre Stelle an der Kirchhofsmauer. Die Römerhöhe hinab stürzte Georg. Der Garten war bereits voll entsetzter Menschen; wo die Silberburg selbst sich erhoben hatte, befand sich jetzt ein hoher Trümmerhaufen, ein wüstes Durcheinander von Balken, Posten und Mauern, über das die Fackeln und Laternen einen blutrothen Schein warfen. Gottes Gericht! Gottes Gericht! rief das zitternde zum Tod erschrockene Volk von Rothenburg. Das letzte Recht! O Vater, Vater — das letzte Recht! schrie Georg Kindler in namenlosem Schauder.— Den Eindruck eines Gottesurteils hatte dieses schreckliche Ereigniß, welche so kühne und stolze Hoffnungen und Pläne im Augenblick der Erfüllung zu nichte machte, auf die ganze Stadt Rothenburg, Geistlichkeit, Rath und Bürgerschaft — Patricier und Plebejer gemacht, und unter diesem Eindruck erkannte man dem alten Friedrich Martin Kindler den Besitz des Trümmerhaufens, welcher einst ein so stolzes Haus gewesen war, einstimmig zu. Während die arme Laurentia auf der Römerhöhe langsam sich erholte und sich zurechtfand in dem Geschehenen, wurden die Trümmer aufgeräumt, die Leichen des Scharfrichters Wolf Scheffer und des weiland Zinsmeisters Christian Jakob Heyliger gefunden und mit ihnen die zertrümmerten Truhen mit den Geldsäcken, Kostbarkeiten und Documenten, wie sie Scheffer zuletzt darin geordnet hatte. In aller Stille wurden die Leichen begraben, und dicht nebeneinander fanden sie ihre Stelle an der Kirchhofsmauer. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <pb facs="#f0076"/> <p>Die Römerhöhe hinab stürzte Georg. Der Garten war bereits voll entsetzter Menschen; wo die Silberburg selbst sich erhoben hatte, befand sich jetzt ein hoher Trümmerhaufen, ein wüstes Durcheinander von Balken, Posten und Mauern, über das die Fackeln und Laternen einen blutrothen Schein warfen.</p><lb/> <p>Gottes Gericht! Gottes Gericht! rief das zitternde zum Tod erschrockene Volk von Rothenburg. </p><lb/> <p>Das letzte Recht! O Vater, Vater — das letzte Recht! schrie Georg Kindler in namenlosem Schauder.— </p><lb/> <p>Den Eindruck eines Gottesurteils hatte dieses schreckliche Ereigniß, welche so kühne und stolze Hoffnungen und Pläne im Augenblick der Erfüllung zu nichte machte, auf die ganze Stadt Rothenburg, Geistlichkeit, Rath und Bürgerschaft — Patricier und Plebejer gemacht, und unter diesem Eindruck erkannte man dem alten Friedrich Martin Kindler den Besitz des Trümmerhaufens, welcher einst ein so stolzes Haus gewesen war, einstimmig zu. Während die arme Laurentia auf der Römerhöhe langsam sich erholte und sich zurechtfand in dem Geschehenen, wurden die Trümmer aufgeräumt, die Leichen des Scharfrichters Wolf Scheffer und des weiland Zinsmeisters Christian Jakob Heyliger gefunden und mit ihnen die zertrümmerten Truhen mit den Geldsäcken, Kostbarkeiten und Documenten, wie sie Scheffer zuletzt darin geordnet hatte. In aller Stille wurden die Leichen begraben, und dicht nebeneinander fanden sie ihre Stelle an der Kirchhofsmauer.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
Die Römerhöhe hinab stürzte Georg. Der Garten war bereits voll entsetzter Menschen; wo die Silberburg selbst sich erhoben hatte, befand sich jetzt ein hoher Trümmerhaufen, ein wüstes Durcheinander von Balken, Posten und Mauern, über das die Fackeln und Laternen einen blutrothen Schein warfen.
Gottes Gericht! Gottes Gericht! rief das zitternde zum Tod erschrockene Volk von Rothenburg.
Das letzte Recht! O Vater, Vater — das letzte Recht! schrie Georg Kindler in namenlosem Schauder.—
Den Eindruck eines Gottesurteils hatte dieses schreckliche Ereigniß, welche so kühne und stolze Hoffnungen und Pläne im Augenblick der Erfüllung zu nichte machte, auf die ganze Stadt Rothenburg, Geistlichkeit, Rath und Bürgerschaft — Patricier und Plebejer gemacht, und unter diesem Eindruck erkannte man dem alten Friedrich Martin Kindler den Besitz des Trümmerhaufens, welcher einst ein so stolzes Haus gewesen war, einstimmig zu. Während die arme Laurentia auf der Römerhöhe langsam sich erholte und sich zurechtfand in dem Geschehenen, wurden die Trümmer aufgeräumt, die Leichen des Scharfrichters Wolf Scheffer und des weiland Zinsmeisters Christian Jakob Heyliger gefunden und mit ihnen die zertrümmerten Truhen mit den Geldsäcken, Kostbarkeiten und Documenten, wie sie Scheffer zuletzt darin geordnet hatte. In aller Stille wurden die Leichen begraben, und dicht nebeneinander fanden sie ihre Stelle an der Kirchhofsmauer.
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Zitationshilfe: | Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/76>, abgerufen am 15.08.2024. |