Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.I. Als das heilige römische Reich noch aufrecht stand, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, waren, wie der geschichtskundige großgünstige Leser weiß, im Südwesten des armen, blutenden, knochenkranken Deutschlands die freien Städte so häufig wie die Pilze, und die unmittelbare Reichsritterschaft war noch häufiger. Mit letzterer beschäftigen wir uns vielleicht später einmal, wenn uns Gott das Leben schenkt; heute wollen wir eine Geschichte erzählen, welche in einer jener Städte vorging, die der arggerupfte kaiserliche Adler mit seinen kraftlosen Flügeln überschattete, in einem winzigen, lieblich gelegenen Ding mit uralten moosigen Mauern, Thürmen und Thoren, zwei alten Kirchen, wenig Nahrung und Verkehr, aber viel schwarzbemäntelten, gravitätischen, perrückentragenden Rathsherren und Patriziern und einem Bürgermeister, der an gravitas natürlich Geschlechter und Plebejer weit und hoch übertraf. Rothenburg im Thal wollen wir das Städtlein nennen, obgleich es nicht so hieß; Hindernisse, die wir nicht I. Als das heilige römische Reich noch aufrecht stand, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, waren, wie der geschichtskundige großgünstige Leser weiß, im Südwesten des armen, blutenden, knochenkranken Deutschlands die freien Städte so häufig wie die Pilze, und die unmittelbare Reichsritterschaft war noch häufiger. Mit letzterer beschäftigen wir uns vielleicht später einmal, wenn uns Gott das Leben schenkt; heute wollen wir eine Geschichte erzählen, welche in einer jener Städte vorging, die der arggerupfte kaiserliche Adler mit seinen kraftlosen Flügeln überschattete, in einem winzigen, lieblich gelegenen Ding mit uralten moosigen Mauern, Thürmen und Thoren, zwei alten Kirchen, wenig Nahrung und Verkehr, aber viel schwarzbemäntelten, gravitätischen, perrückentragenden Rathsherren und Patriziern und einem Bürgermeister, der an gravitas natürlich Geschlechter und Plebejer weit und hoch übertraf. Rothenburg im Thal wollen wir das Städtlein nennen, obgleich es nicht so hieß; Hindernisse, die wir nicht <TEI> <text> <pb facs="#f0007"/> <body> <div type="chapter" n="1"> <head>I.</head> <p>Als das heilige römische Reich noch aufrecht stand, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, waren, wie der geschichtskundige großgünstige Leser weiß, im Südwesten des armen, blutenden, knochenkranken Deutschlands die freien Städte so häufig wie die Pilze, und die unmittelbare Reichsritterschaft war noch häufiger. Mit letzterer beschäftigen wir uns vielleicht später einmal, wenn uns Gott das Leben schenkt; heute wollen wir eine Geschichte erzählen, welche in einer jener Städte vorging, die der arggerupfte kaiserliche Adler mit seinen kraftlosen Flügeln überschattete, in einem winzigen, lieblich gelegenen Ding mit uralten moosigen Mauern, Thürmen und Thoren, zwei alten Kirchen, wenig Nahrung und Verkehr, aber viel schwarzbemäntelten, gravitätischen, perrückentragenden Rathsherren und Patriziern und einem Bürgermeister, der an gravitas natürlich Geschlechter und Plebejer weit und hoch übertraf.</p><lb/> <p>Rothenburg im Thal wollen wir das Städtlein nennen, obgleich es nicht so hieß; Hindernisse, die wir nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
I. Als das heilige römische Reich noch aufrecht stand, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, waren, wie der geschichtskundige großgünstige Leser weiß, im Südwesten des armen, blutenden, knochenkranken Deutschlands die freien Städte so häufig wie die Pilze, und die unmittelbare Reichsritterschaft war noch häufiger. Mit letzterer beschäftigen wir uns vielleicht später einmal, wenn uns Gott das Leben schenkt; heute wollen wir eine Geschichte erzählen, welche in einer jener Städte vorging, die der arggerupfte kaiserliche Adler mit seinen kraftlosen Flügeln überschattete, in einem winzigen, lieblich gelegenen Ding mit uralten moosigen Mauern, Thürmen und Thoren, zwei alten Kirchen, wenig Nahrung und Verkehr, aber viel schwarzbemäntelten, gravitätischen, perrückentragenden Rathsherren und Patriziern und einem Bürgermeister, der an gravitas natürlich Geschlechter und Plebejer weit und hoch übertraf.
Rothenburg im Thal wollen wir das Städtlein nennen, obgleich es nicht so hieß; Hindernisse, die wir nicht
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