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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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war aber deßhalb so verwildert, weil Christian Heyliger niemals aus den Hinterfenstern seines Hauses blickte. Ein solches Ausschauen hätte ihm auch den Lug ins Land gezeigt, und den Anblick desselben konnte er nicht ertragen. Das hatte folgenden Grund. Der alte, strumpsstrickende Stadtsoldat auf der Römerhöhe war nicht immer ein armer Kerl im Gnadenbrod der Stadt gewesen, hatte nicht immer Strümpfe gestrickt, am Hungertuche genagt und Trübsal geblasen.

Einst hatte er selbst in der Silberburg gewohnt, und manch' ein schöner Acker und Weinberg auf der städtischen Feldmark war sein Eigenthum gewesen. Daß solches nicht mehr so war, daran war der Zinsmeister Christian Jakob Heyliger und das Reichskammergericht zu Regensburg Schuld. Ersterer hatte den Proceß, welcher den armen Kindler zum Bettler und strumpfstrickenden Stadtsoldaten machte, angezettelt und mit Kunst eingeleitet; letzteres hatte ihn -- ausnahmsweise einmal unbegreiflich schnell -- entschieden zu Gunsten des Zinsmeisters. So mußte Friedrich Martin Kindler aus seinem Hause zur Silberburg, welches im Jahre 1675 noch keine schiefen Giebel und geborstenen Mauern, keine erblindeten Fenster und wurmzerfressenen Balken hatte, heraus ins Elend, und hätte sich der Rath und das ziemlich hart angegriffene Rechtsgefühl der Stadt seiner nicht erbarmt, er wäre dem bittersten Mangel preisgegeben gewesen. Friedrich Kindler erhielt einen kleinen Posten im Weg- und Stegamt; aber sein armer Kopf war durch das Un-

war aber deßhalb so verwildert, weil Christian Heyliger niemals aus den Hinterfenstern seines Hauses blickte. Ein solches Ausschauen hätte ihm auch den Lug ins Land gezeigt, und den Anblick desselben konnte er nicht ertragen. Das hatte folgenden Grund. Der alte, strumpsstrickende Stadtsoldat auf der Römerhöhe war nicht immer ein armer Kerl im Gnadenbrod der Stadt gewesen, hatte nicht immer Strümpfe gestrickt, am Hungertuche genagt und Trübsal geblasen.

Einst hatte er selbst in der Silberburg gewohnt, und manch' ein schöner Acker und Weinberg auf der städtischen Feldmark war sein Eigenthum gewesen. Daß solches nicht mehr so war, daran war der Zinsmeister Christian Jakob Heyliger und das Reichskammergericht zu Regensburg Schuld. Ersterer hatte den Proceß, welcher den armen Kindler zum Bettler und strumpfstrickenden Stadtsoldaten machte, angezettelt und mit Kunst eingeleitet; letzteres hatte ihn — ausnahmsweise einmal unbegreiflich schnell — entschieden zu Gunsten des Zinsmeisters. So mußte Friedrich Martin Kindler aus seinem Hause zur Silberburg, welches im Jahre 1675 noch keine schiefen Giebel und geborstenen Mauern, keine erblindeten Fenster und wurmzerfressenen Balken hatte, heraus ins Elend, und hätte sich der Rath und das ziemlich hart angegriffene Rechtsgefühl der Stadt seiner nicht erbarmt, er wäre dem bittersten Mangel preisgegeben gewesen. Friedrich Kindler erhielt einen kleinen Posten im Weg- und Stegamt; aber sein armer Kopf war durch das Un-

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[0019] war aber deßhalb so verwildert, weil Christian Heyliger niemals aus den Hinterfenstern seines Hauses blickte. Ein solches Ausschauen hätte ihm auch den Lug ins Land gezeigt, und den Anblick desselben konnte er nicht ertragen. Das hatte folgenden Grund. Der alte, strumpsstrickende Stadtsoldat auf der Römerhöhe war nicht immer ein armer Kerl im Gnadenbrod der Stadt gewesen, hatte nicht immer Strümpfe gestrickt, am Hungertuche genagt und Trübsal geblasen. Einst hatte er selbst in der Silberburg gewohnt, und manch' ein schöner Acker und Weinberg auf der städtischen Feldmark war sein Eigenthum gewesen. Daß solches nicht mehr so war, daran war der Zinsmeister Christian Jakob Heyliger und das Reichskammergericht zu Regensburg Schuld. Ersterer hatte den Proceß, welcher den armen Kindler zum Bettler und strumpfstrickenden Stadtsoldaten machte, angezettelt und mit Kunst eingeleitet; letzteres hatte ihn — ausnahmsweise einmal unbegreiflich schnell — entschieden zu Gunsten des Zinsmeisters. So mußte Friedrich Martin Kindler aus seinem Hause zur Silberburg, welches im Jahre 1675 noch keine schiefen Giebel und geborstenen Mauern, keine erblindeten Fenster und wurmzerfressenen Balken hatte, heraus ins Elend, und hätte sich der Rath und das ziemlich hart angegriffene Rechtsgefühl der Stadt seiner nicht erbarmt, er wäre dem bittersten Mangel preisgegeben gewesen. Friedrich Kindler erhielt einen kleinen Posten im Weg- und Stegamt; aber sein armer Kopf war durch das Un-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/19>, abgerufen am 25.11.2024.