Er saß, an allen Gliedern zitternd, nieder auf dem Stuhl neben dem Tische, auf dem gestern Abend Knecht Heinrich mit seiner Kreide den Lauf der Weser und die Stellung der kriegführenden Partheien hingemalt hatte. Er saß hin in seinem nur durch ein Wunder unan¬ getastet verbliebenen Altentheil:
"Ist es denn die Möglichkeit? Rundum auf Meilen und Meilen Weges Alles ruinirt und mir -- mir -- o mir allein solche Gnade und Barmherzigkeit! Herr, womit habe ich armer unnützer Sünder diese Ausneh¬ mung und Verschonung verdient?"
Er erhob sich wieder vom Stuhl, stand inmitten seines Gemachs und schlug die Hände zusammen wie ein sich verwunderndes Kind. Doch nun traf im letzten Tageslicht sein Auge auf Zeichen, daß doch Jemand, trotz verschlossen gebliebener Thür, im Museo anwesend gewesen sei und nicht ganz so bescheiden und zierlich gehauset habe, wie es sich für einen höflichen und frommen Gast gezieme. Es lag der Suppennapf aus der Küche der Frau Klosteramtmännin in Scherben am Boden, ebenso der Teller, auf dem der letzte Häring aus der Speisekammer von Amelungsborn gelegen hatte. Ein Buch lag in Fetzen zerrissen unter dem Tische und einzelne Blätter daraus waren durch die ganze Zelle verstreuet.
Magister Buchius bückte sich natürlich zuerst nach dem Buche; und mit jeder Einzelnheit stand ihm nunmehr der vergangene Abend, der Abend des
Er ſaß, an allen Gliedern zitternd, nieder auf dem Stuhl neben dem Tiſche, auf dem geſtern Abend Knecht Heinrich mit ſeiner Kreide den Lauf der Weſer und die Stellung der kriegführenden Partheien hingemalt hatte. Er ſaß hin in ſeinem nur durch ein Wunder unan¬ getaſtet verbliebenen Altentheil:
„Iſt es denn die Möglichkeit? Rundum auf Meilen und Meilen Weges Alles ruinirt und mir — mir — o mir allein ſolche Gnade und Barmherzigkeit! Herr, womit habe ich armer unnützer Sünder dieſe Ausneh¬ mung und Verſchonung verdient?“
Er erhob ſich wieder vom Stuhl, ſtand inmitten ſeines Gemachs und ſchlug die Hände zuſammen wie ein ſich verwunderndes Kind. Doch nun traf im letzten Tageslicht ſein Auge auf Zeichen, daß doch Jemand, trotz verſchloſſen gebliebener Thür, im Muſeo anweſend geweſen ſei und nicht ganz ſo beſcheiden und zierlich gehauſet habe, wie es ſich für einen höflichen und frommen Gaſt gezieme. Es lag der Suppennapf aus der Küche der Frau Kloſteramtmännin in Scherben am Boden, ebenſo der Teller, auf dem der letzte Häring aus der Speiſekammer von Amelungsborn gelegen hatte. Ein Buch lag in Fetzen zerriſſen unter dem Tiſche und einzelne Blätter daraus waren durch die ganze Zelle verſtreuet.
Magiſter Buchius bückte ſich natürlich zuerſt nach dem Buche; und mit jeder Einzelnheit ſtand ihm nunmehr der vergangene Abend, der Abend des
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0302"n="294"/><p>Er ſaß, an allen Gliedern zitternd, nieder auf dem<lb/>
Stuhl neben dem Tiſche, auf dem geſtern Abend Knecht<lb/>
Heinrich mit ſeiner Kreide den Lauf der Weſer und die<lb/>
Stellung der kriegführenden Partheien hingemalt hatte.<lb/>
Er ſaß hin in ſeinem nur durch ein Wunder unan¬<lb/>
getaſtet verbliebenen Altentheil:</p><lb/><p>„Iſt es denn die Möglichkeit? Rundum auf Meilen<lb/>
und Meilen Weges Alles ruinirt und mir — mir —<lb/>
o mir allein ſolche Gnade und Barmherzigkeit! Herr,<lb/>
womit habe ich armer unnützer Sünder dieſe Ausneh¬<lb/>
mung und Verſchonung verdient?“</p><lb/><p>Er erhob ſich wieder vom Stuhl, ſtand inmitten<lb/>ſeines Gemachs und ſchlug die Hände zuſammen wie<lb/>
ein ſich verwunderndes Kind. Doch nun traf im<lb/>
letzten Tageslicht ſein Auge auf Zeichen, daß doch<lb/>
Jemand, trotz verſchloſſen gebliebener Thür, im Muſeo<lb/>
anweſend geweſen ſei und nicht ganz ſo beſcheiden und<lb/>
zierlich gehauſet habe, wie es ſich für einen höflichen<lb/>
und frommen Gaſt gezieme. Es lag der Suppennapf<lb/>
aus der Küche der Frau Kloſteramtmännin in Scherben<lb/>
am Boden, ebenſo der Teller, auf dem der letzte Häring<lb/>
aus der Speiſekammer von Amelungsborn gelegen hatte.<lb/>
Ein Buch lag in Fetzen zerriſſen unter dem Tiſche und<lb/>
einzelne Blätter daraus waren durch die ganze Zelle<lb/>
verſtreuet.</p><lb/><p>Magiſter Buchius bückte ſich natürlich zuerſt nach<lb/>
dem Buche; und mit jeder Einzelnheit ſtand ihm<lb/>
nunmehr der vergangene Abend, der Abend des<lb/></p></div></body></text></TEI>
[294/0302]
Er ſaß, an allen Gliedern zitternd, nieder auf dem
Stuhl neben dem Tiſche, auf dem geſtern Abend Knecht
Heinrich mit ſeiner Kreide den Lauf der Weſer und die
Stellung der kriegführenden Partheien hingemalt hatte.
Er ſaß hin in ſeinem nur durch ein Wunder unan¬
getaſtet verbliebenen Altentheil:
„Iſt es denn die Möglichkeit? Rundum auf Meilen
und Meilen Weges Alles ruinirt und mir — mir —
o mir allein ſolche Gnade und Barmherzigkeit! Herr,
womit habe ich armer unnützer Sünder dieſe Ausneh¬
mung und Verſchonung verdient?“
Er erhob ſich wieder vom Stuhl, ſtand inmitten
ſeines Gemachs und ſchlug die Hände zuſammen wie
ein ſich verwunderndes Kind. Doch nun traf im
letzten Tageslicht ſein Auge auf Zeichen, daß doch
Jemand, trotz verſchloſſen gebliebener Thür, im Muſeo
anweſend geweſen ſei und nicht ganz ſo beſcheiden und
zierlich gehauſet habe, wie es ſich für einen höflichen
und frommen Gaſt gezieme. Es lag der Suppennapf
aus der Küche der Frau Kloſteramtmännin in Scherben
am Boden, ebenſo der Teller, auf dem der letzte Häring
aus der Speiſekammer von Amelungsborn gelegen hatte.
Ein Buch lag in Fetzen zerriſſen unter dem Tiſche und
einzelne Blätter daraus waren durch die ganze Zelle
verſtreuet.
Magiſter Buchius bückte ſich natürlich zuerſt nach
dem Buche; und mit jeder Einzelnheit ſtand ihm
nunmehr der vergangene Abend, der Abend des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/302>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.