jetzt die Frau Nachbarin Agathe. "O, mein Charles! mein armer herrlicher Charles! mein Einziger! Ich weiß das ja nur zu gut, wie ihr hier über ihn denkt. Glaubt ihr, ihr hättet es mir diese langen schreck¬ lichen Jahre durch nicht merken lassen? Wenn auch nicht durch Worte, doch auf jede mögliche andere Weise! Und nun schreibt er: wir könnten anfangen, die Fühlhörner wieder aus dem Schneckenhause zu stecken, er thue es auch. Elly, die Schneiderin kommt doch übermorgen gewiß? O Gott und wenn ich dann mit meinem vollen Herzen zu euch komme, so sitzt ihr da und zieht Gesichter in mein Glück; der Eine auf die eine Weise, der Andere auf die andere. Ich bin ja ganz gewiß dankbar und weiß, wie sehr ich euch für so manche Güte verpflichtet bin; aber ich weiß auch, daß Charles ganz gewiß seine und meine Schuld bei euch abtragen wird. Dem Himmel sei Dank, daß ich mir und meinem armen Kinde bald nicht mehr jeden armseligen Fetzen auf dem Leibe nachrechnen lassen muß! Und, Amalie, Hartleben will ich ja auch fürs erste noch nicht mein entsetzliches Unterkommen bei ihm kündigen und mich nach einer anständigeren Wohnung in der Stadt um¬ sehen. Fragt doch nur Ellen, ob wir nicht ganz genau wissen, was wir an dem Vogelsang haben, wenigstens bis jetzt gehabt haben. Nur noch eine
jetzt die Frau Nachbarin Agathe. „O, mein Charles! mein armer herrlicher Charles! mein Einziger! Ich weiß das ja nur zu gut, wie ihr hier über ihn denkt. Glaubt ihr, ihr hättet es mir dieſe langen ſchreck¬ lichen Jahre durch nicht merken laſſen? Wenn auch nicht durch Worte, doch auf jede mögliche andere Weiſe! Und nun ſchreibt er: wir könnten anfangen, die Fühlhörner wieder aus dem Schneckenhauſe zu ſtecken, er thue es auch. Elly, die Schneiderin kommt doch übermorgen gewiß? O Gott und wenn ich dann mit meinem vollen Herzen zu euch komme, ſo ſitzt ihr da und zieht Geſichter in mein Glück; der Eine auf die eine Weiſe, der Andere auf die andere. Ich bin ja ganz gewiß dankbar und weiß, wie ſehr ich euch für ſo manche Güte verpflichtet bin; aber ich weiß auch, daß Charles ganz gewiß ſeine und meine Schuld bei euch abtragen wird. Dem Himmel ſei Dank, daß ich mir und meinem armen Kinde bald nicht mehr jeden armſeligen Fetzen auf dem Leibe nachrechnen laſſen muß! Und, Amalie, Hartleben will ich ja auch fürs erſte noch nicht mein entſetzliches Unterkommen bei ihm kündigen und mich nach einer anſtändigeren Wohnung in der Stadt um¬ ſehen. Fragt doch nur Ellen, ob wir nicht ganz genau wiſſen, was wir an dem Vogelſang haben, wenigſtens bis jetzt gehabt haben. Nur noch eine
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jetzt die Frau Nachbarin Agathe. „O, mein Charles!
mein armer herrlicher Charles! mein Einziger! Ich
weiß das ja nur zu gut, wie ihr hier über ihn denkt.
Glaubt ihr, ihr hättet es mir dieſe langen ſchreck¬
lichen Jahre durch nicht merken laſſen? Wenn auch
nicht durch Worte, doch auf jede mögliche andere
Weiſe! Und nun ſchreibt er: wir könnten anfangen,
die Fühlhörner wieder aus dem Schneckenhauſe zu
ſtecken, er thue es auch. Elly, die Schneiderin kommt
doch übermorgen gewiß? O Gott und wenn ich
dann mit meinem vollen Herzen zu euch komme,
ſo ſitzt ihr da und zieht Geſichter in mein Glück;
der Eine auf die eine Weiſe, der Andere auf die
andere. Ich bin ja ganz gewiß dankbar und weiß,
wie ſehr ich euch für ſo manche Güte verpflichtet
bin; aber ich weiß auch, daß Charles ganz gewiß
ſeine und meine Schuld bei euch abtragen wird.
Dem Himmel ſei Dank, daß ich mir und meinem
armen Kinde bald nicht mehr jeden armſeligen Fetzen
auf dem Leibe nachrechnen laſſen muß! Und, Amalie,
Hartleben will ich ja auch fürs erſte noch nicht mein
entſetzliches Unterkommen bei ihm kündigen und mich
nach einer anſtändigeren Wohnung in der Stadt um¬
ſehen. Fragt doch nur Ellen, ob wir nicht ganz
genau wiſſen, was wir an dem Vogelſang haben,
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/68>, abgerufen am 24.11.2024.
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