Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir, Velten und ich, waren ungefähr zehn oder
zwölf Jahre alt, als wir anfingen, mehr und mehr
aufzuhorchen, wenn in unsere Kinderspiele, Schul¬
arbeiten und Dummejungenstreiche der Name Trotzen¬
dorff hineinklang, mit bedenklichem Kopfschütteln von
Seiten meiner Eltern, mit bedauerndem von Seiten der
Mutter Veltens. Da hieß es in unserm Hause:
"Konnte man das nicht voraussehen?" und im Nachbar¬
hause: "Die arme Agathe!" Bei uns: "Der Schwindler
mußte ja zu diesem Ende kommen, und nun schickt er
uns das leichtsinnige Geschöpf, seine Frau, auch gar
noch wieder über den Hals!" Nebenan: "Mit so einem
armen kleinen Kinde! Und so weit her, über die
See; ganz allein mit dem kleinen Mädchen über das
große Meer!"

Die weite See, wo Robinson Crusoe seine
Wunderinsel fand und wir, Velten und ich, so gern
eben eine solche gesucht hätten; -- das große Meer,
über welches Sindbad der Seefahrer schiffte und seine
tausend und ein Abenteuer erlebte, über welches
Wittington (dreimal Lord Mayor von London) seine
Katze verhandelte und vom Negerkönig drei Säcke
voll Goldstaub für das brave Thier zurückempfing:
das war es, was natürlich zuerst unsere Knaben¬
phantasie erregte.

"Du," sagte Velten, "es kommt eine Frau mit

Wir, Velten und ich, waren ungefähr zehn oder
zwölf Jahre alt, als wir anfingen, mehr und mehr
aufzuhorchen, wenn in unſere Kinderſpiele, Schul¬
arbeiten und Dummejungenſtreiche der Name Trotzen¬
dorff hineinklang, mit bedenklichem Kopfſchütteln von
Seiten meiner Eltern, mit bedauerndem von Seiten der
Mutter Veltens. Da hieß es in unſerm Hauſe:
„Konnte man das nicht vorausſehen?“ und im Nachbar¬
hauſe: „Die arme Agathe!“ Bei uns: „Der Schwindler
mußte ja zu dieſem Ende kommen, und nun ſchickt er
uns das leichtſinnige Geſchöpf, ſeine Frau, auch gar
noch wieder über den Hals!“ Nebenan: „Mit ſo einem
armen kleinen Kinde! Und ſo weit her, über die
See; ganz allein mit dem kleinen Mädchen über das
große Meer!“

Die weite See, wo Robinſon Cruſoe ſeine
Wunderinſel fand und wir, Velten und ich, ſo gern
eben eine ſolche geſucht hätten; — das große Meer,
über welches Sindbad der Seefahrer ſchiffte und ſeine
tauſend und ein Abenteuer erlebte, über welches
Wittington (dreimal Lord Mayor von London) ſeine
Katze verhandelte und vom Negerkönig drei Säcke
voll Goldſtaub für das brave Thier zurückempfing:
das war es, was natürlich zuerſt unſere Knaben¬
phantaſie erregte.

„Du,“ ſagte Velten, „es kommt eine Frau mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0034" n="24"/>
      <p>Wir, Velten und ich, waren ungefähr zehn oder<lb/>
zwölf Jahre alt, als wir anfingen, mehr und mehr<lb/>
aufzuhorchen, wenn in un&#x017F;ere Kinder&#x017F;piele, Schul¬<lb/>
arbeiten und Dummejungen&#x017F;treiche der Name Trotzen¬<lb/>
dorff hineinklang, mit bedenklichem Kopf&#x017F;chütteln von<lb/>
Seiten meiner Eltern, mit bedauerndem von Seiten der<lb/>
Mutter Veltens. Da hieß es in un&#x017F;erm Hau&#x017F;e:<lb/>
&#x201E;Konnte man das nicht voraus&#x017F;ehen?&#x201C; und im Nachbar¬<lb/>
hau&#x017F;e: &#x201E;Die arme Agathe!&#x201C; Bei uns: &#x201E;Der Schwindler<lb/>
mußte ja zu die&#x017F;em Ende kommen, und nun &#x017F;chickt er<lb/>
uns das leicht&#x017F;innige Ge&#x017F;chöpf, &#x017F;eine Frau, auch gar<lb/>
noch wieder über den Hals!&#x201C; Nebenan: &#x201E;Mit &#x017F;o einem<lb/>
armen kleinen Kinde! Und &#x017F;o weit her, über die<lb/>
See; ganz allein mit dem kleinen Mädchen über das<lb/>
große Meer!&#x201C;</p><lb/>
      <p>Die weite See, wo Robin&#x017F;on Cru&#x017F;oe &#x017F;eine<lb/>
Wunderin&#x017F;el fand und wir, Velten und ich, &#x017F;o gern<lb/>
eben eine &#x017F;olche ge&#x017F;ucht hätten; &#x2014; das große Meer,<lb/>
über welches Sindbad der Seefahrer &#x017F;chiffte und &#x017F;eine<lb/>
tau&#x017F;end und ein Abenteuer erlebte, über welches<lb/>
Wittington (dreimal Lord Mayor von London) &#x017F;eine<lb/>
Katze verhandelte und vom Negerkönig drei Säcke<lb/>
voll Gold&#x017F;taub für das brave Thier zurückempfing:<lb/>
das war es, was natürlich zuer&#x017F;t un&#x017F;ere Knaben¬<lb/>
phanta&#x017F;ie erregte.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Du,&#x201C; &#x017F;agte Velten, &#x201E;es kommt eine Frau mit<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0034] Wir, Velten und ich, waren ungefähr zehn oder zwölf Jahre alt, als wir anfingen, mehr und mehr aufzuhorchen, wenn in unſere Kinderſpiele, Schul¬ arbeiten und Dummejungenſtreiche der Name Trotzen¬ dorff hineinklang, mit bedenklichem Kopfſchütteln von Seiten meiner Eltern, mit bedauerndem von Seiten der Mutter Veltens. Da hieß es in unſerm Hauſe: „Konnte man das nicht vorausſehen?“ und im Nachbar¬ hauſe: „Die arme Agathe!“ Bei uns: „Der Schwindler mußte ja zu dieſem Ende kommen, und nun ſchickt er uns das leichtſinnige Geſchöpf, ſeine Frau, auch gar noch wieder über den Hals!“ Nebenan: „Mit ſo einem armen kleinen Kinde! Und ſo weit her, über die See; ganz allein mit dem kleinen Mädchen über das große Meer!“ Die weite See, wo Robinſon Cruſoe ſeine Wunderinſel fand und wir, Velten und ich, ſo gern eben eine ſolche geſucht hätten; — das große Meer, über welches Sindbad der Seefahrer ſchiffte und ſeine tauſend und ein Abenteuer erlebte, über welches Wittington (dreimal Lord Mayor von London) ſeine Katze verhandelte und vom Negerkönig drei Säcke voll Goldſtaub für das brave Thier zurückempfing: das war es, was natürlich zuerſt unſere Knaben¬ phantaſie erregte. „Du,“ ſagte Velten, „es kommt eine Frau mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/34
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/34>, abgerufen am 21.11.2024.