Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Bin ich nicht heute der Einzige von uns Dreien, der
seine gesunden fünf Sinne exakt und pragmatisch bei
einander gehalten und es nach bürgerlichen Begriffen
(sehr wohl berechtigten!) zu einer soliden Existenz in
der schwankenden Erdenwelt gebracht hat? Und hält
mich dieser alte Zauber heute nicht mehr denn je --
der Zauber der Nachbarschaft, trotzdem daß Velten
Andres und Helene Trotzendorff auf anderen Wegen
und, nach unseren bürgerlichen Begriffen, verloren ge¬
gangen sind in der Welt und die Welt nicht gewonnen
haben? Wenigstens der arme Velten. Die hundert¬
fache Millionärin, die Wittwe Mungo, geborene
Trotzendorff, ist ja wohl nicht ganz so sehr zu beachsel¬
zucken wie der ganz verrückte Mensch, der arme kuriose
Kerl, der Andres! Schade um ihn, wozu hätte der
es mit seinen Talenten und seinen vielen guten
Gelegenheiten, es zu was zu bringen, es in der Welt
zu etwas bringen können!

Aber pragmatisch, pragmatisch, Karl Krumhardt!
Das heißt referire Dir selber so werkmäßig als
möglich, Oberregierungsrath Doctor juris Krumhardt,
um Dir selber wenigstens Deinen Standpunkt in
Sachen Andres contra Trotzendorff oder umgekehrt
klar zu halten. Wenn nicht wegen eines anderen
Publikums, möchte es Deiner Kinder wegen wohl der
Mühe werth sein.

Bin ich nicht heute der Einzige von uns Dreien, der
ſeine geſunden fünf Sinne exakt und pragmatiſch bei
einander gehalten und es nach bürgerlichen Begriffen
(ſehr wohl berechtigten!) zu einer ſoliden Exiſtenz in
der ſchwankenden Erdenwelt gebracht hat? Und hält
mich dieſer alte Zauber heute nicht mehr denn je —
der Zauber der Nachbarſchaft, trotzdem daß Velten
Andres und Helene Trotzendorff auf anderen Wegen
und, nach unſeren bürgerlichen Begriffen, verloren ge¬
gangen ſind in der Welt und die Welt nicht gewonnen
haben? Wenigſtens der arme Velten. Die hundert¬
fache Millionärin, die Wittwe Mungo, geborene
Trotzendorff, iſt ja wohl nicht ganz ſo ſehr zu beachſel¬
zucken wie der ganz verrückte Menſch, der arme kurioſe
Kerl, der Andres! Schade um ihn, wozu hätte der
es mit ſeinen Talenten und ſeinen vielen guten
Gelegenheiten, es zu was zu bringen, es in der Welt
zu etwas bringen können!

Aber pragmatiſch, pragmatiſch, Karl Krumhardt!
Das heißt referire Dir ſelber ſo werkmäßig als
möglich, Oberregierungsrath Doctor juris Krumhardt,
um Dir ſelber wenigſtens Deinen Standpunkt in
Sachen Andres contra Trotzendorff oder umgekehrt
klar zu halten. Wenn nicht wegen eines anderen
Publikums, möchte es Deiner Kinder wegen wohl der
Mühe werth ſein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0033" n="23"/>
Bin ich nicht heute der Einzige von uns Dreien, der<lb/>
&#x017F;eine ge&#x017F;unden fünf Sinne exakt und pragmati&#x017F;ch bei<lb/>
einander gehalten und es nach bürgerlichen Begriffen<lb/>
(&#x017F;ehr wohl berechtigten!) zu einer &#x017F;oliden Exi&#x017F;tenz in<lb/>
der &#x017F;chwankenden Erdenwelt gebracht hat? Und hält<lb/>
mich die&#x017F;er alte Zauber heute nicht mehr denn je &#x2014;<lb/>
der Zauber der Nachbar&#x017F;chaft, trotzdem daß Velten<lb/>
Andres und Helene Trotzendorff auf anderen Wegen<lb/>
und, nach un&#x017F;eren bürgerlichen Begriffen, verloren ge¬<lb/>
gangen &#x017F;ind in der Welt und die Welt nicht gewonnen<lb/>
haben? Wenig&#x017F;tens der arme Velten. Die hundert¬<lb/>
fache Millionärin, die Wittwe Mungo, geborene<lb/>
Trotzendorff, i&#x017F;t ja wohl nicht ganz &#x017F;o &#x017F;ehr zu beach&#x017F;el¬<lb/>
zucken wie der ganz verrückte Men&#x017F;ch, der arme kurio&#x017F;e<lb/>
Kerl, der Andres! Schade um ihn, wozu hätte der<lb/>
es mit &#x017F;einen Talenten und &#x017F;einen vielen guten<lb/>
Gelegenheiten, es zu was zu bringen, es in der Welt<lb/>
zu etwas bringen können!</p><lb/>
      <p>Aber pragmati&#x017F;ch, pragmati&#x017F;ch, Karl Krumhardt!<lb/>
Das heißt referire Dir &#x017F;elber &#x017F;o werkmäßig als<lb/>
möglich, Oberregierungsrath <hi rendition="#aq">Doctor juris</hi> Krumhardt,<lb/>
um Dir &#x017F;elber wenig&#x017F;tens Deinen Standpunkt in<lb/>
Sachen Andres <hi rendition="#aq">contra</hi> Trotzendorff oder umgekehrt<lb/>
klar zu halten. Wenn nicht wegen eines anderen<lb/>
Publikums, möchte es Deiner Kinder wegen wohl der<lb/>
Mühe werth &#x017F;ein.</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0033] Bin ich nicht heute der Einzige von uns Dreien, der ſeine geſunden fünf Sinne exakt und pragmatiſch bei einander gehalten und es nach bürgerlichen Begriffen (ſehr wohl berechtigten!) zu einer ſoliden Exiſtenz in der ſchwankenden Erdenwelt gebracht hat? Und hält mich dieſer alte Zauber heute nicht mehr denn je — der Zauber der Nachbarſchaft, trotzdem daß Velten Andres und Helene Trotzendorff auf anderen Wegen und, nach unſeren bürgerlichen Begriffen, verloren ge¬ gangen ſind in der Welt und die Welt nicht gewonnen haben? Wenigſtens der arme Velten. Die hundert¬ fache Millionärin, die Wittwe Mungo, geborene Trotzendorff, iſt ja wohl nicht ganz ſo ſehr zu beachſel¬ zucken wie der ganz verrückte Menſch, der arme kurioſe Kerl, der Andres! Schade um ihn, wozu hätte der es mit ſeinen Talenten und ſeinen vielen guten Gelegenheiten, es zu was zu bringen, es in der Welt zu etwas bringen können! Aber pragmatiſch, pragmatiſch, Karl Krumhardt! Das heißt referire Dir ſelber ſo werkmäßig als möglich, Oberregierungsrath Doctor juris Krumhardt, um Dir ſelber wenigſtens Deinen Standpunkt in Sachen Andres contra Trotzendorff oder umgekehrt klar zu halten. Wenn nicht wegen eines anderen Publikums, möchte es Deiner Kinder wegen wohl der Mühe werth ſein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/33
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/33>, abgerufen am 11.12.2024.