nicht bloß mit dem Schläger, sondern auch mit Mund, Hand und Herzen auf die Mensur tritt! Sehen Sie, Herr Oberregierungsrath, nacherzählen kann ich es nicht, aber verstanden und mitgefühlt habe ich, was da im letzten Monat zwischen diesen zwei Menschenkindern vorgegangen ist. Zusammen hätten Die nie kommen können, aber sich darüber aussprechen, wie sie durchs Leben gekommen sind, das konnten sie und das haben sie gethan und sind friedlich und ruhig voneinander geschieden -- ganz ruhig, viel, viel ruhiger als damals im Vorderhause, wo sie das Leben noch vor sich hatten. Aber -- großer Gott, das ist ja vollständig Nacht, und die arme Frau da drüben hat noch immer kein Licht!"
Völlig Nacht war es wohl noch nicht; aber volle Abenddämmerung freilich.
"Bitte, gehen Sie jetzt hinüber; ich komme mit der Lampe nach," sagte die Frau Fechtmeisterin, und zögernd, bangend erhob ich mich, betäubt, mühsam nach Athem ringend stand ich und suchte vergeblich nach irgend etwas in mir, was mir den wunderlich schweren, schreckenvollen Weg zu der Thür da drüben
nicht bloß mit dem Schläger, ſondern auch mit Mund, Hand und Herzen auf die Menſur tritt! Sehen Sie, Herr Oberregierungsrath, nacherzählen kann ich es nicht, aber verſtanden und mitgefühlt habe ich, was da im letzten Monat zwiſchen dieſen zwei Menſchenkindern vorgegangen iſt. Zuſammen hätten Die nie kommen können, aber ſich darüber ausſprechen, wie ſie durchs Leben gekommen ſind, das konnten ſie und das haben ſie gethan und ſind friedlich und ruhig voneinander geſchieden — ganz ruhig, viel, viel ruhiger als damals im Vorderhauſe, wo ſie das Leben noch vor ſich hatten. Aber — großer Gott, das iſt ja vollſtändig Nacht, und die arme Frau da drüben hat noch immer kein Licht!“
Völlig Nacht war es wohl noch nicht; aber volle Abenddämmerung freilich.
„Bitte, gehen Sie jetzt hinüber; ich komme mit der Lampe nach,“ ſagte die Frau Fechtmeiſterin, und zögernd, bangend erhob ich mich, betäubt, mühſam nach Athem ringend ſtand ich und ſuchte vergeblich nach irgend etwas in mir, was mir den wunderlich ſchweren, ſchreckenvollen Weg zu der Thür da drüben
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0311"n="301"/>
nicht bloß mit dem Schläger, ſondern auch mit Mund,<lb/>
Hand und Herzen auf die Menſur tritt! Sehen<lb/>
Sie, Herr Oberregierungsrath, nacherzählen kann ich<lb/>
es nicht, aber verſtanden und mitgefühlt habe ich,<lb/>
was da im letzten Monat zwiſchen dieſen zwei<lb/>
Menſchenkindern vorgegangen iſt. Zuſammen hätten<lb/>
Die nie kommen können, aber ſich darüber ausſprechen,<lb/>
wie ſie durchs Leben gekommen ſind, das konnten<lb/>ſie und das haben ſie gethan und ſind friedlich und<lb/>
ruhig voneinander geſchieden — ganz ruhig, viel,<lb/>
viel ruhiger als damals im Vorderhauſe, wo ſie das<lb/>
Leben noch vor ſich hatten. Aber — großer Gott,<lb/>
das iſt ja vollſtändig Nacht, und die arme Frau da<lb/>
drüben hat noch immer kein Licht!“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Völlig Nacht war es wohl noch nicht; aber volle<lb/>
Abenddämmerung freilich.</p><lb/><p>„Bitte, gehen Sie jetzt hinüber; ich komme mit<lb/>
der Lampe nach,“ſagte die Frau Fechtmeiſterin, und<lb/>
zögernd, bangend erhob ich mich, betäubt, mühſam<lb/>
nach Athem ringend ſtand ich und ſuchte vergeblich<lb/>
nach irgend etwas in mir, was mir den wunderlich<lb/>ſchweren, ſchreckenvollen Weg zu der Thür da drüben<lb/></p></body></text></TEI>
[301/0311]
nicht bloß mit dem Schläger, ſondern auch mit Mund,
Hand und Herzen auf die Menſur tritt! Sehen
Sie, Herr Oberregierungsrath, nacherzählen kann ich
es nicht, aber verſtanden und mitgefühlt habe ich,
was da im letzten Monat zwiſchen dieſen zwei
Menſchenkindern vorgegangen iſt. Zuſammen hätten
Die nie kommen können, aber ſich darüber ausſprechen,
wie ſie durchs Leben gekommen ſind, das konnten
ſie und das haben ſie gethan und ſind friedlich und
ruhig voneinander geſchieden — ganz ruhig, viel,
viel ruhiger als damals im Vorderhauſe, wo ſie das
Leben noch vor ſich hatten. Aber — großer Gott,
das iſt ja vollſtändig Nacht, und die arme Frau da
drüben hat noch immer kein Licht!“
Völlig Nacht war es wohl noch nicht; aber volle
Abenddämmerung freilich.
„Bitte, gehen Sie jetzt hinüber; ich komme mit
der Lampe nach,“ ſagte die Frau Fechtmeiſterin, und
zögernd, bangend erhob ich mich, betäubt, mühſam
nach Athem ringend ſtand ich und ſuchte vergeblich
nach irgend etwas in mir, was mir den wunderlich
ſchweren, ſchreckenvollen Weg zu der Thür da drüben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/311>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.