Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

daß er mit denselbigen, ich meine die Schrullen und
Grillen, nur bei mir eine Unterkunft gesucht hat.
Ja, er ist freilich nicht der einzige von meinen alten
Herren, dem gegenüber ich die Jüngere geblieben
bin mit Gottes gnädigem Beistand. Aber da brauchen
Sie nur auf die Straße hinauszugucken: wenn so
Eine von uns über ihre Jugendschwäche herausge¬
kommen ist, da weiß sie schon ihren ihr vom Herrgott
anbefohlenen Wackelkopf und Knickebein auch an der
Linden- und Friedrichstraßenecke durchs Gewühl zu
dirigiren. Überheben Sie sich ja nicht über Ihre
liebe Frau unbekannterweise, Herr Krumhardt. Wenn
Sie die jetzt gut behandeln und handhaben, thut die
Ihnen vielleicht auch noch mal das Gleiche."

Der letzte Schein der Herbstsonne war längst
von dem Stückchen Himmelszelt vor unserm Fenster
gewichen; die Dämmerung kam rasch, und ich hätte
gern hier das Protokoll abgekürzt; aber wenn wer
jetzt was zu den Akten zu geben hatte, so war das
doch die Frau Fechtmeisterin Feucht, und ich unterbrach
sie nicht durch überflüssige Bemerkungen meinerseits,
zumal sie selber sagte:

"Ich komme sofort auf die Hauptsache, Herr
Oberregierungsrath, aber ihr Herz hat Unsereine auch
voll bei solcher Sache!"

Ich konnte, nachdem sie sich die Augen getrocknet

daß er mit denſelbigen, ich meine die Schrullen und
Grillen, nur bei mir eine Unterkunft geſucht hat.
Ja, er iſt freilich nicht der einzige von meinen alten
Herren, dem gegenüber ich die Jüngere geblieben
bin mit Gottes gnädigem Beiſtand. Aber da brauchen
Sie nur auf die Straße hinauszugucken: wenn ſo
Eine von uns über ihre Jugendſchwäche herausge¬
kommen iſt, da weiß ſie ſchon ihren ihr vom Herrgott
anbefohlenen Wackelkopf und Knickebein auch an der
Linden- und Friedrichſtraßenecke durchs Gewühl zu
dirigiren. Überheben Sie ſich ja nicht über Ihre
liebe Frau unbekannterweiſe, Herr Krumhardt. Wenn
Sie die jetzt gut behandeln und handhaben, thut die
Ihnen vielleicht auch noch mal das Gleiche.“

Der letzte Schein der Herbſtſonne war längſt
von dem Stückchen Himmelszelt vor unſerm Fenſter
gewichen; die Dämmerung kam raſch, und ich hätte
gern hier das Protokoll abgekürzt; aber wenn wer
jetzt was zu den Akten zu geben hatte, ſo war das
doch die Frau Fechtmeiſterin Feucht, und ich unterbrach
ſie nicht durch überflüſſige Bemerkungen meinerſeits,
zumal ſie ſelber ſagte:

„Ich komme ſofort auf die Hauptſache, Herr
Oberregierungsrath, aber ihr Herz hat Unſereine auch
voll bei ſolcher Sache!“

Ich konnte, nachdem ſie ſich die Augen getrocknet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0308" n="298"/>
daß er mit den&#x017F;elbigen, ich meine die Schrullen und<lb/>
Grillen, nur bei mir eine Unterkunft ge&#x017F;ucht hat.<lb/>
Ja, er i&#x017F;t freilich nicht der einzige von meinen alten<lb/>
Herren, dem gegenüber ich die Jüngere geblieben<lb/>
bin mit Gottes gnädigem Bei&#x017F;tand. Aber da brauchen<lb/>
Sie nur auf die Straße hinauszugucken: wenn &#x017F;o<lb/>
Eine von uns über ihre Jugend&#x017F;chwäche herausge¬<lb/>
kommen i&#x017F;t, da weiß &#x017F;ie &#x017F;chon ihren ihr vom Herrgott<lb/>
anbefohlenen Wackelkopf und Knickebein auch an der<lb/>
Linden- und Friedrich&#x017F;traßenecke durchs Gewühl zu<lb/>
dirigiren. Überheben Sie &#x017F;ich ja nicht über Ihre<lb/>
liebe Frau unbekannterwei&#x017F;e, Herr Krumhardt. Wenn<lb/>
Sie die jetzt gut behandeln und handhaben, thut die<lb/>
Ihnen vielleicht auch noch mal das Gleiche.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Der letzte Schein der Herb&#x017F;t&#x017F;onne war läng&#x017F;t<lb/>
von dem Stückchen Himmelszelt vor un&#x017F;erm Fen&#x017F;ter<lb/>
gewichen; die Dämmerung kam ra&#x017F;ch, und ich hätte<lb/>
gern hier das Protokoll abgekürzt; aber wenn wer<lb/>
jetzt was zu den Akten zu geben hatte, &#x017F;o war das<lb/>
doch die Frau Fechtmei&#x017F;terin Feucht, und ich unterbrach<lb/>
&#x017F;ie nicht durch überflü&#x017F;&#x017F;ige Bemerkungen meiner&#x017F;eits,<lb/>
zumal &#x017F;ie &#x017F;elber &#x017F;agte:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Ich komme &#x017F;ofort auf die Haupt&#x017F;ache, Herr<lb/>
Oberregierungsrath, aber ihr Herz hat Un&#x017F;ereine auch<lb/>
voll bei &#x017F;olcher Sache!&#x201C;</p><lb/>
      <p>Ich konnte, nachdem &#x017F;ie &#x017F;ich die Augen getrocknet<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0308] daß er mit denſelbigen, ich meine die Schrullen und Grillen, nur bei mir eine Unterkunft geſucht hat. Ja, er iſt freilich nicht der einzige von meinen alten Herren, dem gegenüber ich die Jüngere geblieben bin mit Gottes gnädigem Beiſtand. Aber da brauchen Sie nur auf die Straße hinauszugucken: wenn ſo Eine von uns über ihre Jugendſchwäche herausge¬ kommen iſt, da weiß ſie ſchon ihren ihr vom Herrgott anbefohlenen Wackelkopf und Knickebein auch an der Linden- und Friedrichſtraßenecke durchs Gewühl zu dirigiren. Überheben Sie ſich ja nicht über Ihre liebe Frau unbekannterweiſe, Herr Krumhardt. Wenn Sie die jetzt gut behandeln und handhaben, thut die Ihnen vielleicht auch noch mal das Gleiche.“ Der letzte Schein der Herbſtſonne war längſt von dem Stückchen Himmelszelt vor unſerm Fenſter gewichen; die Dämmerung kam raſch, und ich hätte gern hier das Protokoll abgekürzt; aber wenn wer jetzt was zu den Akten zu geben hatte, ſo war das doch die Frau Fechtmeiſterin Feucht, und ich unterbrach ſie nicht durch überflüſſige Bemerkungen meinerſeits, zumal ſie ſelber ſagte: „Ich komme ſofort auf die Hauptſache, Herr Oberregierungsrath, aber ihr Herz hat Unſereine auch voll bei ſolcher Sache!“ Ich konnte, nachdem ſie ſich die Augen getrocknet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/308
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/308>, abgerufen am 24.11.2024.