Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

geschoben. Die Frau Fechtmeisterin Feucht allein
von uns Allen hatte ihr Eigenthum noch vollständig
beisammen, und da stand sie nun wie damals mit
dem Strickzeug in den Händen und dem Garnknäul
unter der Achsel und deutete plötzlich um sich herum
auf die Waffentrophäen und die ungezählten Schatten¬
bilder vergangener Burschenherrlichkeit und seufzte:

"Weshalb mußte Der, an den ich von euch
Allen als den Letzten mein ganzes Herz gehängt
hatte, mir so was zuleide thun? Setzen Sie sich,
Herr Oberregierungsrath."

Da saß sie mir wieder gegenüber, am Fenster
wie die Frau Doktern im Vogelsang, in ihrem Korb¬
stuhl und mit ihrem Strickzeug, aber diesmal Ge¬
spinnst und Knäul im Schooße und sagte:

"Er hat drüben -- jetzt bei der Frau Mungo,
einen Vers über sich an die Wand geschrieben, den
können Sie nachher lesen, jetzt aber muß ich es erst
von der Seele los sein, was ich mit ihm erlebt habe
-- ich, das alte, alte Weib, mit dem Kinde, ja mit
diesem Kinde, dem jungen Menschen!"

Sie hatte bei ihren Jahren wohl Recht, so von
Velten Andres und auch von uns Andern als Kindern
zu reden, und sie sprach auch wie eine märchener¬
zählende Großmutter in der Dämmerstunde; ich
konnte nur sitzen und hören.

geſchoben. Die Frau Fechtmeiſterin Feucht allein
von uns Allen hatte ihr Eigenthum noch vollſtändig
beiſammen, und da ſtand ſie nun wie damals mit
dem Strickzeug in den Händen und dem Garnknäul
unter der Achſel und deutete plötzlich um ſich herum
auf die Waffentrophäen und die ungezählten Schatten¬
bilder vergangener Burſchenherrlichkeit und ſeufzte:

„Weshalb mußte Der, an den ich von euch
Allen als den Letzten mein ganzes Herz gehängt
hatte, mir ſo was zuleide thun? Setzen Sie ſich,
Herr Oberregierungsrath.“

Da ſaß ſie mir wieder gegenüber, am Fenſter
wie die Frau Doktern im Vogelſang, in ihrem Korb¬
ſtuhl und mit ihrem Strickzeug, aber diesmal Ge¬
ſpinnſt und Knäul im Schooße und ſagte:

„Er hat drüben — jetzt bei der Frau Mungo,
einen Vers über ſich an die Wand geſchrieben, den
können Sie nachher leſen, jetzt aber muß ich es erſt
von der Seele los ſein, was ich mit ihm erlebt habe
— ich, das alte, alte Weib, mit dem Kinde, ja mit
dieſem Kinde, dem jungen Menſchen!“

Sie hatte bei ihren Jahren wohl Recht, ſo von
Velten Andres und auch von uns Andern als Kindern
zu reden, und ſie ſprach auch wie eine märchener¬
zählende Großmutter in der Dämmerſtunde; ich
konnte nur ſitzen und hören.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0302" n="292"/>
ge&#x017F;choben. Die Frau Fechtmei&#x017F;terin Feucht allein<lb/>
von uns Allen hatte ihr Eigenthum noch voll&#x017F;tändig<lb/>
bei&#x017F;ammen, und da &#x017F;tand &#x017F;ie nun wie damals mit<lb/>
dem Strickzeug in den Händen und dem Garnknäul<lb/>
unter der Ach&#x017F;el und deutete plötzlich um &#x017F;ich herum<lb/>
auf die Waffentrophäen und die ungezählten Schatten¬<lb/>
bilder vergangener Bur&#x017F;chenherrlichkeit und &#x017F;eufzte:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Weshalb mußte Der, an den ich von euch<lb/>
Allen als den Letzten mein ganzes Herz gehängt<lb/>
hatte, mir &#x017F;o was zuleide thun? Setzen Sie &#x017F;ich,<lb/>
Herr Oberregierungsrath.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Da &#x017F;&#x017F;ie mir wieder gegenüber, am Fen&#x017F;ter<lb/>
wie die Frau Doktern im Vogel&#x017F;ang, in ihrem Korb¬<lb/>
&#x017F;tuhl und mit ihrem Strickzeug, aber diesmal Ge¬<lb/>
&#x017F;pinn&#x017F;t und Knäul im Schooße und &#x017F;agte:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Er hat drüben &#x2014; jetzt bei der Frau Mungo,<lb/>
einen Vers über &#x017F;ich an die Wand ge&#x017F;chrieben, den<lb/>
können Sie nachher le&#x017F;en, jetzt aber muß ich es er&#x017F;t<lb/>
von der Seele los &#x017F;ein, was ich mit ihm erlebt habe<lb/>
&#x2014; ich, das alte, alte Weib, mit dem Kinde, ja mit<lb/>
die&#x017F;em Kinde, dem jungen Men&#x017F;chen!&#x201C;</p><lb/>
      <p>Sie hatte bei ihren Jahren wohl Recht, &#x017F;o von<lb/>
Velten Andres und auch von uns Andern als Kindern<lb/>
zu reden, und &#x017F;ie &#x017F;prach auch wie eine märchener¬<lb/>
zählende Großmutter in der Dämmer&#x017F;tunde; ich<lb/>
konnte nur &#x017F;itzen und hören.</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0302] geſchoben. Die Frau Fechtmeiſterin Feucht allein von uns Allen hatte ihr Eigenthum noch vollſtändig beiſammen, und da ſtand ſie nun wie damals mit dem Strickzeug in den Händen und dem Garnknäul unter der Achſel und deutete plötzlich um ſich herum auf die Waffentrophäen und die ungezählten Schatten¬ bilder vergangener Burſchenherrlichkeit und ſeufzte: „Weshalb mußte Der, an den ich von euch Allen als den Letzten mein ganzes Herz gehängt hatte, mir ſo was zuleide thun? Setzen Sie ſich, Herr Oberregierungsrath.“ Da ſaß ſie mir wieder gegenüber, am Fenſter wie die Frau Doktern im Vogelſang, in ihrem Korb¬ ſtuhl und mit ihrem Strickzeug, aber diesmal Ge¬ ſpinnſt und Knäul im Schooße und ſagte: „Er hat drüben — jetzt bei der Frau Mungo, einen Vers über ſich an die Wand geſchrieben, den können Sie nachher leſen, jetzt aber muß ich es erſt von der Seele los ſein, was ich mit ihm erlebt habe — ich, das alte, alte Weib, mit dem Kinde, ja mit dieſem Kinde, dem jungen Menſchen!“ Sie hatte bei ihren Jahren wohl Recht, ſo von Velten Andres und auch von uns Andern als Kindern zu reden, und ſie ſprach auch wie eine märchener¬ zählende Großmutter in der Dämmerſtunde; ich konnte nur ſitzen und hören.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/302
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/302>, abgerufen am 24.11.2024.