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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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"Das ist nun leider so, Riekchen," lächelte der
Unmensch. "Den Küchenschrank hat die Familie
Steinbeiß aus dem Hungerwinkel, aber den Schlüssel
hast Du. Die Hausthür hat auch schon einen Lieb¬
haber gefunden; aber den Schlüssel dazu habe ich
noch -- es ist mein Letztes von meinem Besitzthum
im Vogelsang. Willst Du ihn?"

Er hob ihn in die Höhe, wie wenn man einem
Kinde oder einem Hunde etwas Begehrenswerthes
zeigt; meine Frau klammerte sich immer fester an
mich an und flüsterte: "Es ist scheußlich!" Aber die
alte, treue Dienerin des Hauses Andres, erst mit
beiden Armen weit um sich greifend, wie nach etwas
im Leeren Vergangenen, reckte die dürre Faust auf
und kreischte:

"Jawohl, zum Zeugniß von der Welt Dank
und Lohn! Und zum Andenken an den Herrn Vater
und die Frau Mutter, und mögen sie sich nicht in
ihren Gräbern umwenden wegen Ihnen, Herr Velten,
und das ist mein letzter Wunsch und Abschied, Herr
Andres."

Er legte den Schlüssel zu seinem leeren oder aus¬
geleerten Vaterhaus nun dem vor Gift und Galle
zitternden alten Mädchen in die Hand, die ihn bei
seinen ersten Schritten auf der Erde mitgehalten und
ihm geholfen hatte, seine Mutter auf dem Todtenbett

W. Raabe. Die Akten des Vogelsangs. 18

„Das iſt nun leider ſo, Riekchen,“ lächelte der
Unmenſch. „Den Küchenſchrank hat die Familie
Steinbeiß aus dem Hungerwinkel, aber den Schlüſſel
haſt Du. Die Hausthür hat auch ſchon einen Lieb¬
haber gefunden; aber den Schlüſſel dazu habe ich
noch — es iſt mein Letztes von meinem Beſitzthum
im Vogelſang. Willſt Du ihn?“

Er hob ihn in die Höhe, wie wenn man einem
Kinde oder einem Hunde etwas Begehrenswerthes
zeigt; meine Frau klammerte ſich immer feſter an
mich an und flüſterte: „Es iſt ſcheußlich!“ Aber die
alte, treue Dienerin des Hauſes Andres, erſt mit
beiden Armen weit um ſich greifend, wie nach etwas
im Leeren Vergangenen, reckte die dürre Fauſt auf
und kreiſchte:

„Jawohl, zum Zeugniß von der Welt Dank
und Lohn! Und zum Andenken an den Herrn Vater
und die Frau Mutter, und mögen ſie ſich nicht in
ihren Gräbern umwenden wegen Ihnen, Herr Velten,
und das iſt mein letzter Wunſch und Abſchied, Herr
Andres.“

Er legte den Schlüſſel zu ſeinem leeren oder aus¬
geleerten Vaterhaus nun dem vor Gift und Galle
zitternden alten Mädchen in die Hand, die ihn bei
ſeinen erſten Schritten auf der Erde mitgehalten und
ihm geholfen hatte, ſeine Mutter auf dem Todtenbett

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[273/0283] „Das iſt nun leider ſo, Riekchen,“ lächelte der Unmenſch. „Den Küchenſchrank hat die Familie Steinbeiß aus dem Hungerwinkel, aber den Schlüſſel haſt Du. Die Hausthür hat auch ſchon einen Lieb¬ haber gefunden; aber den Schlüſſel dazu habe ich noch — es iſt mein Letztes von meinem Beſitzthum im Vogelſang. Willſt Du ihn?“ Er hob ihn in die Höhe, wie wenn man einem Kinde oder einem Hunde etwas Begehrenswerthes zeigt; meine Frau klammerte ſich immer feſter an mich an und flüſterte: „Es iſt ſcheußlich!“ Aber die alte, treue Dienerin des Hauſes Andres, erſt mit beiden Armen weit um ſich greifend, wie nach etwas im Leeren Vergangenen, reckte die dürre Fauſt auf und kreiſchte: „Jawohl, zum Zeugniß von der Welt Dank und Lohn! Und zum Andenken an den Herrn Vater und die Frau Mutter, und mögen ſie ſich nicht in ihren Gräbern umwenden wegen Ihnen, Herr Velten, und das iſt mein letzter Wunſch und Abſchied, Herr Andres.“ Er legte den Schlüſſel zu ſeinem leeren oder aus¬ geleerten Vaterhaus nun dem vor Gift und Galle zitternden alten Mädchen in die Hand, die ihn bei ſeinen erſten Schritten auf der Erde mitgehalten und ihm geholfen hatte, ſeine Mutter auf dem Todtenbett W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 18

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/283>, abgerufen am 22.11.2024.