um sechs Uhr. Steh auf, Velten, um sechs Uhr geht der Zug. Der Zug geht um sechs Uhr und Du mußt noch packen. Steh auf, Junge, der Koffer schließt nicht recht, Du mußt aufstehen, Velten, der Zug geht um sechs Uhr. Du mußt Deine Reisetasche packen, Velten. Junge, um sechs Uhr geht der Zug!"
"Seit gestern beschränkt sich hierauf ihre ganze Vorstellungsfähigkeit und ihr Ausdrucksvermögen. Sie hat ihr schönes, heiteres Leben durch still gesessen; nun ergreift auch sie die Unruhe. Wir Menschen in ihrem jetzigen Zustande haben das dann und wann so an uns, daß wir für uns oder Andere zur Reise zusammenpacken lassen, oder selber zusammenpacken, gerade wenn die Fahrt zu Ende, der Weg zurück¬ gelegt ist. Tritt näher und setze Dich, Du störst sie nicht durch Deinen Besuch."
"Armer Freund."
"Ja, so verflüchtigt sich auch dieses liebe Bild!"
"Aber Junge, Junge, Du versäumst den Zug, wenn Du nicht aufstehst! Steh auf, Velten! Packe Deinen Koffer, um sechs Uhr geht der Zug. Packe Deine Reisetasche," klang es aus den Kissen der Sterbenden, und die Wärterin, eine mir auch wohl¬ bekannte alte Freundin aus dem Vogelsang, Riekchen Schellenbaum, meinte:
"Sie ist nur ein bißchen unruhig, die Frau
um ſechs Uhr. Steh auf, Velten, um ſechs Uhr geht der Zug. Der Zug geht um ſechs Uhr und Du mußt noch packen. Steh auf, Junge, der Koffer ſchließt nicht recht, Du mußt aufſtehen, Velten, der Zug geht um ſechs Uhr. Du mußt Deine Reiſetaſche packen, Velten. Junge, um ſechs Uhr geht der Zug!“
„Seit geſtern beſchränkt ſich hierauf ihre ganze Vorſtellungsfähigkeit und ihr Ausdrucksvermögen. Sie hat ihr ſchönes, heiteres Leben durch ſtill geſeſſen; nun ergreift auch ſie die Unruhe. Wir Menſchen in ihrem jetzigen Zuſtande haben das dann und wann ſo an uns, daß wir für uns oder Andere zur Reiſe zuſammenpacken laſſen, oder ſelber zuſammenpacken, gerade wenn die Fahrt zu Ende, der Weg zurück¬ gelegt iſt. Tritt näher und ſetze Dich, Du ſtörſt ſie nicht durch Deinen Beſuch.“
„Armer Freund.“
„Ja, ſo verflüchtigt ſich auch dieſes liebe Bild!“
„Aber Junge, Junge, Du verſäumſt den Zug, wenn Du nicht aufſtehſt! Steh auf, Velten! Packe Deinen Koffer, um ſechs Uhr geht der Zug. Packe Deine Reiſetaſche,“ klang es aus den Kiſſen der Sterbenden, und die Wärterin, eine mir auch wohl¬ bekannte alte Freundin aus dem Vogelſang, Riekchen Schellenbaum, meinte:
„Sie iſt nur ein bißchen unruhig, die Frau
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0257"n="247"/>
um ſechs Uhr. Steh auf, Velten, um ſechs Uhr geht<lb/>
der Zug. Der Zug geht um ſechs Uhr und Du mußt<lb/>
noch packen. Steh auf, Junge, der Koffer ſchließt<lb/>
nicht recht, Du mußt aufſtehen, Velten, der Zug geht<lb/>
um ſechs Uhr. Du mußt Deine Reiſetaſche packen,<lb/>
Velten. Junge, um ſechs Uhr geht der Zug!“</p><lb/><p>„Seit geſtern beſchränkt ſich hierauf ihre ganze<lb/>
Vorſtellungsfähigkeit und ihr Ausdrucksvermögen. Sie<lb/>
hat ihr ſchönes, heiteres Leben durch ſtill geſeſſen;<lb/>
nun ergreift auch ſie die Unruhe. Wir Menſchen in<lb/>
ihrem jetzigen Zuſtande haben das dann und wann<lb/>ſo an uns, daß wir für uns oder Andere zur Reiſe<lb/>
zuſammenpacken laſſen, oder ſelber zuſammenpacken,<lb/>
gerade wenn die Fahrt zu Ende, der Weg zurück¬<lb/>
gelegt iſt. Tritt näher und ſetze Dich, Du ſtörſt ſie<lb/>
nicht durch Deinen Beſuch.“</p><lb/><p>„Armer Freund.“</p><lb/><p>„Ja, ſo verflüchtigt ſich auch dieſes liebe Bild!“</p><lb/><p>„Aber Junge, Junge, Du verſäumſt den Zug,<lb/>
wenn Du nicht aufſtehſt! Steh auf, Velten! Packe<lb/>
Deinen Koffer, um ſechs Uhr geht der Zug. Packe<lb/>
Deine Reiſetaſche,“ klang es aus den Kiſſen der<lb/>
Sterbenden, und die Wärterin, eine mir auch wohl¬<lb/>
bekannte alte Freundin aus dem Vogelſang, Riekchen<lb/>
Schellenbaum, meinte:</p><lb/><p>„Sie iſt nur ein bißchen unruhig, die Frau<lb/></p></body></text></TEI>
[247/0257]
um ſechs Uhr. Steh auf, Velten, um ſechs Uhr geht
der Zug. Der Zug geht um ſechs Uhr und Du mußt
noch packen. Steh auf, Junge, der Koffer ſchließt
nicht recht, Du mußt aufſtehen, Velten, der Zug geht
um ſechs Uhr. Du mußt Deine Reiſetaſche packen,
Velten. Junge, um ſechs Uhr geht der Zug!“
„Seit geſtern beſchränkt ſich hierauf ihre ganze
Vorſtellungsfähigkeit und ihr Ausdrucksvermögen. Sie
hat ihr ſchönes, heiteres Leben durch ſtill geſeſſen;
nun ergreift auch ſie die Unruhe. Wir Menſchen in
ihrem jetzigen Zuſtande haben das dann und wann
ſo an uns, daß wir für uns oder Andere zur Reiſe
zuſammenpacken laſſen, oder ſelber zuſammenpacken,
gerade wenn die Fahrt zu Ende, der Weg zurück¬
gelegt iſt. Tritt näher und ſetze Dich, Du ſtörſt ſie
nicht durch Deinen Beſuch.“
„Armer Freund.“
„Ja, ſo verflüchtigt ſich auch dieſes liebe Bild!“
„Aber Junge, Junge, Du verſäumſt den Zug,
wenn Du nicht aufſtehſt! Steh auf, Velten! Packe
Deinen Koffer, um ſechs Uhr geht der Zug. Packe
Deine Reiſetaſche,“ klang es aus den Kiſſen der
Sterbenden, und die Wärterin, eine mir auch wohl¬
bekannte alte Freundin aus dem Vogelſang, Riekchen
Schellenbaum, meinte:
„Sie iſt nur ein bißchen unruhig, die Frau
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/257>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.