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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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unter der Konzertmusik aus dem Tivoligarten mit
dem Freunde und seiner Mutter. Er wußte jeden¬
falls sein gefühllos gewordenes Herz wohl zu ver¬
bergen und auf der wankenden Erde an diesem festen
Punkte es wie vordem leichtbewegt in all den Lichtern,
Farben und Schatten, die Menschen im wahrsten
Sinne miteinander verwandt machen, spielen zu
lassen. Wie da der Schatten der hohen Brandmauer,
der jetzt von meiner Eltern und meinem Heimwesen auf
uns fiel, wieder sich lichtete! Wie es wieder wie
Abendsonne aus unserer, Veltens und meiner Kinder¬
zeit, und aus der Zeit, da Amalie, Agathe und
Adolfine auch noch Kinder, junge Mädchen, Bräute
und junge Frauen waren, durch Baumgezweig nur
tanzende Schatten auf die kleine Laube warf und
den Tisch drin, auf welchem Veltens Vater noch seine
Rezepte für die ganze Nachbarschaft unter dem Oster¬
berg schrieb! Da war freilich auch wieder nicht die
Rede von großen Abenteuern; aber noch weniger
von einem Blatt, das in der fünften Avenue zu New
York aus einem Salontischbuch gerissen worden war.
Da gewann eine liebe Vergangenheit ihr Recht wieder
und behielt es für eine gute Stunde von Neuem mit
seinem: Weißt Du wohl noch, Mutter? und ihrem: Denkt
ihr wohl noch daran, ihr bösen Jungen? -- Der
Nachbar Hartleben kommt in Hausschuhen mit der

unter der Konzertmuſik aus dem Tivoligarten mit
dem Freunde und ſeiner Mutter. Er wußte jeden¬
falls ſein gefühllos gewordenes Herz wohl zu ver¬
bergen und auf der wankenden Erde an dieſem feſten
Punkte es wie vordem leichtbewegt in all den Lichtern,
Farben und Schatten, die Menſchen im wahrſten
Sinne miteinander verwandt machen, ſpielen zu
laſſen. Wie da der Schatten der hohen Brandmauer,
der jetzt von meiner Eltern und meinem Heimweſen auf
uns fiel, wieder ſich lichtete! Wie es wieder wie
Abendſonne aus unſerer, Veltens und meiner Kinder¬
zeit, und aus der Zeit, da Amalie, Agathe und
Adolfine auch noch Kinder, junge Mädchen, Bräute
und junge Frauen waren, durch Baumgezweig nur
tanzende Schatten auf die kleine Laube warf und
den Tiſch drin, auf welchem Veltens Vater noch ſeine
Rezepte für die ganze Nachbarſchaft unter dem Oſter¬
berg ſchrieb! Da war freilich auch wieder nicht die
Rede von großen Abenteuern; aber noch weniger
von einem Blatt, das in der fünften Avenue zu New
York aus einem Salontiſchbuch geriſſen worden war.
Da gewann eine liebe Vergangenheit ihr Recht wieder
und behielt es für eine gute Stunde von Neuem mit
ſeinem: Weißt Du wohl noch, Mutter? und ihrem: Denkt
ihr wohl noch daran, ihr böſen Jungen? — Der
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[234/0244] unter der Konzertmuſik aus dem Tivoligarten mit dem Freunde und ſeiner Mutter. Er wußte jeden¬ falls ſein gefühllos gewordenes Herz wohl zu ver¬ bergen und auf der wankenden Erde an dieſem feſten Punkte es wie vordem leichtbewegt in all den Lichtern, Farben und Schatten, die Menſchen im wahrſten Sinne miteinander verwandt machen, ſpielen zu laſſen. Wie da der Schatten der hohen Brandmauer, der jetzt von meiner Eltern und meinem Heimweſen auf uns fiel, wieder ſich lichtete! Wie es wieder wie Abendſonne aus unſerer, Veltens und meiner Kinder¬ zeit, und aus der Zeit, da Amalie, Agathe und Adolfine auch noch Kinder, junge Mädchen, Bräute und junge Frauen waren, durch Baumgezweig nur tanzende Schatten auf die kleine Laube warf und den Tiſch drin, auf welchem Veltens Vater noch ſeine Rezepte für die ganze Nachbarſchaft unter dem Oſter¬ berg ſchrieb! Da war freilich auch wieder nicht die Rede von großen Abenteuern; aber noch weniger von einem Blatt, das in der fünften Avenue zu New York aus einem Salontiſchbuch geriſſen worden war. Da gewann eine liebe Vergangenheit ihr Recht wieder und behielt es für eine gute Stunde von Neuem mit ſeinem: Weißt Du wohl noch, Mutter? und ihrem: Denkt ihr wohl noch daran, ihr böſen Jungen? — Der Nachbar Hartleben kommt in Hausſchuhen mit der

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/244>, abgerufen am 23.11.2024.