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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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hätte einordnen können, habe ich nicht in den
Akten.

Am allerwenigsten konnte das mein Schwager
"Schlappe", der uns auch entgegenstieg, seinen Weg
sich nach gewissen rothen und gelben Zeichen -- Kur¬
zeichen -- an den Bäumen regelnd, um ein ihm
gottlob nur hypochondrisch angeflogenes Herzleiden im
Keime zu ersticken.

"Siehe da, die beiden Seelenverwandten! Die
zwei Inseparables aus der Voliere da unten, eurem
Vogelsang. Habe bei Deiner Mama über die stadt¬
bekannte, drollige letzte Hecke gesehen, Velten, und
mich über die liebe alte Dame wieder einmal recht
gefreut. Diese beneidenswerten Nerven! Unter der
Konzertmusik aus dem Tivoli das fürstliche Intelli¬
genzblatt zu lesen und sich doch dabei freundlich nach
der Gesundheit eines Nebenmenschen erkundigen zu
können! Und mit solchem Behagen auf dem Gesicht!
Wie befindest aber eigentlich Du Dich, alter Mensch
und Räthsel der hiesigen Menschheit? Velten, verant¬
worten kannst Du's beinahe nicht, wie Du die orts¬
angehörige Alltagswelt, so weit sie noch zu Dir hin¬
reicht, intriguirst. Man sieht Dich nicht, man hört
Dich nicht, Du könntest allgemach die Wohlwollendsten
dahin bringen, sich bei der Polizeidirektion nach Dir
zu erkundigen oder sogar das edle Institut auf Dich

hätte einordnen können, habe ich nicht in den
Akten.

Am allerwenigſten konnte das mein Schwager
„Schlappe“, der uns auch entgegenſtieg, ſeinen Weg
ſich nach gewiſſen rothen und gelben Zeichen — Kur¬
zeichen — an den Bäumen regelnd, um ein ihm
gottlob nur hypochondriſch angeflogenes Herzleiden im
Keime zu erſticken.

„Siehe da, die beiden Seelenverwandten! Die
zwei Inſeparables aus der Voliere da unten, eurem
Vogelſang. Habe bei Deiner Mama über die ſtadt¬
bekannte, drollige letzte Hecke geſehen, Velten, und
mich über die liebe alte Dame wieder einmal recht
gefreut. Dieſe beneidenswerten Nerven! Unter der
Konzertmuſik aus dem Tivoli das fürſtliche Intelli¬
genzblatt zu leſen und ſich doch dabei freundlich nach
der Geſundheit eines Nebenmenſchen erkundigen zu
können! Und mit ſolchem Behagen auf dem Geſicht!
Wie befindeſt aber eigentlich Du Dich, alter Menſch
und Räthſel der hieſigen Menſchheit? Velten, verant¬
worten kannſt Du's beinahe nicht, wie Du die orts¬
angehörige Alltagswelt, ſo weit ſie noch zu Dir hin¬
reicht, intriguirſt. Man ſieht Dich nicht, man hört
Dich nicht, Du könnteſt allgemach die Wohlwollendſten
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[232/0242] hätte einordnen können, habe ich nicht in den Akten. Am allerwenigſten konnte das mein Schwager „Schlappe“, der uns auch entgegenſtieg, ſeinen Weg ſich nach gewiſſen rothen und gelben Zeichen — Kur¬ zeichen — an den Bäumen regelnd, um ein ihm gottlob nur hypochondriſch angeflogenes Herzleiden im Keime zu erſticken. „Siehe da, die beiden Seelenverwandten! Die zwei Inſeparables aus der Voliere da unten, eurem Vogelſang. Habe bei Deiner Mama über die ſtadt¬ bekannte, drollige letzte Hecke geſehen, Velten, und mich über die liebe alte Dame wieder einmal recht gefreut. Dieſe beneidenswerten Nerven! Unter der Konzertmuſik aus dem Tivoli das fürſtliche Intelli¬ genzblatt zu leſen und ſich doch dabei freundlich nach der Geſundheit eines Nebenmenſchen erkundigen zu können! Und mit ſolchem Behagen auf dem Geſicht! Wie befindeſt aber eigentlich Du Dich, alter Menſch und Räthſel der hieſigen Menſchheit? Velten, verant¬ worten kannſt Du's beinahe nicht, wie Du die orts¬ angehörige Alltagswelt, ſo weit ſie noch zu Dir hin¬ reicht, intriguirſt. Man ſieht Dich nicht, man hört Dich nicht, Du könnteſt allgemach die Wohlwollendſten dahin bringen, ſich bei der Polizeidirektion nach Dir zu erkundigen oder ſogar das edle Inſtitut auf Dich

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/242>, abgerufen am 23.11.2024.