Puder, Kniehose, seidenen Strümpfen und Schnallen¬ schuhen in dem rechten Augenblick wieder vor die Augen kam. Unser Dämonium bedient sich viel öfter als man merkt, solcher Mittelchen, um uns unter die Arme zu greifen, sowie auch um uns davor zu behüten, uns lächerlicher zu machen, als unbedingt zum Fortbestehen der Welt durch den Verkehr von Hans und Grete nöthig ist. Man kann auch von einem achtzehnjährigen Jungen was lernen, zumal wenn der Genius dem Bengel die Stirn berührt hat. Es war der Gesellschaftsabend, an welchem mir unsere Kleine aus dem Vogelsang zum ersten Mal ganz deutlich machte, was Alles zu einem elenden Gut auf der wankenden Erde werden kann. Verse habe ich nie gemacht; aber die Fähigkeit habe ich doch, im Komischen wie im Tragischen das momentan Gegenständliche, wenn Du willst, das Malerische, das Theatralische jedesmal mit vollem Genuß und in voller Geistesklarheit objektiv aufzufassen: ich habe an jenem, der alte Goethe würde sagen bedeutenden Abend dem Papa Trotzendorff das Blatt aus seinem Renommirtischexemplar gerissen, es fein zusammen¬ gefaltet und in die Brusttasche geschoben. Manchen Leck in meinem Lebensschiff habe ich bis zum heutigen Tage damit zugestopft, und -- jetzt, meine ich, haben wir die schöne Natur von diesem Aussichtspunkt aus,
Puder, Kniehoſe, ſeidenen Strümpfen und Schnallen¬ ſchuhen in dem rechten Augenblick wieder vor die Augen kam. Unſer Dämonium bedient ſich viel öfter als man merkt, ſolcher Mittelchen, um uns unter die Arme zu greifen, ſowie auch um uns davor zu behüten, uns lächerlicher zu machen, als unbedingt zum Fortbeſtehen der Welt durch den Verkehr von Hans und Grete nöthig iſt. Man kann auch von einem achtzehnjährigen Jungen was lernen, zumal wenn der Genius dem Bengel die Stirn berührt hat. Es war der Geſellſchaftsabend, an welchem mir unſere Kleine aus dem Vogelſang zum erſten Mal ganz deutlich machte, was Alles zu einem elenden Gut auf der wankenden Erde werden kann. Verſe habe ich nie gemacht; aber die Fähigkeit habe ich doch, im Komiſchen wie im Tragiſchen das momentan Gegenſtändliche, wenn Du willſt, das Maleriſche, das Theatraliſche jedesmal mit vollem Genuß und in voller Geiſtesklarheit objektiv aufzufaſſen: ich habe an jenem, der alte Goethe würde ſagen bedeutenden Abend dem Papa Trotzendorff das Blatt aus ſeinem Renommirtiſchexemplar geriſſen, es fein zuſammen¬ gefaltet und in die Bruſttaſche geſchoben. Manchen Leck in meinem Lebensſchiff habe ich bis zum heutigen Tage damit zugeſtopft, und — jetzt, meine ich, haben wir die ſchöne Natur von dieſem Ausſichtspunkt aus,
<TEI><text><body><pxml:id="p-0239b"prev="p-0239a"><pbfacs="#f0240"n="230"/>
Puder, Kniehoſe, ſeidenen Strümpfen und Schnallen¬<lb/>ſchuhen in dem rechten Augenblick wieder vor die<lb/>
Augen kam. Unſer Dämonium bedient ſich viel<lb/>
öfter als man merkt, ſolcher Mittelchen, um uns<lb/>
unter die Arme zu greifen, ſowie auch um uns davor<lb/>
zu behüten, uns lächerlicher zu machen, als unbedingt<lb/>
zum Fortbeſtehen der Welt durch den Verkehr von<lb/>
Hans und Grete nöthig iſt. Man kann auch von<lb/>
einem achtzehnjährigen Jungen was lernen, zumal<lb/>
wenn der Genius dem Bengel die Stirn berührt hat.<lb/>
Es war der Geſellſchaftsabend, an welchem mir<lb/>
unſere Kleine aus dem Vogelſang zum erſten Mal<lb/>
ganz deutlich machte, was Alles zu einem elenden<lb/>
Gut auf der wankenden Erde werden kann. Verſe<lb/>
habe ich nie gemacht; aber die Fähigkeit habe ich<lb/>
doch, im Komiſchen wie im Tragiſchen das momentan<lb/>
Gegenſtändliche, wenn Du willſt, das Maleriſche, das<lb/>
Theatraliſche jedesmal mit vollem Genuß und in<lb/>
voller Geiſtesklarheit objektiv aufzufaſſen: ich habe<lb/>
an jenem, der alte Goethe würde ſagen bedeutenden<lb/>
Abend dem Papa Trotzendorff das Blatt aus ſeinem<lb/>
Renommirtiſchexemplar geriſſen, es fein zuſammen¬<lb/>
gefaltet und in die Bruſttaſche geſchoben. Manchen<lb/>
Leck in meinem Lebensſchiff habe ich bis zum heutigen<lb/>
Tage damit zugeſtopft, und — jetzt, meine ich, haben<lb/>
wir die ſchöne Natur von dieſem Ausſichtspunkt aus,<lb/></p></body></text></TEI>
[230/0240]
Puder, Kniehoſe, ſeidenen Strümpfen und Schnallen¬
ſchuhen in dem rechten Augenblick wieder vor die
Augen kam. Unſer Dämonium bedient ſich viel
öfter als man merkt, ſolcher Mittelchen, um uns
unter die Arme zu greifen, ſowie auch um uns davor
zu behüten, uns lächerlicher zu machen, als unbedingt
zum Fortbeſtehen der Welt durch den Verkehr von
Hans und Grete nöthig iſt. Man kann auch von
einem achtzehnjährigen Jungen was lernen, zumal
wenn der Genius dem Bengel die Stirn berührt hat.
Es war der Geſellſchaftsabend, an welchem mir
unſere Kleine aus dem Vogelſang zum erſten Mal
ganz deutlich machte, was Alles zu einem elenden
Gut auf der wankenden Erde werden kann. Verſe
habe ich nie gemacht; aber die Fähigkeit habe ich
doch, im Komiſchen wie im Tragiſchen das momentan
Gegenſtändliche, wenn Du willſt, das Maleriſche, das
Theatraliſche jedesmal mit vollem Genuß und in
voller Geiſtesklarheit objektiv aufzufaſſen: ich habe
an jenem, der alte Goethe würde ſagen bedeutenden
Abend dem Papa Trotzendorff das Blatt aus ſeinem
Renommirtiſchexemplar geriſſen, es fein zuſammen¬
gefaltet und in die Bruſttaſche geſchoben. Manchen
Leck in meinem Lebensſchiff habe ich bis zum heutigen
Tage damit zugeſtopft, und — jetzt, meine ich, haben
wir die ſchöne Natur von dieſem Ausſichtspunkt aus,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/240>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.