Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Dokumente oder Zeugen beweisen kann, reicht nicht
über die Unzulänglichkeit weg, sowohl der Form, wie
auch der Farbe nach.

Als ich als Assessor an unserem heimathlichen
Stadtgericht ihn wieder in Berlin aufsuchte, hatte er
sein Lebensmärchen ferner wieder richtig wahr ge¬
macht und saß über den Geschäftsbüchern des Vaters
des Beaux als der "merkwürdigste Volontär, der mir
jemals vor Augen und ins Comptoir gekommen ist,"
wie der alte liebenswürdige Herr meinte.

"Sie glauben es aber nicht, Herr Assessor,"
fügte er hinzu, "wie mein Sohn an ihm hängt,
aber noch weniger, daß meine Tochter, meine Leonie,
es gewesen ist, die für alle meine Bedenklichkeiten
das Gegenwort hatte und stets behauptete: was der
junge Herr vor habe, sei keine Thorheit, Schnurre
und Grille, sondern er wisse wohl, was er wolle,
und sie würde an seiner Stelle ganz gewiß ganz
Dasselbige wollen. Er will es nämlich versuchen, in den
Vereinigten Staaten sein Glück zu machen, und da
hat er ja auch wohl Recht. Mit unserm deutschen
Doktor der Philosophie würde es da drüben in dieser
Hinsicht wohl etwas langsam gehen. Dergleichen
geistigen Überfluß schickt ihnen das alte Vaterland
schon etwas sehr reichlich hinüber und so ein alter
deutscher Schneidermeister hat vielleicht auch seine

Dokumente oder Zeugen beweiſen kann, reicht nicht
über die Unzulänglichkeit weg, ſowohl der Form, wie
auch der Farbe nach.

Als ich als Aſſeſſor an unſerem heimathlichen
Stadtgericht ihn wieder in Berlin aufſuchte, hatte er
ſein Lebensmärchen ferner wieder richtig wahr ge¬
macht und ſaß über den Geſchäftsbüchern des Vaters
des Beaux als der „merkwürdigſte Volontär, der mir
jemals vor Augen und ins Comptoir gekommen iſt,“
wie der alte liebenswürdige Herr meinte.

„Sie glauben es aber nicht, Herr Aſſeſſor,“
fügte er hinzu, „wie mein Sohn an ihm hängt,
aber noch weniger, daß meine Tochter, meine Leonie,
es geweſen iſt, die für alle meine Bedenklichkeiten
das Gegenwort hatte und ſtets behauptete: was der
junge Herr vor habe, ſei keine Thorheit, Schnurre
und Grille, ſondern er wiſſe wohl, was er wolle,
und ſie würde an ſeiner Stelle ganz gewiß ganz
Dasſelbige wollen. Er will es nämlich verſuchen, in den
Vereinigten Staaten ſein Glück zu machen, und da
hat er ja auch wohl Recht. Mit unſerm deutſchen
Doktor der Philoſophie würde es da drüben in dieſer
Hinſicht wohl etwas langſam gehen. Dergleichen
geiſtigen Überfluß ſchickt ihnen das alte Vaterland
ſchon etwas ſehr reichlich hinüber und ſo ein alter
deutſcher Schneidermeiſter hat vielleicht auch ſeine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0161" n="151"/>
Dokumente oder Zeugen bewei&#x017F;en kann, reicht nicht<lb/>
über die Unzulänglichkeit weg, &#x017F;owohl der Form, wie<lb/>
auch der Farbe nach.</p><lb/>
      <p>Als ich als A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;or an un&#x017F;erem heimathlichen<lb/>
Stadtgericht ihn wieder in Berlin auf&#x017F;uchte, hatte er<lb/>
&#x017F;ein Lebensmärchen ferner wieder richtig wahr ge¬<lb/>
macht und &#x017F;aß über den Ge&#x017F;chäftsbüchern des Vaters<lb/>
des Beaux als der &#x201E;merkwürdig&#x017F;te Volontär, der mir<lb/>
jemals vor Augen und ins Comptoir gekommen i&#x017F;t,&#x201C;<lb/>
wie der alte liebenswürdige Herr meinte.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Sie glauben es aber nicht, Herr A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;or,&#x201C;<lb/>
fügte er hinzu, &#x201E;wie mein Sohn an ihm hängt,<lb/>
aber noch weniger, daß meine Tochter, meine Leonie,<lb/>
es gewe&#x017F;en i&#x017F;t, die für alle meine Bedenklichkeiten<lb/>
das Gegenwort hatte und &#x017F;tets behauptete: was der<lb/>
junge Herr vor habe, &#x017F;ei keine Thorheit, Schnurre<lb/>
und Grille, &#x017F;ondern er wi&#x017F;&#x017F;e wohl, was er wolle,<lb/>
und &#x017F;ie würde an &#x017F;einer Stelle ganz gewiß ganz<lb/>
Das&#x017F;elbige wollen. Er will es nämlich ver&#x017F;uchen, in den<lb/>
Vereinigten Staaten &#x017F;ein Glück zu machen, und da<lb/>
hat er ja auch wohl Recht. Mit un&#x017F;erm deut&#x017F;chen<lb/>
Doktor der Philo&#x017F;ophie würde es da drüben in die&#x017F;er<lb/>
Hin&#x017F;icht wohl etwas lang&#x017F;am gehen. Dergleichen<lb/>
gei&#x017F;tigen Überfluß &#x017F;chickt ihnen das alte Vaterland<lb/>
&#x017F;chon etwas &#x017F;ehr reichlich hinüber und &#x017F;o ein alter<lb/>
deut&#x017F;cher Schneidermei&#x017F;ter hat vielleicht auch &#x017F;eine<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0161] Dokumente oder Zeugen beweiſen kann, reicht nicht über die Unzulänglichkeit weg, ſowohl der Form, wie auch der Farbe nach. Als ich als Aſſeſſor an unſerem heimathlichen Stadtgericht ihn wieder in Berlin aufſuchte, hatte er ſein Lebensmärchen ferner wieder richtig wahr ge¬ macht und ſaß über den Geſchäftsbüchern des Vaters des Beaux als der „merkwürdigſte Volontär, der mir jemals vor Augen und ins Comptoir gekommen iſt,“ wie der alte liebenswürdige Herr meinte. „Sie glauben es aber nicht, Herr Aſſeſſor,“ fügte er hinzu, „wie mein Sohn an ihm hängt, aber noch weniger, daß meine Tochter, meine Leonie, es geweſen iſt, die für alle meine Bedenklichkeiten das Gegenwort hatte und ſtets behauptete: was der junge Herr vor habe, ſei keine Thorheit, Schnurre und Grille, ſondern er wiſſe wohl, was er wolle, und ſie würde an ſeiner Stelle ganz gewiß ganz Dasſelbige wollen. Er will es nämlich verſuchen, in den Vereinigten Staaten ſein Glück zu machen, und da hat er ja auch wohl Recht. Mit unſerm deutſchen Doktor der Philoſophie würde es da drüben in dieſer Hinſicht wohl etwas langſam gehen. Dergleichen geiſtigen Überfluß ſchickt ihnen das alte Vaterland ſchon etwas ſehr reichlich hinüber und ſo ein alter deutſcher Schneidermeiſter hat vielleicht auch ſeine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/161
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/161>, abgerufen am 27.11.2024.