Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

das Elend, das Beste und das Schlimmste auf
diesem Erdball weitergeben! --


Er ist doch mein Freund gewesen und ich der
seinige. Ich habe sein Leben mit erlebt, und doch,
gerade hier, vor diesen Blättern, überkommt es mich
von Seite zu Seite mehr, wie ich der Aufgabe,
davon zu reden, so wenig gewachsen bin. Ich habe
Alles erreicht, was ich erreichen konnte; er nichts --
wie die Welt sagt -- und -- wie ich mich zusammen¬
nehmen muß, um den Neid gegen ihn nicht in mir
aufkommen zu lassen! Was kann ich heute an seinem
Grabhügel Anderes sein, als ein nüchterner Protokoll¬
führer in seinem siegreich gewonnenen Prozeß gegen
meine, gegen unsere Welt? Was aber würde erst
sein, wenn ich auch nicht mein liebes Weib, meine
lieben Kinder gegen diesen "verlorengegangenen",
diesen -- besitzlosen Menschen mir zu Hilfe rufen
könnte? --

Wie gesagt, ich mußte nach Haus ins erste
juristische Examen und ließ ihn in Berlin, in einer
Gesellschaft, oder besser Genossenschaft, die damals
schon nicht mehr aus der Familie des Beaux be¬
stand.

das Elend, das Beſte und das Schlimmſte auf
dieſem Erdball weitergeben! —


Er iſt doch mein Freund geweſen und ich der
ſeinige. Ich habe ſein Leben mit erlebt, und doch,
gerade hier, vor dieſen Blättern, überkommt es mich
von Seite zu Seite mehr, wie ich der Aufgabe,
davon zu reden, ſo wenig gewachſen bin. Ich habe
Alles erreicht, was ich erreichen konnte; er nichts —
wie die Welt ſagt — und — wie ich mich zuſammen¬
nehmen muß, um den Neid gegen ihn nicht in mir
aufkommen zu laſſen! Was kann ich heute an ſeinem
Grabhügel Anderes ſein, als ein nüchterner Protokoll¬
führer in ſeinem ſiegreich gewonnenen Prozeß gegen
meine, gegen unſere Welt? Was aber würde erſt
ſein, wenn ich auch nicht mein liebes Weib, meine
lieben Kinder gegen dieſen „verlorengegangenen“,
dieſen — beſitzloſen Menſchen mir zu Hilfe rufen
könnte? —

Wie geſagt, ich mußte nach Haus ins erſte
juriſtiſche Examen und ließ ihn in Berlin, in einer
Geſellſchaft, oder beſſer Genoſſenſchaft, die damals
ſchon nicht mehr aus der Familie des Beaux be¬
ſtand.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0145" n="135"/>
das Elend, das Be&#x017F;te und das Schlimm&#x017F;te auf<lb/>
die&#x017F;em Erdball weitergeben! &#x2014;</p><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <p>Er i&#x017F;t doch mein Freund gewe&#x017F;en und ich der<lb/>
&#x017F;einige. Ich habe &#x017F;ein Leben mit erlebt, und doch,<lb/>
gerade hier, vor die&#x017F;en Blättern, überkommt es mich<lb/>
von Seite zu Seite mehr, wie ich der Aufgabe,<lb/>
davon zu reden, &#x017F;o wenig gewach&#x017F;en bin. Ich habe<lb/>
Alles erreicht, was ich erreichen konnte; er nichts &#x2014;<lb/>
wie die Welt &#x017F;agt &#x2014; und &#x2014; wie ich mich zu&#x017F;ammen¬<lb/>
nehmen muß, um den Neid gegen ihn nicht in mir<lb/>
aufkommen zu la&#x017F;&#x017F;en! Was kann ich heute an &#x017F;einem<lb/>
Grabhügel Anderes &#x017F;ein, als ein nüchterner Protokoll¬<lb/>
führer in &#x017F;einem &#x017F;iegreich gewonnenen Prozeß gegen<lb/>
meine, gegen <hi rendition="#g">un&#x017F;ere</hi> Welt? Was aber würde er&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ein, wenn ich auch nicht mein liebes Weib, meine<lb/>
lieben Kinder gegen die&#x017F;en &#x201E;verlorengegangenen&#x201C;,<lb/>
die&#x017F;en &#x2014; be&#x017F;itzlo&#x017F;en Men&#x017F;chen mir zu Hilfe rufen<lb/>
könnte? &#x2014;</p><lb/>
      <p>Wie ge&#x017F;agt, ich mußte nach Haus ins er&#x017F;te<lb/>
juri&#x017F;ti&#x017F;che Examen und ließ ihn in Berlin, in einer<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, oder be&#x017F;&#x017F;er Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, die damals<lb/>
&#x017F;chon nicht mehr aus der Familie des Beaux be¬<lb/>
&#x017F;tand.</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0145] das Elend, das Beſte und das Schlimmſte auf dieſem Erdball weitergeben! — Er iſt doch mein Freund geweſen und ich der ſeinige. Ich habe ſein Leben mit erlebt, und doch, gerade hier, vor dieſen Blättern, überkommt es mich von Seite zu Seite mehr, wie ich der Aufgabe, davon zu reden, ſo wenig gewachſen bin. Ich habe Alles erreicht, was ich erreichen konnte; er nichts — wie die Welt ſagt — und — wie ich mich zuſammen¬ nehmen muß, um den Neid gegen ihn nicht in mir aufkommen zu laſſen! Was kann ich heute an ſeinem Grabhügel Anderes ſein, als ein nüchterner Protokoll¬ führer in ſeinem ſiegreich gewonnenen Prozeß gegen meine, gegen unſere Welt? Was aber würde erſt ſein, wenn ich auch nicht mein liebes Weib, meine lieben Kinder gegen dieſen „verlorengegangenen“, dieſen — beſitzloſen Menſchen mir zu Hilfe rufen könnte? — Wie geſagt, ich mußte nach Haus ins erſte juriſtiſche Examen und ließ ihn in Berlin, in einer Geſellſchaft, oder beſſer Genoſſenſchaft, die damals ſchon nicht mehr aus der Familie des Beaux be¬ ſtand.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/145
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/145>, abgerufen am 05.12.2024.