Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

oder gerade für den erst recht, der Tag und unser
Geschäft wie auf einem anderen Weltball. Und hier
ist an Leon und mich Alles gekommen, was wir für
unser Bestes halten, und was den Leuten mit vollem
Recht sehr komisch erscheinen muß, wenn wir damit
unter sie gerathen. Ich komme wohl nicht in die
Verlegenheit; aber mein armer Bruder von seinem
Schreibpult im Comptoir drunten leider doch dann
und wann, und so neulich wieder in Ihrer Univer¬
sität, wo Herr Andres so gütig war, sich seiner an¬
zunehmen. Er, Leon, hat es noch nicht recht gelernt,
den Traum und das Leben auseinanderzuhalten, und
kommt also nur zu oft wie ein geschlagenes Kind
nach Hause, und es kostet Wochen in diesem unseren
Phantasiestübchen, ehe er sich wieder zurechtgefunden
hat in der Welt. Wir haben eigentlich da draußen
in der Zeitlichkeit einen großen Umgang, und darunter
sucht er denn wie der alte Grieche nach Menschen,
die zu ihm passen. Ach, wenn er dann nur ausge¬
nutzt und gehänselt würde, so wollte ich gar nichts
sagen; aber er wird auch gekränkt und bis aufs tiefste
verwundet, und wenn ich auch die Älteste und die
Vernünftigste bin -- ein noch älterer Bruder von uns
ist, als ich noch ein ganz junges Kind war, bei Mars
la Tour gefallen -- so kann ich doch nur allzu oft
ihm gar nicht helfen. O, wenn ein Mensch es werth

oder gerade für den erſt recht, der Tag und unſer
Geſchäft wie auf einem anderen Weltball. Und hier
iſt an Leon und mich Alles gekommen, was wir für
unſer Beſtes halten, und was den Leuten mit vollem
Recht ſehr komiſch erſcheinen muß, wenn wir damit
unter ſie gerathen. Ich komme wohl nicht in die
Verlegenheit; aber mein armer Bruder von ſeinem
Schreibpult im Comptoir drunten leider doch dann
und wann, und ſo neulich wieder in Ihrer Univer¬
ſität, wo Herr Andres ſo gütig war, ſich ſeiner an¬
zunehmen. Er, Leon, hat es noch nicht recht gelernt,
den Traum und das Leben auseinanderzuhalten, und
kommt alſo nur zu oft wie ein geſchlagenes Kind
nach Hauſe, und es koſtet Wochen in dieſem unſeren
Phantaſieſtübchen, ehe er ſich wieder zurechtgefunden
hat in der Welt. Wir haben eigentlich da draußen
in der Zeitlichkeit einen großen Umgang, und darunter
ſucht er denn wie der alte Grieche nach Menſchen,
die zu ihm paſſen. Ach, wenn er dann nur ausge¬
nutzt und gehänſelt würde, ſo wollte ich gar nichts
ſagen; aber er wird auch gekränkt und bis aufs tiefſte
verwundet, und wenn ich auch die Älteſte und die
Vernünftigſte bin — ein noch älterer Bruder von uns
iſt, als ich noch ein ganz junges Kind war, bei Mars
la Tour gefallen — ſo kann ich doch nur allzu oft
ihm gar nicht helfen. O, wenn ein Menſch es werth

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0135" n="125"/>
oder gerade für den er&#x017F;t recht, der Tag und un&#x017F;er<lb/>
Ge&#x017F;chäft wie auf einem anderen Weltball. Und hier<lb/>
i&#x017F;t an Leon und mich Alles gekommen, was wir für<lb/>
un&#x017F;er Be&#x017F;tes halten, und was den Leuten mit vollem<lb/>
Recht &#x017F;ehr komi&#x017F;ch er&#x017F;cheinen muß, wenn wir damit<lb/>
unter &#x017F;ie gerathen. Ich komme wohl nicht in die<lb/>
Verlegenheit; aber mein armer Bruder von &#x017F;einem<lb/>
Schreibpult im Comptoir drunten leider doch dann<lb/>
und wann, und &#x017F;o neulich wieder in Ihrer Univer¬<lb/>
&#x017F;ität, wo Herr Andres &#x017F;o gütig war, &#x017F;ich &#x017F;einer an¬<lb/>
zunehmen. Er, Leon, hat es noch nicht recht gelernt,<lb/>
den Traum und das Leben auseinanderzuhalten, und<lb/>
kommt al&#x017F;o nur zu oft wie ein ge&#x017F;chlagenes Kind<lb/>
nach Hau&#x017F;e, und es ko&#x017F;tet Wochen in die&#x017F;em un&#x017F;eren<lb/>
Phanta&#x017F;ie&#x017F;tübchen, ehe er &#x017F;ich wieder zurechtgefunden<lb/>
hat in der Welt. Wir haben eigentlich da draußen<lb/>
in der Zeitlichkeit einen großen Umgang, und darunter<lb/>
&#x017F;ucht er denn wie der alte Grieche nach Men&#x017F;chen,<lb/>
die zu ihm pa&#x017F;&#x017F;en. Ach, wenn er dann nur ausge¬<lb/>
nutzt und gehän&#x017F;elt würde, &#x017F;o wollte ich gar nichts<lb/>
&#x017F;agen; aber er wird auch gekränkt und bis aufs tief&#x017F;te<lb/>
verwundet, und wenn ich auch die Älte&#x017F;te und die<lb/>
Vernünftig&#x017F;te bin &#x2014; ein noch älterer Bruder von uns<lb/>
i&#x017F;t, als ich noch ein ganz junges Kind war, bei Mars<lb/>
la Tour gefallen &#x2014; &#x017F;o kann ich doch nur allzu oft<lb/>
ihm gar nicht helfen. O, wenn ein Men&#x017F;ch es werth<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0135] oder gerade für den erſt recht, der Tag und unſer Geſchäft wie auf einem anderen Weltball. Und hier iſt an Leon und mich Alles gekommen, was wir für unſer Beſtes halten, und was den Leuten mit vollem Recht ſehr komiſch erſcheinen muß, wenn wir damit unter ſie gerathen. Ich komme wohl nicht in die Verlegenheit; aber mein armer Bruder von ſeinem Schreibpult im Comptoir drunten leider doch dann und wann, und ſo neulich wieder in Ihrer Univer¬ ſität, wo Herr Andres ſo gütig war, ſich ſeiner an¬ zunehmen. Er, Leon, hat es noch nicht recht gelernt, den Traum und das Leben auseinanderzuhalten, und kommt alſo nur zu oft wie ein geſchlagenes Kind nach Hauſe, und es koſtet Wochen in dieſem unſeren Phantaſieſtübchen, ehe er ſich wieder zurechtgefunden hat in der Welt. Wir haben eigentlich da draußen in der Zeitlichkeit einen großen Umgang, und darunter ſucht er denn wie der alte Grieche nach Menſchen, die zu ihm paſſen. Ach, wenn er dann nur ausge¬ nutzt und gehänſelt würde, ſo wollte ich gar nichts ſagen; aber er wird auch gekränkt und bis aufs tiefſte verwundet, und wenn ich auch die Älteſte und die Vernünftigſte bin — ein noch älterer Bruder von uns iſt, als ich noch ein ganz junges Kind war, bei Mars la Tour gefallen — ſo kann ich doch nur allzu oft ihm gar nicht helfen. O, wenn ein Menſch es werth

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/135
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/135>, abgerufen am 24.11.2024.