Sofaecke neben seiner Frau Wirthin einnahm; ich aber stand freilich noch und sah mich immer noch um. Die ganze Welt kam hier gar nicht in Betracht; aber in ganz Deutschland gab es kein Wittwenstübchen, das diesem glich. Mitten in diesem Berlin diese ganze deutsche Jugend, soweit sie sich in Jena und auf ihren Verbindungsbildern zusammengefunden hatte! Alle Wände damit bedeckt; -- dazwischen, wo nur ein Räumchen, alles voll von Schattenrissen mit allen Couleuren an Mütze und Band. Waffen¬ trophäen statt des Spiegels, Schläger und Stulpen und was sonst dazu gehört, wo nur noch was auf¬ zuhängen war. Keine Ritterdame des romantischen Mittelalters hatte je zu der Ausstattung ihres Ahnen¬ saales und ihrer Kemenate so gepaßt, wie die Frau Fechtmeisterin Feucht zu dem Schmuck und der Zierde ihres Altweiberstübchens, wie gesagt: mitten in diesem Berlin!
"Sie sehen sich wie Jeder zuerst bei mir um, und wundern sich, Herr Krumhardt," lächelte die feine Greisin. "Ja, wundern Sie sich nur. Seine Messer schärft sich unser Herrgott selber, aber den Schleifstein drehen ihm die Menschen. Da die alten Bilder --die Fliegen sind tüchtig drüber gewesen -- sie haben auch ihr Theil an den deutschen Geschichten der letzten Jahre. Es sind ein paar gute Klingen
W. Raabe. Die Akten des Vogelsangs. 8
Sofaecke neben ſeiner Frau Wirthin einnahm; ich aber ſtand freilich noch und ſah mich immer noch um. Die ganze Welt kam hier gar nicht in Betracht; aber in ganz Deutſchland gab es kein Wittwenſtübchen, das dieſem glich. Mitten in dieſem Berlin dieſe ganze deutſche Jugend, ſoweit ſie ſich in Jena und auf ihren Verbindungsbildern zuſammengefunden hatte! Alle Wände damit bedeckt; — dazwiſchen, wo nur ein Räumchen, alles voll von Schattenriſſen mit allen Couleuren an Mütze und Band. Waffen¬ trophäen ſtatt des Spiegels, Schläger und Stulpen und was ſonſt dazu gehört, wo nur noch was auf¬ zuhängen war. Keine Ritterdame des romantiſchen Mittelalters hatte je zu der Ausſtattung ihres Ahnen¬ ſaales und ihrer Kemenate ſo gepaßt, wie die Frau Fechtmeiſterin Feucht zu dem Schmuck und der Zierde ihres Altweiberſtübchens, wie geſagt: mitten in dieſem Berlin!
„Sie ſehen ſich wie Jeder zuerſt bei mir um, und wundern ſich, Herr Krumhardt,“ lächelte die feine Greiſin. „Ja, wundern Sie ſich nur. Seine Meſſer ſchärft ſich unſer Herrgott ſelber, aber den Schleifſtein drehen ihm die Menſchen. Da die alten Bilder —die Fliegen ſind tüchtig drüber geweſen — ſie haben auch ihr Theil an den deutſchen Geſchichten der letzten Jahre. Es ſind ein paar gute Klingen
W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 8
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0123"n="113"/>
Sofaecke neben ſeiner Frau Wirthin einnahm; ich aber<lb/>ſtand freilich noch und ſah mich immer noch um. Die<lb/>
ganze Welt kam hier gar nicht in Betracht; aber in<lb/>
ganz Deutſchland gab es kein Wittwenſtübchen, das<lb/>
dieſem glich. Mitten in dieſem Berlin dieſe ganze<lb/>
deutſche Jugend, ſoweit ſie ſich in Jena und auf<lb/>
ihren Verbindungsbildern zuſammengefunden hatte!<lb/>
Alle Wände damit bedeckt; — dazwiſchen, wo nur<lb/>
ein Räumchen, alles voll von Schattenriſſen mit<lb/>
allen Couleuren an Mütze und Band. Waffen¬<lb/>
trophäen ſtatt des Spiegels, Schläger und Stulpen<lb/>
und was ſonſt dazu gehört, wo nur noch was auf¬<lb/>
zuhängen war. Keine Ritterdame des romantiſchen<lb/>
Mittelalters hatte je zu der Ausſtattung ihres Ahnen¬<lb/>ſaales und ihrer Kemenate ſo gepaßt, wie die Frau<lb/>
Fechtmeiſterin Feucht zu dem Schmuck und der Zierde<lb/>
ihres Altweiberſtübchens, wie geſagt: <hirendition="#g">mitten in<lb/>
dieſem Berlin</hi>!</p><lb/><p>„Sie ſehen ſich wie Jeder zuerſt bei mir um,<lb/>
und wundern ſich, Herr Krumhardt,“ lächelte die<lb/>
feine Greiſin. „Ja, wundern Sie ſich nur. Seine<lb/>
Meſſer ſchärft ſich unſer Herrgott ſelber, aber den<lb/>
Schleifſtein drehen ihm die Menſchen. Da die alten<lb/>
Bilder —die Fliegen ſind tüchtig drüber geweſen —<lb/>ſie haben auch ihr Theil an den deutſchen Geſchichten<lb/>
der letzten Jahre. Es ſind ein paar gute Klingen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 8<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[113/0123]
Sofaecke neben ſeiner Frau Wirthin einnahm; ich aber
ſtand freilich noch und ſah mich immer noch um. Die
ganze Welt kam hier gar nicht in Betracht; aber in
ganz Deutſchland gab es kein Wittwenſtübchen, das
dieſem glich. Mitten in dieſem Berlin dieſe ganze
deutſche Jugend, ſoweit ſie ſich in Jena und auf
ihren Verbindungsbildern zuſammengefunden hatte!
Alle Wände damit bedeckt; — dazwiſchen, wo nur
ein Räumchen, alles voll von Schattenriſſen mit
allen Couleuren an Mütze und Band. Waffen¬
trophäen ſtatt des Spiegels, Schläger und Stulpen
und was ſonſt dazu gehört, wo nur noch was auf¬
zuhängen war. Keine Ritterdame des romantiſchen
Mittelalters hatte je zu der Ausſtattung ihres Ahnen¬
ſaales und ihrer Kemenate ſo gepaßt, wie die Frau
Fechtmeiſterin Feucht zu dem Schmuck und der Zierde
ihres Altweiberſtübchens, wie geſagt: mitten in
dieſem Berlin!
„Sie ſehen ſich wie Jeder zuerſt bei mir um,
und wundern ſich, Herr Krumhardt,“ lächelte die
feine Greiſin. „Ja, wundern Sie ſich nur. Seine
Meſſer ſchärft ſich unſer Herrgott ſelber, aber den
Schleifſtein drehen ihm die Menſchen. Da die alten
Bilder —die Fliegen ſind tüchtig drüber geweſen —
ſie haben auch ihr Theil an den deutſchen Geſchichten
der letzten Jahre. Es ſind ein paar gute Klingen
W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 8
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/123>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.