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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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kluger und wackerer Vater trug den Verhältnissen
in einer Weise Rechnung, die ihm Velten Andres
am allerwenigsten zugetraut haben würde. Wenn er
mich im Vogelsang fest im Griff gehalten hatte, so
ließ er mir jetzt merkwürdig freie Bahn.

Ich darf wahrlich nicht darüber lächeln, aber
es ist so! Sein Ideal war, das, was er zu
protokolliren und in die Registratur zu nehmen hatte,
durch mich zu Protokoll und in die Registratur geben
zu sehen: "Es ist mein Wunsch, daß Du Dich zu
der besten Gesellschaft hältst. Wir, Deine Mutter
und ich, haben unser Leben darauf eingerichtet von
Deiner Geburt an. Laß mich an Dir erleben, was
ich selber nicht habe abreichen können."

Selbstverständlich war ich daraufhin einer vor¬
nehmen Verbindung beigetreten, der schon die höchsten
Spitzen der maßgebenden Kreise unserer heimathlichen
Residenz angehört hatten als jugendfrohe Jünglinge;
und ich kann es nicht leugnen: einige Male kam
mir in dieser Lebensepoche ob meiner damaligen
Verpflichtungen und Ehren der Vogelsang dann und
wann so sehr aus dem Gesicht, daß Velten Andres
vollkommen Recht hatte, wenn er mich an den Beinen
aus den Lüften wieder herunterzog durch das Wort:

"Bengel, von hier unten aus gesehen -- aus der
Froschperspektive betrachtet, bist Du wirklich gro߬

kluger und wackerer Vater trug den Verhältniſſen
in einer Weiſe Rechnung, die ihm Velten Andres
am allerwenigſten zugetraut haben würde. Wenn er
mich im Vogelſang feſt im Griff gehalten hatte, ſo
ließ er mir jetzt merkwürdig freie Bahn.

Ich darf wahrlich nicht darüber lächeln, aber
es iſt ſo! Sein Ideal war, das, was er zu
protokolliren und in die Regiſtratur zu nehmen hatte,
durch mich zu Protokoll und in die Regiſtratur geben
zu ſehen: „Es iſt mein Wunſch, daß Du Dich zu
der beſten Geſellſchaft hältſt. Wir, Deine Mutter
und ich, haben unſer Leben darauf eingerichtet von
Deiner Geburt an. Laß mich an Dir erleben, was
ich ſelber nicht habe abreichen können.“

Selbſtverſtändlich war ich daraufhin einer vor¬
nehmen Verbindung beigetreten, der ſchon die höchſten
Spitzen der maßgebenden Kreiſe unſerer heimathlichen
Reſidenz angehört hatten als jugendfrohe Jünglinge;
und ich kann es nicht leugnen: einige Male kam
mir in dieſer Lebensepoche ob meiner damaligen
Verpflichtungen und Ehren der Vogelſang dann und
wann ſo ſehr aus dem Geſicht, daß Velten Andres
vollkommen Recht hatte, wenn er mich an den Beinen
aus den Lüften wieder herunterzog durch das Wort:

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[92/0102] kluger und wackerer Vater trug den Verhältniſſen in einer Weiſe Rechnung, die ihm Velten Andres am allerwenigſten zugetraut haben würde. Wenn er mich im Vogelſang feſt im Griff gehalten hatte, ſo ließ er mir jetzt merkwürdig freie Bahn. Ich darf wahrlich nicht darüber lächeln, aber es iſt ſo! Sein Ideal war, das, was er zu protokolliren und in die Regiſtratur zu nehmen hatte, durch mich zu Protokoll und in die Regiſtratur geben zu ſehen: „Es iſt mein Wunſch, daß Du Dich zu der beſten Geſellſchaft hältſt. Wir, Deine Mutter und ich, haben unſer Leben darauf eingerichtet von Deiner Geburt an. Laß mich an Dir erleben, was ich ſelber nicht habe abreichen können.“ Selbſtverſtändlich war ich daraufhin einer vor¬ nehmen Verbindung beigetreten, der ſchon die höchſten Spitzen der maßgebenden Kreiſe unſerer heimathlichen Reſidenz angehört hatten als jugendfrohe Jünglinge; und ich kann es nicht leugnen: einige Male kam mir in dieſer Lebensepoche ob meiner damaligen Verpflichtungen und Ehren der Vogelſang dann und wann ſo ſehr aus dem Geſicht, daß Velten Andres vollkommen Recht hatte, wenn er mich an den Beinen aus den Lüften wieder herunterzog durch das Wort: „Bengel, von hier unten aus geſehen — aus der Froſchperſpektive betrachtet, biſt Du wirklich gro߬

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/102>, abgerufen am 23.11.2024.