Das Mineralindividuum, wie es Pflanzen und Thieren gegenüber- steht, ist der Krystall. Derselbe wird nicht blos von Ebenen begränzt, sondern den äußern Ebenen gehen immer mehr oder weniger deutliche Blätterdurchgänge (Blätterbrüche 1) parallel, welche das ganze Individuum beherrschen. Die deutlichen Blätterbrüche geben sich beim Schlage durch einen spiegelglatten Sprung kund, der für die Bestimmung der Substanz von größter Wichtigkeit ist, und zugleich das wesentlichste Unterscheidungs- merkmal von der organischen Schöpfung liefert. Mit ihrer Betrachtung muß umsomehr begonnen werden, als sie uns in ein Gebiet führt, das der Anschauung den reichsten Stoff bietet und das vernachläßigt bei vielen Zweigen der Naturwissenschaften sich bitter straft.
Betrachtung eines Blätterbruchs.
Nimmt man ein Stück Glimmer oder Talk, so kann man durch schnelles Zerbrechen davon so dünne Scheiben ablösen, daß sie im reflectirten Lichte rothe, selbst blaue Regenbogenfarben zurückwerfen, wie die feinsten Glasblasen. Schon Hauy berechnete die Dicke dieser Blättchen auf we- niger als Zoll. Trotz der Leichtigkeit, mit welcher man die Blätter von einander trennt, bilden sie doch zusammen eine compakte ungesonderte Masse, die Sonderung tritt erst mit dem Schlage oder Drucke ein. Der Glimmer wird in dieser Hinsicht von keinem andern Mineral an Deut- lichkeit übertroffen; man kann etwa folgende Stufen unterscheiden:
a) Glimmerbruch, Maximum von Perlmutterglanz. Blätter- zeolith, Gyps nähern sich ihm.
b) Topasbruch läßt sich selbst an diesem harten Edelstein noch leicht darstellen, steht aber dem Gyps schon entschieden nach. Kalkspath, der erste Feldspathbruch zeigt gleiche Deutlichkeit.
c) Apatitbruch läßt sich noch gut darstellen und leicht durch seinen Glanz erkennen. Der Flußspath, der 2te Feldspathbruch, der Schwerspath und andere sind meist noch etwas deutlicher, stehen aber dem Topasbruch entschieden nach.
d) Beryllbruch liegt schon recht versteckt, er kann daher nicht mehr als wichtiges Merkmal genommen werden, obgleich man ihn zumal beim Kerzenlicht nicht übersehen kann.
1 Später hat man diese Eigenschaft auch Theilbarkeit genannt, allein theil- bar ist alle Materie und nicht blos der Stein; ebensowenig paßt Spaltbarkeit, denn spalten kann man auch Holz. Wozu diese Verschlechterung des Ausdrucks, wenn seit Jahrhunderten der bessere schon gäng und gebe war.
Structurlehre.
Das Mineralindividuum, wie es Pflanzen und Thieren gegenüber- ſteht, iſt der Kryſtall. Derſelbe wird nicht blos von Ebenen begränzt, ſondern den äußern Ebenen gehen immer mehr oder weniger deutliche Blätterdurchgänge (Blätterbrüche 1) parallel, welche das ganze Individuum beherrſchen. Die deutlichen Blätterbrüche geben ſich beim Schlage durch einen ſpiegelglatten Sprung kund, der für die Beſtimmung der Subſtanz von größter Wichtigkeit iſt, und zugleich das weſentlichſte Unterſcheidungs- merkmal von der organiſchen Schöpfung liefert. Mit ihrer Betrachtung muß umſomehr begonnen werden, als ſie uns in ein Gebiet führt, das der Anſchauung den reichſten Stoff bietet und das vernachläßigt bei vielen Zweigen der Naturwiſſenſchaften ſich bitter ſtraft.
Betrachtung eines Blätterbruchs.
Nimmt man ein Stück Glimmer oder Talk, ſo kann man durch ſchnelles Zerbrechen davon ſo dünne Scheiben ablöſen, daß ſie im reflectirten Lichte rothe, ſelbſt blaue Regenbogenfarben zurückwerfen, wie die feinſten Glasblaſen. Schon Hauy berechnete die Dicke dieſer Blättchen auf we- niger als Zoll. Trotz der Leichtigkeit, mit welcher man die Blätter von einander trennt, bilden ſie doch zuſammen eine compakte ungeſonderte Maſſe, die Sonderung tritt erſt mit dem Schlage oder Drucke ein. Der Glimmer wird in dieſer Hinſicht von keinem andern Mineral an Deut- lichkeit übertroffen; man kann etwa folgende Stufen unterſcheiden:
a) Glimmerbruch, Maximum von Perlmutterglanz. Blätter- zeolith, Gyps nähern ſich ihm.
b) Topasbruch läßt ſich ſelbſt an dieſem harten Edelſtein noch leicht darſtellen, ſteht aber dem Gyps ſchon entſchieden nach. Kalkſpath, der erſte Feldſpathbruch zeigt gleiche Deutlichkeit.
c) Apatitbruch läßt ſich noch gut darſtellen und leicht durch ſeinen Glanz erkennen. Der Flußſpath, der 2te Feldſpathbruch, der Schwerſpath und andere ſind meiſt noch etwas deutlicher, ſtehen aber dem Topasbruch entſchieden nach.
d) Beryllbruch liegt ſchon recht verſteckt, er kann daher nicht mehr als wichtiges Merkmal genommen werden, obgleich man ihn zumal beim Kerzenlicht nicht überſehen kann.
1 Später hat man dieſe Eigenſchaft auch Theilbarkeit genannt, allein theil- bar iſt alle Materie und nicht blos der Stein; ebenſowenig paßt Spaltbarkeit, denn ſpalten kann man auch Holz. Wozu dieſe Verſchlechterung des Ausdrucks, wenn ſeit Jahrhunderten der beſſere ſchon gäng und gebe war.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0021"n="[9]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Structurlehre.</hi></head><lb/><p>Das Mineralindividuum, wie es Pflanzen und Thieren gegenüber-<lb/>ſteht, iſt der Kryſtall. Derſelbe wird nicht blos von Ebenen begränzt,<lb/>ſondern den äußern Ebenen gehen immer mehr oder weniger deutliche<lb/>
Blätterdurchgänge (Blätterbrüche <noteplace="foot"n="1">Später hat man dieſe Eigenſchaft auch <hirendition="#g">Theilbarkeit</hi> genannt, allein theil-<lb/>
bar iſt alle Materie und nicht blos der Stein; ebenſowenig paßt <hirendition="#g">Spaltbarkeit</hi>,<lb/>
denn ſpalten kann man auch Holz. Wozu dieſe Verſchlechterung des Ausdrucks, wenn<lb/>ſeit Jahrhunderten der beſſere ſchon gäng und gebe war.</note>) parallel, welche das ganze Individuum<lb/>
beherrſchen. Die deutlichen Blätterbrüche geben ſich beim Schlage durch<lb/>
einen ſpiegelglatten Sprung kund, der für die Beſtimmung der Subſtanz<lb/>
von größter Wichtigkeit iſt, und zugleich das weſentlichſte Unterſcheidungs-<lb/>
merkmal von der organiſchen Schöpfung liefert. Mit ihrer Betrachtung<lb/>
muß umſomehr begonnen werden, als ſie uns in ein Gebiet führt, das<lb/>
der Anſchauung den reichſten Stoff bietet und das vernachläßigt bei vielen<lb/>
Zweigen der Naturwiſſenſchaften ſich bitter ſtraft.</p><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Betrachtung eines Blätterbruchs.</hi></head><lb/><p>Nimmt man ein Stück Glimmer oder Talk, ſo kann man durch<lb/>ſchnelles Zerbrechen davon ſo dünne Scheiben ablöſen, daß ſie im reflectirten<lb/>
Lichte rothe, ſelbſt blaue Regenbogenfarben zurückwerfen, wie die feinſten<lb/>
Glasblaſen. Schon Hauy berechnete die Dicke dieſer Blättchen auf we-<lb/>
niger als <formulanotation="TeX">\frac{1}{600000}</formula> Zoll. Trotz der Leichtigkeit, mit welcher man die Blätter<lb/>
von einander trennt, bilden ſie doch zuſammen eine compakte ungeſonderte<lb/>
Maſſe, die Sonderung tritt erſt mit dem Schlage oder Drucke ein. Der<lb/>
Glimmer wird in dieſer Hinſicht von keinem andern Mineral an Deut-<lb/>
lichkeit übertroffen; man kann etwa folgende Stufen unterſcheiden:</p><lb/><p><hirendition="#aq">a</hi>) <hirendition="#g">Glimmerbruch</hi>, Maximum von Perlmutterglanz. Blätter-<lb/>
zeolith, Gyps nähern ſich ihm.</p><lb/><p><hirendition="#aq">b</hi>) <hirendition="#g">Topasbruch</hi> läßt ſich ſelbſt an dieſem harten Edelſtein noch<lb/>
leicht darſtellen, ſteht aber dem Gyps ſchon entſchieden nach. Kalkſpath,<lb/>
der erſte Feldſpathbruch zeigt gleiche Deutlichkeit.</p><lb/><p><hirendition="#aq">c</hi>) <hirendition="#g">Apatitbruch</hi> läßt ſich noch gut darſtellen und leicht durch<lb/>ſeinen Glanz erkennen. Der Flußſpath, der 2te Feldſpathbruch, der<lb/>
Schwerſpath und andere ſind meiſt noch etwas deutlicher, ſtehen aber dem<lb/>
Topasbruch entſchieden nach.</p><lb/><p><hirendition="#aq">d</hi>) <hirendition="#g">Beryllbruch</hi> liegt ſchon recht verſteckt, er kann daher nicht<lb/>
mehr als wichtiges Merkmal genommen werden, obgleich man ihn zumal<lb/>
beim Kerzenlicht nicht überſehen kann.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[[9]/0021]
Structurlehre.
Das Mineralindividuum, wie es Pflanzen und Thieren gegenüber-
ſteht, iſt der Kryſtall. Derſelbe wird nicht blos von Ebenen begränzt,
ſondern den äußern Ebenen gehen immer mehr oder weniger deutliche
Blätterdurchgänge (Blätterbrüche 1) parallel, welche das ganze Individuum
beherrſchen. Die deutlichen Blätterbrüche geben ſich beim Schlage durch
einen ſpiegelglatten Sprung kund, der für die Beſtimmung der Subſtanz
von größter Wichtigkeit iſt, und zugleich das weſentlichſte Unterſcheidungs-
merkmal von der organiſchen Schöpfung liefert. Mit ihrer Betrachtung
muß umſomehr begonnen werden, als ſie uns in ein Gebiet führt, das
der Anſchauung den reichſten Stoff bietet und das vernachläßigt bei vielen
Zweigen der Naturwiſſenſchaften ſich bitter ſtraft.
Betrachtung eines Blätterbruchs.
Nimmt man ein Stück Glimmer oder Talk, ſo kann man durch
ſchnelles Zerbrechen davon ſo dünne Scheiben ablöſen, daß ſie im reflectirten
Lichte rothe, ſelbſt blaue Regenbogenfarben zurückwerfen, wie die feinſten
Glasblaſen. Schon Hauy berechnete die Dicke dieſer Blättchen auf we-
niger als [FORMEL] Zoll. Trotz der Leichtigkeit, mit welcher man die Blätter
von einander trennt, bilden ſie doch zuſammen eine compakte ungeſonderte
Maſſe, die Sonderung tritt erſt mit dem Schlage oder Drucke ein. Der
Glimmer wird in dieſer Hinſicht von keinem andern Mineral an Deut-
lichkeit übertroffen; man kann etwa folgende Stufen unterſcheiden:
a) Glimmerbruch, Maximum von Perlmutterglanz. Blätter-
zeolith, Gyps nähern ſich ihm.
b) Topasbruch läßt ſich ſelbſt an dieſem harten Edelſtein noch
leicht darſtellen, ſteht aber dem Gyps ſchon entſchieden nach. Kalkſpath,
der erſte Feldſpathbruch zeigt gleiche Deutlichkeit.
c) Apatitbruch läßt ſich noch gut darſtellen und leicht durch
ſeinen Glanz erkennen. Der Flußſpath, der 2te Feldſpathbruch, der
Schwerſpath und andere ſind meiſt noch etwas deutlicher, ſtehen aber dem
Topasbruch entſchieden nach.
d) Beryllbruch liegt ſchon recht verſteckt, er kann daher nicht
mehr als wichtiges Merkmal genommen werden, obgleich man ihn zumal
beim Kerzenlicht nicht überſehen kann.
1 Später hat man dieſe Eigenſchaft auch Theilbarkeit genannt, allein theil-
bar iſt alle Materie und nicht blos der Stein; ebenſowenig paßt Spaltbarkeit,
denn ſpalten kann man auch Holz. Wozu dieſe Verſchlechterung des Ausdrucks, wenn
ſeit Jahrhunderten der beſſere ſchon gäng und gebe war.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855, S. [9]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854/21>, abgerufen am 11.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.