Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Violine herausgegeben hat, in den Brauch gekommen sind.* Die sicherste Nachricht die man vom Ursprunge der Cadenzen geben könnte, ist diese, daß man einige Jahre vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts, und die ersten zehn Jahre des itzigen, den Schluß einer concertirenden Stimme, durch eine kleine Passagie, über dem fortgehenden Basse, und durch einen daran gehengeten guten Triller gemacht hat: daß aber ohngefähr zwischen 1710. und 1716. die itzo üblichen Cadenzen, bey denen sich der Baß aufhalten muß, Mode geworden sind. Die Fermaten, oder sogenannten Aufhaltungen ad Libitum in der Mitte eines Stücks aber, mögen wohl etwas ältern Ursprunges seyn.

Bald nach der ersten Ausgabe erschienen diese Sonaten, unter des Urhebers Namen von neuem in Kupfer, und bey den zwölf Adagio der ersten sechs Sonaten befanden sich die Veränderungen dabey gestochen. Es war aber keine einzige Cadenz ad libitum dabey. Kurze Zeit darauf setzete der ehemals in Oesterreichischen Diensten gestandene, berühmte Violinist, Nicola Mattei noch andere Manieren zu eben diesen zwölf Adagio. Dieser hat zwar etwas mehr gethan, als Corelli selbst, indem er dieselben mit einer Art von kurzer Auszierung beschlossen. Sie sind aber noch keine Cadenzen ad libitum, wie man itziger Zeit machet, sondern sie gehen nach der Strenge des Tactes, ohne Aufhalten des Basses fort. Beyde Exemplare habe ich schon seit dreyßig und mehr Jahren in Händen.
3. §.

Ob die Cadenzen, mit ihrer Geburth, zugleich auch Regeln, worinn sie eigentlich bestehen sollen, mitgebracht haben; oder ob sie nur, von einigen geschikten Leuten, willkührlich und ohne Regeln erfunden worden sind, ist mir unbekannt. Doch glaube ich das letztere. Denn schon vor etlichen und zwanzig Jahren eiferten die Componisten in Italien, wider den Misbrauch, der in diesem Puncte, in Opern, so häufig von den mittelmäßigen Sängern begangen wurde. Die Componisten beschlossen deswegen, um den ungeschickten Sängern die Gelegenheit zum Cadenziren zu benehmen, die meisten Arien mit Baßmäßigen Gängen, im Unison.

4. §.

Der Misbrauch der Cadenzen besteht nicht allein darinne, wenn sie, wie gemeiniglich geschieht, an sich selbst nicht viel taugen: sondern auch wenn sie bey der Instrumentalmusik, bey solchen Stücken angebracht werden, wohin sich gar keine schicken; z. E. bey lustigen und geschwinden Stücken die im 2/4, 3/4, 3/8, 12/8 und 6/8 Tacte gesetzet sind. Sie finden

Violine herausgegeben hat, in den Brauch gekommen sind.* Die sicherste Nachricht die man vom Ursprunge der Cadenzen geben könnte, ist diese, daß man einige Jahre vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts, und die ersten zehn Jahre des itzigen, den Schluß einer concertirenden Stimme, durch eine kleine Passagie, über dem fortgehenden Basse, und durch einen daran gehengeten guten Triller gemacht hat: daß aber ohngefähr zwischen 1710. und 1716. die itzo üblichen Cadenzen, bey denen sich der Baß aufhalten muß, Mode geworden sind. Die Fermaten, oder sogenannten Aufhaltungen ad Libitum in der Mitte eines Stücks aber, mögen wohl etwas ältern Ursprunges seyn.

Bald nach der ersten Ausgabe erschienen diese Sonaten, unter des Urhebers Namen von neuem in Kupfer, und bey den zwölf Adagio der ersten sechs Sonaten befanden sich die Veränderungen dabey gestochen. Es war aber keine einzige Cadenz ad libitum dabey. Kurze Zeit darauf setzete der ehemals in Oesterreichischen Diensten gestandene, berühmte Violinist, Nicola Mattei noch andere Manieren zu eben diesen zwölf Adagio. Dieser hat zwar etwas mehr gethan, als Corelli selbst, indem er dieselben mit einer Art von kurzer Auszierung beschlossen. Sie sind aber noch keine Cadenzen ad libitum, wie man itziger Zeit machet, sondern sie gehen nach der Strenge des Tactes, ohne Aufhalten des Basses fort. Beyde Exemplare habe ich schon seit dreyßig und mehr Jahren in Händen.
3. §.

Ob die Cadenzen, mit ihrer Geburth, zugleich auch Regeln, worinn sie eigentlich bestehen sollen, mitgebracht haben; oder ob sie nur, von einigen geschikten Leuten, willkührlich und ohne Regeln erfunden worden sind, ist mir unbekannt. Doch glaube ich das letztere. Denn schon vor etlichen und zwanzig Jahren eiferten die Componisten in Italien, wider den Misbrauch, der in diesem Puncte, in Opern, so häufig von den mittelmäßigen Sängern begangen wurde. Die Componisten beschlossen deswegen, um den ungeschickten Sängern die Gelegenheit zum Cadenziren zu benehmen, die meisten Arien mit Baßmäßigen Gängen, im Unison.

4. §.

Der Misbrauch der Cadenzen besteht nicht allein darinne, wenn sie, wie gemeiniglich geschieht, an sich selbst nicht viel taugen: sondern auch wenn sie bey der Instrumentalmusik, bey solchen Stücken angebracht werden, wohin sich gar keine schicken; z. E. bey lustigen und geschwinden Stücken die im 2/4, 3/4, 3/8, 12/8 und 6/8 Tacte gesetzet sind. Sie finden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0166" n="152"/>
Violine herausgegeben hat, in den Brauch gekommen sind.* Die sicherste Nachricht die man vom Ursprunge der Cadenzen geben könnte, ist diese, daß man einige Jahre vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts, und die ersten zehn Jahre des itzigen, den Schluß einer concertirenden Stimme, durch eine kleine Passagie, über dem fortgehenden Basse, und durch einen daran gehengeten guten Triller gemacht hat: daß aber ohngefähr zwischen 1710. und 1716. die itzo üblichen Cadenzen, bey denen sich der Baß aufhalten muß, Mode geworden sind. Die Fermaten, oder sogenannten Aufhaltungen ad Libitum in der Mitte eines Stücks aber, mögen wohl etwas ältern Ursprunges seyn.</p>
            <list>
              <item>Bald nach der ersten Ausgabe erschienen diese Sonaten, unter des Urhebers Namen von neuem in Kupfer, und bey den zwölf Adagio der ersten sechs Sonaten befanden sich die Veränderungen dabey gestochen. Es war aber keine <choice><sic>einige</sic><corr>einzige</corr></choice> Cadenz ad libitum dabey. Kurze Zeit darauf setzete der ehemals in Oesterreichischen Diensten gestandene, berühmte Violinist, <hi rendition="#fr">Nicola Mattei</hi> noch andere Manieren zu eben diesen zwölf Adagio. Dieser hat zwar etwas mehr gethan, als <hi rendition="#fr">Corelli</hi> selbst, indem er dieselben mit einer Art von kurzer Auszierung beschlossen. Sie sind aber noch keine Cadenzen ad libitum, wie man itziger Zeit machet, sondern sie gehen nach der Strenge des Tactes, ohne Aufhalten des Basses fort. Beyde Exemplare habe ich schon seit dreyßig und mehr Jahren in Händen.</item>
            </list>
          </div>
          <div n="3">
            <head>3. §.</head><lb/>
            <p>Ob die Cadenzen, mit ihrer Geburth, zugleich auch Regeln, worinn sie eigentlich bestehen sollen, mitgebracht haben; oder ob sie nur, von einigen geschikten Leuten, willkührlich und ohne Regeln erfunden worden sind, ist mir unbekannt. Doch glaube ich das letztere. Denn schon vor etlichen und zwanzig Jahren eiferten die Componisten in Italien, wider den Misbrauch, der in diesem Puncte, in Opern, so häufig von den mittelmäßigen Sängern begangen wurde. Die Componisten beschlossen deswegen, um den ungeschickten Sängern die Gelegenheit zum Cadenziren zu benehmen, die meisten Arien mit Baßmäßigen Gängen, im Unison.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <head>4. §.</head><lb/>
            <p>Der Misbrauch der Cadenzen besteht nicht allein darinne, wenn sie, wie gemeiniglich geschieht, an sich selbst nicht viel taugen: sondern auch wenn sie bey der Instrumentalmusik, bey solchen Stücken angebracht werden, wohin sich gar keine schicken; z. E. bey lustigen und geschwinden Stücken die im 2/4, 3/4, 3/8, 12/8 und 6/8 Tacte gesetzet sind. Sie finden
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0166] Violine herausgegeben hat, in den Brauch gekommen sind.* Die sicherste Nachricht die man vom Ursprunge der Cadenzen geben könnte, ist diese, daß man einige Jahre vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts, und die ersten zehn Jahre des itzigen, den Schluß einer concertirenden Stimme, durch eine kleine Passagie, über dem fortgehenden Basse, und durch einen daran gehengeten guten Triller gemacht hat: daß aber ohngefähr zwischen 1710. und 1716. die itzo üblichen Cadenzen, bey denen sich der Baß aufhalten muß, Mode geworden sind. Die Fermaten, oder sogenannten Aufhaltungen ad Libitum in der Mitte eines Stücks aber, mögen wohl etwas ältern Ursprunges seyn. Bald nach der ersten Ausgabe erschienen diese Sonaten, unter des Urhebers Namen von neuem in Kupfer, und bey den zwölf Adagio der ersten sechs Sonaten befanden sich die Veränderungen dabey gestochen. Es war aber keine einzige Cadenz ad libitum dabey. Kurze Zeit darauf setzete der ehemals in Oesterreichischen Diensten gestandene, berühmte Violinist, Nicola Mattei noch andere Manieren zu eben diesen zwölf Adagio. Dieser hat zwar etwas mehr gethan, als Corelli selbst, indem er dieselben mit einer Art von kurzer Auszierung beschlossen. Sie sind aber noch keine Cadenzen ad libitum, wie man itziger Zeit machet, sondern sie gehen nach der Strenge des Tactes, ohne Aufhalten des Basses fort. Beyde Exemplare habe ich schon seit dreyßig und mehr Jahren in Händen. 3. §. Ob die Cadenzen, mit ihrer Geburth, zugleich auch Regeln, worinn sie eigentlich bestehen sollen, mitgebracht haben; oder ob sie nur, von einigen geschikten Leuten, willkührlich und ohne Regeln erfunden worden sind, ist mir unbekannt. Doch glaube ich das letztere. Denn schon vor etlichen und zwanzig Jahren eiferten die Componisten in Italien, wider den Misbrauch, der in diesem Puncte, in Opern, so häufig von den mittelmäßigen Sängern begangen wurde. Die Componisten beschlossen deswegen, um den ungeschickten Sängern die Gelegenheit zum Cadenziren zu benehmen, die meisten Arien mit Baßmäßigen Gängen, im Unison. 4. §. Der Misbrauch der Cadenzen besteht nicht allein darinne, wenn sie, wie gemeiniglich geschieht, an sich selbst nicht viel taugen: sondern auch wenn sie bey der Instrumentalmusik, bey solchen Stücken angebracht werden, wohin sich gar keine schicken; z. E. bey lustigen und geschwinden Stücken die im 2/4, 3/4, 3/8, 12/8 und 6/8 Tacte gesetzet sind. Sie finden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-30T10:17:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-30T10:17:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-30T10:17:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/166
Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/166>, abgerufen am 22.12.2024.