Uebrigens, wenn man die Fehler der Componisten, von dem, was sie wirklich Gutes haben, absondert; so kann man den Jtaliänern über- haupt, die Geschiklichkeit im Spielen, die Einsicht in die Musik, die reiche Erfindung schöner Gedanken, und daß sie es im Singen zu einer größern Vollkommenheit gebracht haben, als irgend eine andere Nation, nicht absprechen. Nur Schade, daß seit einiger Zeit, die meisten ihrer Jnstrumentisten allzuweit von dem Geschmacke des Singens abgegan- gen sind: wodurch sie nicht nur Viele, die ihnen nachzuahmen suchen, verführen, sondern auch so gar manchen Sänger verleiten, die gute Sing- art zu verlassen. Es ist daher nicht ohne Grund zu befürchten, daß der gute Geschmack in der Musik, welchen die Jtaliäner ehedem vor den mei- sten Völkern voraus gehabt haben, sich bey ihnen nach und nach wieder verlieren, und andern gänzlich zu Theile werden könne. Einige vernünf- tige, und von Vorurtheilen befreyete italiänische Musikverständige ge- stehen dieses selbst zu. Sie wollen noch darzu behaupten, daß solches, sowohl in Ansehung der Composition, als der Art zu spielen, bereits ge- schehen sey. Dem sey aber wie ihm wolle, so bleibt den Jtaliänern doch die gute Singart, welche sich auch sogar gewissermaßen bis auf ihre Gon- delnführer ausbreitet, vor allen andern Völkern noch eigen.
65. §.
Bey den Franzosen findet sich das Gegentheil von dem, was ich von den Jtaliänern gesaget habe. Denn so wie die Jtaliäner in der Mu- sik fast zu veränderlich sind; so sind die Franzosen darinne zu beständig, und zu sklavisch. Sie binden sich allzusehr an gewisse Charaktere, wel- che zwar zum Tanze und zu Trinkliedern, aber nicht zu ernsthaftern Stücken vortheilhaft sind: weswegen auch das Neue bey ihnen öfters alt zu seyn scheint. Die Jnstrumentisten pflegen sich zwar mit Ausführung großer Schwierigkeiten, und mit vielen Auszierungen im Adagio, nicht weit einzulassen; doch tragen sie ihre Sache mit vieler Deutlichkeit und Reinigkeit vor: womit sie zum wenigsten die guten Gedanken des Com- ponisten nicht verderben. Wegen ihres deutlichen Vortrages, sind sie in einem Orchester, als Ripienisten, besser zu gebrauchen, als die Jtaliä- ner. Es ist daher einem jeden angehenden Jnstrumentisten zu rathen, daß er mit der französischen Art zu spielen den Anfang mache. Er wird dadurch nicht allein, die vorgeschriebenen Noten, und die kleinen Aus- zierungen, reinlich und deutlich vortragen lernen; sondern auch, mit der
Zeit,
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und eine Muſik zu beurtheilen ſey.
64. §.
Uebrigens, wenn man die Fehler der Componiſten, von dem, was ſie wirklich Gutes haben, abſondert; ſo kann man den Jtaliaͤnern uͤber- haupt, die Geſchiklichkeit im Spielen, die Einſicht in die Muſik, die reiche Erfindung ſchoͤner Gedanken, und daß ſie es im Singen zu einer groͤßern Vollkommenheit gebracht haben, als irgend eine andere Nation, nicht abſprechen. Nur Schade, daß ſeit einiger Zeit, die meiſten ihrer Jnſtrumentiſten allzuweit von dem Geſchmacke des Singens abgegan- gen ſind: wodurch ſie nicht nur Viele, die ihnen nachzuahmen ſuchen, verfuͤhren, ſondern auch ſo gar manchen Saͤnger verleiten, die gute Sing- art zu verlaſſen. Es iſt daher nicht ohne Grund zu befuͤrchten, daß der gute Geſchmack in der Muſik, welchen die Jtaliaͤner ehedem vor den mei- ſten Voͤlkern voraus gehabt haben, ſich bey ihnen nach und nach wieder verlieren, und andern gaͤnzlich zu Theile werden koͤnne. Einige vernuͤnf- tige, und von Vorurtheilen befreyete italiaͤniſche Muſikverſtaͤndige ge- ſtehen dieſes ſelbſt zu. Sie wollen noch darzu behaupten, daß ſolches, ſowohl in Anſehung der Compoſition, als der Art zu ſpielen, bereits ge- ſchehen ſey. Dem ſey aber wie ihm wolle, ſo bleibt den Jtaliaͤnern doch die gute Singart, welche ſich auch ſogar gewiſſermaßen bis auf ihre Gon- delnfuͤhrer ausbreitet, vor allen andern Voͤlkern noch eigen.
65. §.
Bey den Franzoſen findet ſich das Gegentheil von dem, was ich von den Jtaliaͤnern geſaget habe. Denn ſo wie die Jtaliaͤner in der Mu- ſik faſt zu veraͤnderlich ſind; ſo ſind die Franzoſen darinne zu beſtaͤndig, und zu ſklaviſch. Sie binden ſich allzuſehr an gewiſſe Charaktere, wel- che zwar zum Tanze und zu Trinkliedern, aber nicht zu ernſthaftern Stuͤcken vortheilhaft ſind: weswegen auch das Neue bey ihnen oͤfters alt zu ſeyn ſcheint. Die Jnſtrumentiſten pflegen ſich zwar mit Ausfuͤhrung großer Schwierigkeiten, und mit vielen Auszierungen im Adagio, nicht weit einzulaſſen; doch tragen ſie ihre Sache mit vieler Deutlichkeit und Reinigkeit vor: womit ſie zum wenigſten die guten Gedanken des Com- poniſten nicht verderben. Wegen ihres deutlichen Vortrages, ſind ſie in einem Orcheſter, als Ripieniſten, beſſer zu gebrauchen, als die Jtaliaͤ- ner. Es iſt daher einem jeden angehenden Jnſtrumentiſten zu rathen, daß er mit der franzoͤſiſchen Art zu ſpielen den Anfang mache. Er wird dadurch nicht allein, die vorgeſchriebenen Noten, und die kleinen Aus- zierungen, reinlich und deutlich vortragen lernen; ſondern auch, mit der
Zeit,
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Uebrigens, wenn man die Fehler der Componiſten, von dem, was
ſie wirklich Gutes haben, abſondert; ſo kann man den Jtaliaͤnern uͤber-
haupt, die Geſchiklichkeit im Spielen, die Einſicht in die Muſik, die
reiche Erfindung ſchoͤner Gedanken, und daß ſie es im Singen zu einer
groͤßern Vollkommenheit gebracht haben, als irgend eine andere Nation,
nicht abſprechen. Nur Schade, daß ſeit einiger Zeit, die meiſten ihrer
Jnſtrumentiſten allzuweit von dem Geſchmacke des Singens abgegan-
gen ſind: wodurch ſie nicht nur Viele, die ihnen nachzuahmen ſuchen,
verfuͤhren, ſondern auch ſo gar manchen Saͤnger verleiten, die gute Sing-
art zu verlaſſen. Es iſt daher nicht ohne Grund zu befuͤrchten, daß der
gute Geſchmack in der Muſik, welchen die Jtaliaͤner ehedem vor den mei-
ſten Voͤlkern voraus gehabt haben, ſich bey ihnen nach und nach wieder
verlieren, und andern gaͤnzlich zu Theile werden koͤnne. Einige vernuͤnf-
tige, und von Vorurtheilen befreyete italiaͤniſche Muſikverſtaͤndige ge-
ſtehen dieſes ſelbſt zu. Sie wollen noch darzu behaupten, daß ſolches,
ſowohl in Anſehung der Compoſition, als der Art zu ſpielen, bereits ge-
ſchehen ſey. Dem ſey aber wie ihm wolle, ſo bleibt den Jtaliaͤnern doch
die gute Singart, welche ſich auch ſogar gewiſſermaßen bis auf ihre Gon-
delnfuͤhrer ausbreitet, vor allen andern Voͤlkern noch eigen.
65. §.
Bey den Franzoſen findet ſich das Gegentheil von dem, was ich
von den Jtaliaͤnern geſaget habe. Denn ſo wie die Jtaliaͤner in der Mu-
ſik faſt zu veraͤnderlich ſind; ſo ſind die Franzoſen darinne zu beſtaͤndig,
und zu ſklaviſch. Sie binden ſich allzuſehr an gewiſſe Charaktere, wel-
che zwar zum Tanze und zu Trinkliedern, aber nicht zu ernſthaftern
Stuͤcken vortheilhaft ſind: weswegen auch das Neue bey ihnen oͤfters alt
zu ſeyn ſcheint. Die Jnſtrumentiſten pflegen ſich zwar mit Ausfuͤhrung
großer Schwierigkeiten, und mit vielen Auszierungen im Adagio, nicht
weit einzulaſſen; doch tragen ſie ihre Sache mit vieler Deutlichkeit und
Reinigkeit vor: womit ſie zum wenigſten die guten Gedanken des Com-
poniſten nicht verderben. Wegen ihres deutlichen Vortrages, ſind ſie
in einem Orcheſter, als Ripieniſten, beſſer zu gebrauchen, als die Jtaliaͤ-
ner. Es iſt daher einem jeden angehenden Jnſtrumentiſten zu rathen,
daß er mit der franzoͤſiſchen Art zu ſpielen den Anfang mache. Er wird
dadurch nicht allein, die vorgeſchriebenen Noten, und die kleinen Aus-
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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/333>, abgerufen am 16.02.2025.
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