Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus mehrere Freyheit hat, gewiß noch weniger zu thun vermögend seyn. Weraber ungeachtet einiges Zwanges schon zu rühren weis, von dem kann man sich, wenn er völlige Freyheit hat, noch viel ein Mehreres verspre- chen. Würde also wohl die schlechte Ausführung der Kirchenmusiken, an vielen Orten, ein hinreichender Bewegungsgrund seyn können, so gleich alle Kirchenmusiken als etwas ungefälliges zu verwerfen? 23. §. Die theatralische Musik besteht entweder aus Opern, oder 24. §. Wer die Musik einer Oper gründlich beurtheilen will, muß unter- maaß, (*) s. hiervon mit Mehrerm den 43. §. dieses Hauptstücks.
Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus mehrere Freyheit hat, gewiß noch weniger zu thun vermoͤgend ſeyn. Weraber ungeachtet einiges Zwanges ſchon zu ruͤhren weis, von dem kann man ſich, wenn er voͤllige Freyheit hat, noch viel ein Mehreres verſpre- chen. Wuͤrde alſo wohl die ſchlechte Ausfuͤhrung der Kirchenmuſiken, an vielen Orten, ein hinreichender Bewegungsgrund ſeyn koͤnnen, ſo gleich alle Kirchenmuſiken als etwas ungefaͤlliges zu verwerfen? 23. §. Die theatraliſche Muſik beſteht entweder aus Opern, oder 24. §. Wer die Muſik einer Oper gruͤndlich beurtheilen will, muß unter- maaß, (*) ſ. hiervon mit Mehrerm den 43. §. dieſes Hauptſtuͤcks.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0308" n="290"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">XVIII.</hi> Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus</hi></fw><lb/> mehrere Freyheit hat, gewiß noch weniger zu thun vermoͤgend ſeyn. Wer<lb/> aber ungeachtet einiges Zwanges ſchon zu ruͤhren weis, von dem kann<lb/> man ſich, wenn er voͤllige Freyheit hat, noch viel ein Mehreres verſpre-<lb/> chen. Wuͤrde alſo wohl die ſchlechte Ausfuͤhrung der Kirchenmuſiken, an<lb/> vielen Orten, ein hinreichender Bewegungsgrund ſeyn koͤnnen, ſo gleich<lb/> alle Kirchenmuſiken als etwas ungefaͤlliges zu verwerfen?</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>23. §.</head><lb/> <p>Die <hi rendition="#fr">theatraliſche Muſik</hi> beſteht entweder aus <hi rendition="#fr">Opern,</hi> oder<lb/><hi rendition="#fr">Paſtoralen,</hi> (Schaͤferſpielen,) oder <hi rendition="#fr">Zwiſchenſpielen,</hi> (Jntermezzen.)<lb/> Die Opern ſind entweder wirkliche Trauerſpiele, oder Trauerſpiele mit<lb/> einem froͤlichen Ende, welche den Tragikomoͤdien aͤhnlich ſind. Ob wohl<lb/> eine jede Gattung der theatraliſchen Stuͤcke ihre eigene und beſondere<lb/> Schreibart erfodert: ſo bedienen ſich doch die Componiſten mehrentheils,<lb/> um ihren Einfaͤllen voͤllig den Zuͤgel zu laſſen, hierinn vieler Freyheit;<lb/> welche ſie aber deſſen ungeachtet nicht von den Pflichten, ſich ſowohl an<lb/> die Worte, als an die Eigenſchaften und den Zuſammenhang der Sache<lb/> zu binden, frey ſprechen kann.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>24. §.</head><lb/> <p>Wer die Muſik einer Oper gruͤndlich beurtheilen will, muß unter-<lb/> ſuchen: ob die Sinfonie entweder mit dem Jnhalte des ganzen Stuͤckes,<lb/> oder mit dem erſten Acte, oder zum wenigſten mit der erſten Scene einen<lb/> Verhalt habe, und die Zuhoͤrer in den Affect, welchen die erſte Handlung<lb/> in ſich hat, er ſey zaͤrtlich, oder traurig, oder luſtig, oder heroiſch, oder<lb/> wuͤtend, u. d. m. zu verſetzen vermoͤgend ſey <note place="foot" n="(*)">ſ. hiervon mit Mehrerm den 43. §. dieſes Hauptſtuͤcks.</note>. Es iſt zu beobachten:<lb/> ob das Recitativ natuͤrlich, ſprechend, ausdruͤckend, und fuͤr die Saͤn-<lb/> ger weder zu tief, noch zu hoch geſetzet ſey; ob die Arien mit ſolchen Ri-<lb/> tornellen verſehen ſeyn, die ſingend und ausdruͤckend ſind, um von der<lb/> Folge, in der Kuͤrze, einen Vorſchmack zu geben; nicht aber nach dem<lb/> allgemeinen Schlentrian der welſchen Alltagscomponiſten, wo das Ri-<lb/> tornell von einem, und das uͤbrige von einem andern gemacht zu ſeyn<lb/> ſcheint. Man gebe bey Beurtheilung einer Oper ferner Acht: ob die<lb/> Arien ſingbar ſeyn, und dabey den Saͤngern Gelegenheit geben, ihre<lb/> Faͤhigkeit zu zeigen; ob der Componiſt die Leidenſchaften, ſo wie es die<lb/> Materie erfodert, ausgedruͤcket, eine jede von der andern wohl unter-<lb/> ſchieden, und an ihren gehoͤrigen Ort gebracht habe; ob er einen jeden<lb/> Saͤnger, vom erſten bis zum letzten, ohne Partheylichkeit, nach ſeiner<lb/> Rolle, Stimme, und Faͤhigkeit eingekleidet habe; ob er das Sylben-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">maaß,</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [290/0308]
Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus
mehrere Freyheit hat, gewiß noch weniger zu thun vermoͤgend ſeyn. Wer
aber ungeachtet einiges Zwanges ſchon zu ruͤhren weis, von dem kann
man ſich, wenn er voͤllige Freyheit hat, noch viel ein Mehreres verſpre-
chen. Wuͤrde alſo wohl die ſchlechte Ausfuͤhrung der Kirchenmuſiken, an
vielen Orten, ein hinreichender Bewegungsgrund ſeyn koͤnnen, ſo gleich
alle Kirchenmuſiken als etwas ungefaͤlliges zu verwerfen?
23. §.
Die theatraliſche Muſik beſteht entweder aus Opern, oder
Paſtoralen, (Schaͤferſpielen,) oder Zwiſchenſpielen, (Jntermezzen.)
Die Opern ſind entweder wirkliche Trauerſpiele, oder Trauerſpiele mit
einem froͤlichen Ende, welche den Tragikomoͤdien aͤhnlich ſind. Ob wohl
eine jede Gattung der theatraliſchen Stuͤcke ihre eigene und beſondere
Schreibart erfodert: ſo bedienen ſich doch die Componiſten mehrentheils,
um ihren Einfaͤllen voͤllig den Zuͤgel zu laſſen, hierinn vieler Freyheit;
welche ſie aber deſſen ungeachtet nicht von den Pflichten, ſich ſowohl an
die Worte, als an die Eigenſchaften und den Zuſammenhang der Sache
zu binden, frey ſprechen kann.
24. §.
Wer die Muſik einer Oper gruͤndlich beurtheilen will, muß unter-
ſuchen: ob die Sinfonie entweder mit dem Jnhalte des ganzen Stuͤckes,
oder mit dem erſten Acte, oder zum wenigſten mit der erſten Scene einen
Verhalt habe, und die Zuhoͤrer in den Affect, welchen die erſte Handlung
in ſich hat, er ſey zaͤrtlich, oder traurig, oder luſtig, oder heroiſch, oder
wuͤtend, u. d. m. zu verſetzen vermoͤgend ſey (*). Es iſt zu beobachten:
ob das Recitativ natuͤrlich, ſprechend, ausdruͤckend, und fuͤr die Saͤn-
ger weder zu tief, noch zu hoch geſetzet ſey; ob die Arien mit ſolchen Ri-
tornellen verſehen ſeyn, die ſingend und ausdruͤckend ſind, um von der
Folge, in der Kuͤrze, einen Vorſchmack zu geben; nicht aber nach dem
allgemeinen Schlentrian der welſchen Alltagscomponiſten, wo das Ri-
tornell von einem, und das uͤbrige von einem andern gemacht zu ſeyn
ſcheint. Man gebe bey Beurtheilung einer Oper ferner Acht: ob die
Arien ſingbar ſeyn, und dabey den Saͤngern Gelegenheit geben, ihre
Faͤhigkeit zu zeigen; ob der Componiſt die Leidenſchaften, ſo wie es die
Materie erfodert, ausgedruͤcket, eine jede von der andern wohl unter-
ſchieden, und an ihren gehoͤrigen Ort gebracht habe; ob er einen jeden
Saͤnger, vom erſten bis zum letzten, ohne Partheylichkeit, nach ſeiner
Rolle, Stimme, und Faͤhigkeit eingekleidet habe; ob er das Sylben-
maaß,
(*) ſ. hiervon mit Mehrerm den 43. §. dieſes Hauptſtuͤcks.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |