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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Des XVII. Hauptstücks. VII. Abschnitt.
52. §.

Was ich bisher gezeiget habe, trifft, wie schon oben gesaget worden,
am genauesten und am allermeisten bey den Jnstrumentalstücken, als
Concerten, Trio und Solo ein. Was die Arien im italiänischen Ge-
schmacke anbelanget; so ist zwar wahr, daß fast eine jede von ihnen ihr
besonderes Tempo verlanget. Es fließt doch aber solches mehrentheils
aus den hier angeführten vier Hauptarten des Zeitmaaßes: und kömmt
es nur darauf an, daß man sowohl auf den Sinn der Worte, als auf
die Bewegung der Noten, besonders aber der geschwindesten, Achtung
gebe: und daß man bey geschwinden Arien, auf die Fertigkeit und die Stim-
men der Sänger sein Augenmerk richte. Ein Sänger der die geschwin-
den Passagien alle mit der Brust stößt, kann dieselben schwerlich in sol-
cher Geschwindigkeit herausbringen, als einer der sie nur in der Gurgel
markiret; ohnerachtet der erstere vor dem letztern, absonderlich an großen
Orten, wegen der Deutlichkeit, immer einen Vorzug behält. Wenn
man also nur ein wenig Erfahrung darinne hat, und weis, daß über-
haupt die meisten Arien nicht ein so gar geschwindes Tempo verlangen,
als die Jnstrumentalstücke; so wird man das gehörige Zeitmaaß davon,
ohne weitere besondere Schwierigkeiten, treffen können.

53. §.

Mit einer Kirchenmusik hat es eben dieselbe Bewandtniß, wie mit
den Arien: ausgenommen daß sowohl der Vortrag bey der Ausführung,
als das Zeitmaaß, wenn es anders kirchenmäßig seyn soll, etwas ge-
mäßigter als im Opernstyl genommen werden muß.

54. §.

Auf die bisher beschriebene Weise nun, kann man nicht allein jede
Note in ihr gehöriges Zeitmaaß eintheilen lernen; sondern man kann
auch dadurch, von jedem Stücke, das rechte Tempo, so wie es der Com-
ponist verlanget, mehrentheils errathen: wenn man nur damit eine lan-
ge und vielfältige Erfahrung zu verknüpfen suchen wird.

55. §.

Jch muß noch etliche Einwürfe im Voraus beantworten, die man
wider meine angeführte Art das Tempo zu errathen, vielleicht machen
könnte. Man könnte einwenden, daß der Pulsschlag, weder zu einer
jeden Stunde des Tages, noch bey einem jeden Menschen, allezeit in einer-
ley Geschwindigkeit gehe, wie es doch erfodert würde, um das Zeitmaaß
in der Musik richtig darnach zu fassen. Man wird sagen, daß der Puls

des
Des XVII. Hauptſtuͤcks. VII. Abſchnitt.
52. §.

Was ich bisher gezeiget habe, trifft, wie ſchon oben geſaget worden,
am genaueſten und am allermeiſten bey den Jnſtrumentalſtuͤcken, als
Concerten, Trio und Solo ein. Was die Arien im italiaͤniſchen Ge-
ſchmacke anbelanget; ſo iſt zwar wahr, daß faſt eine jede von ihnen ihr
beſonderes Tempo verlanget. Es fließt doch aber ſolches mehrentheils
aus den hier angefuͤhrten vier Hauptarten des Zeitmaaßes: und koͤmmt
es nur darauf an, daß man ſowohl auf den Sinn der Worte, als auf
die Bewegung der Noten, beſonders aber der geſchwindeſten, Achtung
gebe: und daß man bey geſchwinden Arien, auf die Fertigkeit und die Stim-
men der Saͤnger ſein Augenmerk richte. Ein Saͤnger der die geſchwin-
den Paſſagien alle mit der Bruſt ſtoͤßt, kann dieſelben ſchwerlich in ſol-
cher Geſchwindigkeit herausbringen, als einer der ſie nur in der Gurgel
markiret; ohnerachtet der erſtere vor dem letztern, abſonderlich an großen
Orten, wegen der Deutlichkeit, immer einen Vorzug behaͤlt. Wenn
man alſo nur ein wenig Erfahrung darinne hat, und weis, daß uͤber-
haupt die meiſten Arien nicht ein ſo gar geſchwindes Tempo verlangen,
als die Jnſtrumentalſtuͤcke; ſo wird man das gehoͤrige Zeitmaaß davon,
ohne weitere beſondere Schwierigkeiten, treffen koͤnnen.

53. §.

Mit einer Kirchenmuſik hat es eben dieſelbe Bewandtniß, wie mit
den Arien: ausgenommen daß ſowohl der Vortrag bey der Ausfuͤhrung,
als das Zeitmaaß, wenn es anders kirchenmaͤßig ſeyn ſoll, etwas ge-
maͤßigter als im Opernſtyl genommen werden muß.

54. §.

Auf die bisher beſchriebene Weiſe nun, kann man nicht allein jede
Note in ihr gehoͤriges Zeitmaaß eintheilen lernen; ſondern man kann
auch dadurch, von jedem Stuͤcke, das rechte Tempo, ſo wie es der Com-
poniſt verlanget, mehrentheils errathen: wenn man nur damit eine lan-
ge und vielfaͤltige Erfahrung zu verknuͤpfen ſuchen wird.

55. §.

Jch muß noch etliche Einwuͤrfe im Voraus beantworten, die man
wider meine angefuͤhrte Art das Tempo zu errathen, vielleicht machen
koͤnnte. Man koͤnnte einwenden, daß der Pulsſchlag, weder zu einer
jeden Stunde des Tages, noch bey einem jeden Menſchen, allezeit in einer-
ley Geſchwindigkeit gehe, wie es doch erfodert wuͤrde, um das Zeitmaaß
in der Muſik richtig darnach zu faſſen. Man wird ſagen, daß der Puls

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[266/0284] Des XVII. Hauptſtuͤcks. VII. Abſchnitt. 52. §. Was ich bisher gezeiget habe, trifft, wie ſchon oben geſaget worden, am genaueſten und am allermeiſten bey den Jnſtrumentalſtuͤcken, als Concerten, Trio und Solo ein. Was die Arien im italiaͤniſchen Ge- ſchmacke anbelanget; ſo iſt zwar wahr, daß faſt eine jede von ihnen ihr beſonderes Tempo verlanget. Es fließt doch aber ſolches mehrentheils aus den hier angefuͤhrten vier Hauptarten des Zeitmaaßes: und koͤmmt es nur darauf an, daß man ſowohl auf den Sinn der Worte, als auf die Bewegung der Noten, beſonders aber der geſchwindeſten, Achtung gebe: und daß man bey geſchwinden Arien, auf die Fertigkeit und die Stim- men der Saͤnger ſein Augenmerk richte. Ein Saͤnger der die geſchwin- den Paſſagien alle mit der Bruſt ſtoͤßt, kann dieſelben ſchwerlich in ſol- cher Geſchwindigkeit herausbringen, als einer der ſie nur in der Gurgel markiret; ohnerachtet der erſtere vor dem letztern, abſonderlich an großen Orten, wegen der Deutlichkeit, immer einen Vorzug behaͤlt. Wenn man alſo nur ein wenig Erfahrung darinne hat, und weis, daß uͤber- haupt die meiſten Arien nicht ein ſo gar geſchwindes Tempo verlangen, als die Jnſtrumentalſtuͤcke; ſo wird man das gehoͤrige Zeitmaaß davon, ohne weitere beſondere Schwierigkeiten, treffen koͤnnen. 53. §. Mit einer Kirchenmuſik hat es eben dieſelbe Bewandtniß, wie mit den Arien: ausgenommen daß ſowohl der Vortrag bey der Ausfuͤhrung, als das Zeitmaaß, wenn es anders kirchenmaͤßig ſeyn ſoll, etwas ge- maͤßigter als im Opernſtyl genommen werden muß. 54. §. Auf die bisher beſchriebene Weiſe nun, kann man nicht allein jede Note in ihr gehoͤriges Zeitmaaß eintheilen lernen; ſondern man kann auch dadurch, von jedem Stuͤcke, das rechte Tempo, ſo wie es der Com- poniſt verlanget, mehrentheils errathen: wenn man nur damit eine lan- ge und vielfaͤltige Erfahrung zu verknuͤpfen ſuchen wird. 55. §. Jch muß noch etliche Einwuͤrfe im Voraus beantworten, die man wider meine angefuͤhrte Art das Tempo zu errathen, vielleicht machen koͤnnte. Man koͤnnte einwenden, daß der Pulsſchlag, weder zu einer jeden Stunde des Tages, noch bey einem jeden Menſchen, allezeit in einer- ley Geſchwindigkeit gehe, wie es doch erfodert wuͤrde, um das Zeitmaaß in der Muſik richtig darnach zu faſſen. Man wird ſagen, daß der Puls des

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/284>, abgerufen am 22.11.2024.