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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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wenn er in öffentlichen Musiken spielet.
lern mehr gesichert, wenn man im Adagio, in der Rolle der Concert-
stimme, die Grundstimme mit unter die obere schreibt: denn man kann
die übrigen Stimmen desto leichter daraus errathen.

28. §.

Wenn der Flötenist ein wohlgesetztes Ritornell, in einem Arioso,
welches mit Dämpfern, oder sonst piano gespielet werden soll, und dessen
Melodie im Solo zu Anfange wieder vorkömmt, mit der Flöte mitspie-
len wollte: so würde solches eben die Wirkung thun, als wenn ein Sänger
das Ritornell einer Arie mitsänge; oder als wenn einer in einem Trio,
anstatt der Pausen, des andern seine Stimme mitspielete. Wenn man
aber das Ritornell den Violinen allein überläßt; so wird das darauf fol-
gende Solo der Flöte viel bessern Eindruck machen, als sonst geschehen
würde.

29. §.

Jn einem Solo hat man eigentlich die meiste Freyheit, seine eigenen
Einfälle, wenn sie gut sind, hören zu lassen: weil man es da nur mit ei-
ner Gegenstimme zu thun hat. Hier können so viele Auszierungen, als
der Gesang und die Harmonie leidet, angebracht werden.

30. §.

Hat ein Flötenist mit einer Singstimme zu concertiren; so muß er
suchen, sich mit derselben, im Tone und in der Art des Vortrages, so viel
als möglich ist, zu vereinigen. Er darf nichts verändern, als nur da,
wo ihm durch Nachahmungen Gelegenheit dazu gegeben wird. Die Ma-
nieren müssen von solcher Art seyn, daß sie die Stimme nachmachen
kann: weswegen er die weitläuftigen Sprünge vermeiden muß. Hat
aber die Stimme einen simpeln Gesang, und die Flöte besondere Bewe-
gungen darüber: so kann er so viel zusetzen, als er für gut befindet. Pau-
siret die Stimme, so kann er mit noch mehrerer Freyheit spielen. Jst die
Stimme schwach, und man musiciret in einem Zimmer: so muß der
Flötenist mehr schwach als stark spielen. Auf dem Theater hingegen kann
er etwas stärker blasen: weil da das Piano mit der Flöte nicht viel Wir-
kung thut. Doch muß er den Sänger nicht mit gar zu vielen Verände-
rungen überhäufen: damit derselbe, weil er auswendig singen muß, nicht
in Unordnung gebracht werde.

31. §.

Es ist viel vortheilhafter für einen Tonkünstler, wenn er immer et-
was von seiner Wissenschaft zum Hinterhalte behält; um seine Zuhörer

mehr
Y 3

wenn er in oͤffentlichen Muſiken ſpielet.
lern mehr geſichert, wenn man im Adagio, in der Rolle der Concert-
ſtimme, die Grundſtimme mit unter die obere ſchreibt: denn man kann
die uͤbrigen Stimmen deſto leichter daraus errathen.

28. §.

Wenn der Floͤteniſt ein wohlgeſetztes Ritornell, in einem Arioſo,
welches mit Daͤmpfern, oder ſonſt piano geſpielet werden ſoll, und deſſen
Melodie im Solo zu Anfange wieder vorkoͤmmt, mit der Floͤte mitſpie-
len wollte: ſo wuͤrde ſolches eben die Wirkung thun, als wenn ein Saͤnger
das Ritornell einer Arie mitſaͤnge; oder als wenn einer in einem Trio,
anſtatt der Pauſen, des andern ſeine Stimme mitſpielete. Wenn man
aber das Ritornell den Violinen allein uͤberlaͤßt; ſo wird das darauf fol-
gende Solo der Floͤte viel beſſern Eindruck machen, als ſonſt geſchehen
wuͤrde.

29. §.

Jn einem Solo hat man eigentlich die meiſte Freyheit, ſeine eigenen
Einfaͤlle, wenn ſie gut ſind, hoͤren zu laſſen: weil man es da nur mit ei-
ner Gegenſtimme zu thun hat. Hier koͤnnen ſo viele Auszierungen, als
der Geſang und die Harmonie leidet, angebracht werden.

30. §.

Hat ein Floͤteniſt mit einer Singſtimme zu concertiren; ſo muß er
ſuchen, ſich mit derſelben, im Tone und in der Art des Vortrages, ſo viel
als moͤglich iſt, zu vereinigen. Er darf nichts veraͤndern, als nur da,
wo ihm durch Nachahmungen Gelegenheit dazu gegeben wird. Die Ma-
nieren muͤſſen von ſolcher Art ſeyn, daß ſie die Stimme nachmachen
kann: weswegen er die weitlaͤuftigen Spruͤnge vermeiden muß. Hat
aber die Stimme einen ſimpeln Geſang, und die Floͤte beſondere Bewe-
gungen daruͤber: ſo kann er ſo viel zuſetzen, als er fuͤr gut befindet. Pau-
ſiret die Stimme, ſo kann er mit noch mehrerer Freyheit ſpielen. Jſt die
Stimme ſchwach, und man muſiciret in einem Zimmer: ſo muß der
Floͤteniſt mehr ſchwach als ſtark ſpielen. Auf dem Theater hingegen kann
er etwas ſtaͤrker blaſen: weil da das Piano mit der Floͤte nicht viel Wir-
kung thut. Doch muß er den Saͤnger nicht mit gar zu vielen Veraͤnde-
rungen uͤberhaͤufen: damit derſelbe, weil er auswendig ſingen muß, nicht
in Unordnung gebracht werde.

31. §.

Es iſt viel vortheilhafter fuͤr einen Tonkuͤnſtler, wenn er immer et-
was von ſeiner Wiſſenſchaft zum Hinterhalte behaͤlt; um ſeine Zuhoͤrer

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[173/0191] wenn er in oͤffentlichen Muſiken ſpielet. lern mehr geſichert, wenn man im Adagio, in der Rolle der Concert- ſtimme, die Grundſtimme mit unter die obere ſchreibt: denn man kann die uͤbrigen Stimmen deſto leichter daraus errathen. 28. §. Wenn der Floͤteniſt ein wohlgeſetztes Ritornell, in einem Arioſo, welches mit Daͤmpfern, oder ſonſt piano geſpielet werden ſoll, und deſſen Melodie im Solo zu Anfange wieder vorkoͤmmt, mit der Floͤte mitſpie- len wollte: ſo wuͤrde ſolches eben die Wirkung thun, als wenn ein Saͤnger das Ritornell einer Arie mitſaͤnge; oder als wenn einer in einem Trio, anſtatt der Pauſen, des andern ſeine Stimme mitſpielete. Wenn man aber das Ritornell den Violinen allein uͤberlaͤßt; ſo wird das darauf fol- gende Solo der Floͤte viel beſſern Eindruck machen, als ſonſt geſchehen wuͤrde. 29. §. Jn einem Solo hat man eigentlich die meiſte Freyheit, ſeine eigenen Einfaͤlle, wenn ſie gut ſind, hoͤren zu laſſen: weil man es da nur mit ei- ner Gegenſtimme zu thun hat. Hier koͤnnen ſo viele Auszierungen, als der Geſang und die Harmonie leidet, angebracht werden. 30. §. Hat ein Floͤteniſt mit einer Singſtimme zu concertiren; ſo muß er ſuchen, ſich mit derſelben, im Tone und in der Art des Vortrages, ſo viel als moͤglich iſt, zu vereinigen. Er darf nichts veraͤndern, als nur da, wo ihm durch Nachahmungen Gelegenheit dazu gegeben wird. Die Ma- nieren muͤſſen von ſolcher Art ſeyn, daß ſie die Stimme nachmachen kann: weswegen er die weitlaͤuftigen Spruͤnge vermeiden muß. Hat aber die Stimme einen ſimpeln Geſang, und die Floͤte beſondere Bewe- gungen daruͤber: ſo kann er ſo viel zuſetzen, als er fuͤr gut befindet. Pau- ſiret die Stimme, ſo kann er mit noch mehrerer Freyheit ſpielen. Jſt die Stimme ſchwach, und man muſiciret in einem Zimmer: ſo muß der Floͤteniſt mehr ſchwach als ſtark ſpielen. Auf dem Theater hingegen kann er etwas ſtaͤrker blaſen: weil da das Piano mit der Floͤte nicht viel Wir- kung thut. Doch muß er den Saͤnger nicht mit gar zu vielen Veraͤnde- rungen uͤberhaͤufen: damit derſelbe, weil er auswendig ſingen muß, nicht in Unordnung gebracht werde. 31. §. Es iſt viel vortheilhafter fuͤr einen Tonkuͤnſtler, wenn er immer et- was von ſeiner Wiſſenſchaft zum Hinterhalte behaͤlt; um ſeine Zuhoͤrer mehr Y 3

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/191>, abgerufen am 23.11.2024.