hangen sollen, muß man nicht zertheilen: so wie man hingegen diejenigen zertheilen muß, wo sich ein musikalischer Sinn endiget, und ein neuer Gedanke, ohne Einschnitt oder Pause anfängt; zumal wenn die Endi- gungsnote vom vorhergehenden, und die Anfangsnote vom folgenden Ge- danken, auf einerley Tone stehen.
11. §.
Ein guter Vortrag muß ferner: rund und vollständig seyn. Jede Note muß in ihrer wahren Geltung, und in ihrem rechten Zeitmaaße ausgedrücket werden. Würde dieses allezeit recht beobachtet, so müßten auch die Noten so klingen wie sie der Componist gedacht hat: weil dieser nichts ohne Regeln setzen darf. Nicht alle Ausführer kehren sich hieran. Sie geben öfters, aus Unwissenheit, oder aus einem verdorbenen Ge- schmacke, der folgenden Note etwas von der Zeit, so der vorhergehenden gehöret. Die ausgehaltenen und schmeichelnden Noten müssen mit ein- ander verbunden; die luftigen und hüpfenden aber abgesetzet, und von einander getrennet werden. Die Triller und die kleinen Manieren müssen alle rein und lebhaft geendiget werden.
12. §.
Jch muß hierbey eine nothwendige Anmerkung machen, welche die Zeit, wie lange jede Note gehalten werden muß, betrifft. Man muß unter den Hauptnoten, welche man auch: anschlagende, oder, nach Art der Jtaliäner, gute Noten zu nennen pfleget, und unter den durchgehenden, welche bey einigen Ausländern schlimme heißen, einen Unterschied im Vortrage zu machen wissen. Die Hauptnoten müs- sen allezeit, wo es sich thun läßt, mehr erhoben werden als die durchge- henden. Dieser Regel zu Folge müssen die geschwindesten Noten, in einem jeden Stücke von mäßigem Tempo, oder auch im Adagio, unge- achtet sie dem Gesichte nach einerley Geltung haben, dennoch ein wenig ungleich gespielet werden; so daß man die anschlagenden Noten einer jeden Figur, nämlich die erste, dritte, fünfte, und siebente, etwas länger anhält, als die durchgehenden, nämlich, die zweyte, vierte, sechste, und achte: doch muß dieses Anhalten nicht soviel ausmachen, als wenn Puncte dabey stünden. Unter diesen geschwindesten Noten verstehe ich: die Viertheile im Dreyzweytheiltacte; die Achttheile im Dreyviertheil- und die Sechzehntheile im Dreyachttheiltacte; die Achttheile im Allabre- ve; die Sechzehntheile oder Zwey und dreyßigtheile im Zweyviertheil- oder im gemeinen geraden Tacte: doch nur so lange als keine Figuren von noch
geschwin-
O
im Singen und Spielen uͤberhaupt.
hangen ſollen, muß man nicht zertheilen: ſo wie man hingegen diejenigen zertheilen muß, wo ſich ein muſikaliſcher Sinn endiget, und ein neuer Gedanke, ohne Einſchnitt oder Pauſe anfaͤngt; zumal wenn die Endi- gungsnote vom vorhergehenden, und die Anfangsnote vom folgenden Ge- danken, auf einerley Tone ſtehen.
11. §.
Ein guter Vortrag muß ferner: rund und vollſtaͤndig ſeyn. Jede Note muß in ihrer wahren Geltung, und in ihrem rechten Zeitmaaße ausgedruͤcket werden. Wuͤrde dieſes allezeit recht beobachtet, ſo muͤßten auch die Noten ſo klingen wie ſie der Componiſt gedacht hat: weil dieſer nichts ohne Regeln ſetzen darf. Nicht alle Ausfuͤhrer kehren ſich hieran. Sie geben oͤfters, aus Unwiſſenheit, oder aus einem verdorbenen Ge- ſchmacke, der folgenden Note etwas von der Zeit, ſo der vorhergehenden gehoͤret. Die ausgehaltenen und ſchmeichelnden Noten muͤſſen mit ein- ander verbunden; die luftigen und huͤpfenden aber abgeſetzet, und von einander getrennet werden. Die Triller und die kleinen Manieren muͤſſen alle rein und lebhaft geendiget werden.
12. §.
Jch muß hierbey eine nothwendige Anmerkung machen, welche die Zeit, wie lange jede Note gehalten werden muß, betrifft. Man muß unter den Hauptnoten, welche man auch: anſchlagende, oder, nach Art der Jtaliaͤner, gute Noten zu nennen pfleget, und unter den durchgehenden, welche bey einigen Auslaͤndern ſchlimme heißen, einen Unterſchied im Vortrage zu machen wiſſen. Die Hauptnoten muͤſ- ſen allezeit, wo es ſich thun laͤßt, mehr erhoben werden als die durchge- henden. Dieſer Regel zu Folge muͤſſen die geſchwindeſten Noten, in einem jeden Stuͤcke von maͤßigem Tempo, oder auch im Adagio, unge- achtet ſie dem Geſichte nach einerley Geltung haben, dennoch ein wenig ungleich geſpielet werden; ſo daß man die anſchlagenden Noten einer jeden Figur, naͤmlich die erſte, dritte, fuͤnfte, und ſiebente, etwas laͤnger anhaͤlt, als die durchgehenden, naͤmlich, die zweyte, vierte, ſechſte, und achte: doch muß dieſes Anhalten nicht ſoviel ausmachen, als wenn Puncte dabey ſtuͤnden. Unter dieſen geſchwindeſten Noten verſtehe ich: die Viertheile im Dreyzweytheiltacte; die Achttheile im Dreyviertheil- und die Sechzehntheile im Dreyachttheiltacte; die Achttheile im Allabre- ve; die Sechzehntheile oder Zwey und dreyßigtheile im Zweyviertheil- oder im gemeinen geraden Tacte: doch nur ſo lange als keine Figuren von noch
geſchwin-
O
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0123"n="105"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">im Singen und Spielen uͤberhaupt.</hi></fw><lb/>
hangen ſollen, muß man nicht zertheilen: ſo wie man hingegen diejenigen<lb/>
zertheilen muß, wo ſich ein muſikaliſcher Sinn endiget, und ein neuer<lb/>
Gedanke, ohne Einſchnitt oder Pauſe anfaͤngt; zumal wenn die Endi-<lb/>
gungsnote vom vorhergehenden, und die Anfangsnote vom folgenden Ge-<lb/>
danken, auf einerley Tone ſtehen.</p></div><lb/><divn="3"><head>11. §.</head><lb/><p>Ein guter Vortrag muß ferner: <hirendition="#fr">rund und vollſtaͤndig ſeyn.</hi><lb/>
Jede Note muß in ihrer wahren Geltung, und in ihrem rechten Zeitmaaße<lb/>
ausgedruͤcket werden. Wuͤrde dieſes allezeit recht beobachtet, ſo muͤßten<lb/>
auch die Noten ſo klingen wie ſie der Componiſt gedacht hat: weil dieſer<lb/>
nichts ohne Regeln ſetzen darf. Nicht alle Ausfuͤhrer kehren ſich hieran.<lb/>
Sie geben oͤfters, aus Unwiſſenheit, oder aus einem verdorbenen Ge-<lb/>ſchmacke, der folgenden Note etwas von der Zeit, ſo der vorhergehenden<lb/>
gehoͤret. Die ausgehaltenen und ſchmeichelnden Noten muͤſſen mit ein-<lb/>
ander verbunden; die luftigen und huͤpfenden aber abgeſetzet, und von<lb/>
einander getrennet werden. Die Triller und die kleinen Manieren muͤſſen<lb/>
alle rein und lebhaft geendiget werden.</p></div><lb/><divn="3"><head>12. §.</head><lb/><p>Jch muß hierbey eine nothwendige Anmerkung machen, welche die<lb/>
Zeit, wie lange jede Note gehalten werden muß, betrifft. Man muß<lb/>
unter den <hirendition="#fr">Hauptnoten,</hi> welche man auch: <hirendition="#fr">anſchlagende,</hi> oder,<lb/>
nach Art der Jtaliaͤner, <hirendition="#fr">gute</hi> Noten zu nennen pfleget, und unter den<lb/><hirendition="#fr">durchgehenden,</hi> welche bey einigen Auslaͤndern <hirendition="#fr">ſchlimme</hi> heißen,<lb/>
einen Unterſchied im Vortrage zu machen wiſſen. Die Hauptnoten muͤſ-<lb/>ſen allezeit, wo es ſich thun laͤßt, mehr erhoben werden als die durchge-<lb/>
henden. Dieſer Regel zu Folge muͤſſen die geſchwindeſten Noten, in einem<lb/>
jeden Stuͤcke von <hirendition="#fr">maͤßigem Tempo,</hi> oder auch im <hirendition="#fr">Adagio,</hi> unge-<lb/>
achtet ſie dem Geſichte nach einerley Geltung haben, dennoch ein wenig<lb/>
ungleich geſpielet werden; ſo daß man die anſchlagenden Noten einer jeden<lb/>
Figur, naͤmlich die erſte, dritte, fuͤnfte, und ſiebente, etwas laͤnger<lb/>
anhaͤlt, als die durchgehenden, naͤmlich, die zweyte, vierte, ſechſte,<lb/>
und achte: doch muß dieſes Anhalten nicht ſoviel ausmachen, als wenn<lb/>
Puncte dabey ſtuͤnden. Unter dieſen geſchwindeſten Noten verſtehe ich:<lb/>
die Viertheile im Dreyzweytheiltacte; die Achttheile im Dreyviertheil-<lb/>
und die Sechzehntheile im Dreyachttheiltacte; die Achttheile im Allabre-<lb/>
ve; die Sechzehntheile oder Zwey und dreyßigtheile im Zweyviertheil- oder<lb/>
im gemeinen geraden Tacte: doch nur ſo lange als keine Figuren von noch<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O</fw><fwplace="bottom"type="catch">geſchwin-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[105/0123]
im Singen und Spielen uͤberhaupt.
hangen ſollen, muß man nicht zertheilen: ſo wie man hingegen diejenigen
zertheilen muß, wo ſich ein muſikaliſcher Sinn endiget, und ein neuer
Gedanke, ohne Einſchnitt oder Pauſe anfaͤngt; zumal wenn die Endi-
gungsnote vom vorhergehenden, und die Anfangsnote vom folgenden Ge-
danken, auf einerley Tone ſtehen.
11. §.
Ein guter Vortrag muß ferner: rund und vollſtaͤndig ſeyn.
Jede Note muß in ihrer wahren Geltung, und in ihrem rechten Zeitmaaße
ausgedruͤcket werden. Wuͤrde dieſes allezeit recht beobachtet, ſo muͤßten
auch die Noten ſo klingen wie ſie der Componiſt gedacht hat: weil dieſer
nichts ohne Regeln ſetzen darf. Nicht alle Ausfuͤhrer kehren ſich hieran.
Sie geben oͤfters, aus Unwiſſenheit, oder aus einem verdorbenen Ge-
ſchmacke, der folgenden Note etwas von der Zeit, ſo der vorhergehenden
gehoͤret. Die ausgehaltenen und ſchmeichelnden Noten muͤſſen mit ein-
ander verbunden; die luftigen und huͤpfenden aber abgeſetzet, und von
einander getrennet werden. Die Triller und die kleinen Manieren muͤſſen
alle rein und lebhaft geendiget werden.
12. §.
Jch muß hierbey eine nothwendige Anmerkung machen, welche die
Zeit, wie lange jede Note gehalten werden muß, betrifft. Man muß
unter den Hauptnoten, welche man auch: anſchlagende, oder,
nach Art der Jtaliaͤner, gute Noten zu nennen pfleget, und unter den
durchgehenden, welche bey einigen Auslaͤndern ſchlimme heißen,
einen Unterſchied im Vortrage zu machen wiſſen. Die Hauptnoten muͤſ-
ſen allezeit, wo es ſich thun laͤßt, mehr erhoben werden als die durchge-
henden. Dieſer Regel zu Folge muͤſſen die geſchwindeſten Noten, in einem
jeden Stuͤcke von maͤßigem Tempo, oder auch im Adagio, unge-
achtet ſie dem Geſichte nach einerley Geltung haben, dennoch ein wenig
ungleich geſpielet werden; ſo daß man die anſchlagenden Noten einer jeden
Figur, naͤmlich die erſte, dritte, fuͤnfte, und ſiebente, etwas laͤnger
anhaͤlt, als die durchgehenden, naͤmlich, die zweyte, vierte, ſechſte,
und achte: doch muß dieſes Anhalten nicht ſoviel ausmachen, als wenn
Puncte dabey ſtuͤnden. Unter dieſen geſchwindeſten Noten verſtehe ich:
die Viertheile im Dreyzweytheiltacte; die Achttheile im Dreyviertheil-
und die Sechzehntheile im Dreyachttheiltacte; die Achttheile im Allabre-
ve; die Sechzehntheile oder Zwey und dreyßigtheile im Zweyviertheil- oder
im gemeinen geraden Tacte: doch nur ſo lange als keine Figuren von noch
geſchwin-
O
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/123>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.