Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.Zur
Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. können. Es bedurfte einer Reihe schwerer
Unglücksfälle, um dieGefahren eines beschneiten, zerklüfteten Gletschers, einer Schnee- wächte, eines Eisüberhanges, einer mit Neuschnee bedeckten Steil- fläche, eines gefrorenen Rasenhanges kennen zu lernen. Wohl scheuten sich einzelne Gemsjäger und Aelpler nicht, auch in der Gletscher- und Firnregion herumzusteigen, allein es geschah aus- nahmsweise und es waren die Leute mit der Lokalität genau ver- traut. Da man in der Höhe eine sehr niedere Temperatur ver- muthete, und immer auch ein Bivouak im Freien gefasst war, so kleidete man sich in der Regel viel zu warm, was das Fort- kommen und die Athmung sehr erschwerte. Statt des heute all- gemein üblichen Rucksackes bediente man sich einer Umhänge- tasche, welche der Führer zu tragen hatte. Ein eigentliches Berg- kostüm gab es nicht, doch erkannte man bereits die Vortheile kurzer Beinkleider. Thurwieser trug einen Rock mit Schössen, den er "Frack" nannte, kurze Beinkleider und Schnürschuhe; Ruthner eine ähnliche Kleidung, statt des Rockes aber eine Joppe. Gegen den Gletscherbrand schützte man sich durch Einreibungen mit Schiesspulver, was den Nachtheil hatte, dass durch den herab- rinnenden Schweiss Wäsche und Kleider verunreinigt wurden. Auch viele diätetische und hygienische Hülfsmittel, deren wir uns bei unseren heutigen Bergbesteigungen bedienen, wie unsere vor- trefflichen Konserven, Brause-Limonaden, Taschenapotheken blieben den alten Bergsteigern fremd. Und selbst wenn Alles stimmte, wenn der Bergfahrer nach wochenlangen Wanderungen die letzte Hochgebirgsstation erreicht hatte, wenn die Witterung und die Schneeverhältnisse günstig waren, so handelte es sich auch noch darum, ob ihm der "Führer", dessen Frau und Brüder gefällig waren, ob die Feldarbeit, häusliche oder religiöse Verrichtungen es erlaubten, dass sich der Mann an eine gefährliche Tour wage. Nicht selten gingen durch nutzloses Zuwarten kostbare Tage ver- loren. Alle diese Verhältnisse hatte der Tourist, wie aus Ruthner's und Weilenmann's Schilderungen ihrer Oetzthaler Fahrten hervor- geht, in seine Kombinationen mit einzuziehen, sie bildeten einen Haupttheil seiner Sorgen und Befürchtungen. Wie rasch, sicher, bequem, ja sozusagen elegant lassen sich dagegen heute auch die schwierigsten und gefährlichsten Bergbesteigungen ausführen. Der Mangel an Führern sowohl, wie an Verkehrsmitteln, hochgelegenen Gaststätten und Unterkunftshütten, wirkten zusammen, um die Ent- wicklung der Hochtouristik in den Ostalpen zu hemmen. Während man bei uns erst mit der Erschliessung der einzelnen Gebirgs- Zur
Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. können. Es bedurfte einer Reihe schwerer
Unglücksfälle, um dieGefahren eines beschneiten, zerklüfteten Gletschers, einer Schnee- wächte, eines Eisüberhanges, einer mit Neuschnee bedeckten Steil- fläche, eines gefrorenen Rasenhanges kennen zu lernen. Wohl scheuten sich einzelne Gemsjäger und Aelpler nicht, auch in der Gletscher- und Firnregion herumzusteigen, allein es geschah aus- nahmsweise und es waren die Leute mit der Lokalität genau ver- traut. Da man in der Höhe eine sehr niedere Temperatur ver- muthete, und immer auch ein Bivouak im Freien gefasst war, so kleidete man sich in der Regel viel zu warm, was das Fort- kommen und die Athmung sehr erschwerte. Statt des heute all- gemein üblichen Rucksackes bediente man sich einer Umhänge- tasche, welche der Führer zu tragen hatte. Ein eigentliches Berg- kostüm gab es nicht, doch erkannte man bereits die Vortheile kurzer Beinkleider. Thurwieser trug einen Rock mit Schössen, den er „Frack“ nannte, kurze Beinkleider und Schnürschuhe; Ruthner eine ähnliche Kleidung, statt des Rockes aber eine Joppe. Gegen den Gletscherbrand schützte man sich durch Einreibungen mit Schiesspulver, was den Nachtheil hatte, dass durch den herab- rinnenden Schweiss Wäsche und Kleider verunreinigt wurden. Auch viele diätetische und hygienische Hülfsmittel, deren wir uns bei unseren heutigen Bergbesteigungen bedienen, wie unsere vor- trefflichen Konserven, Brause-Limonaden, Taschenapotheken blieben den alten Bergsteigern fremd. Und selbst wenn Alles stimmte, wenn der Bergfahrer nach wochenlangen Wanderungen die letzte Hochgebirgsstation erreicht hatte, wenn die Witterung und die Schneeverhältnisse günstig waren, so handelte es sich auch noch darum, ob ihm der „Führer“, dessen Frau und Brüder gefällig waren, ob die Feldarbeit, häusliche oder religiöse Verrichtungen es erlaubten, dass sich der Mann an eine gefährliche Tour wage. Nicht selten gingen durch nutzloses Zuwarten kostbare Tage ver- loren. Alle diese Verhältnisse hatte der Tourist, wie aus Ruthner’s und Weilenmann’s Schilderungen ihrer Oetzthaler Fahrten hervor- geht, in seine Kombinationen mit einzuziehen, sie bildeten einen Haupttheil seiner Sorgen und Befürchtungen. Wie rasch, sicher, bequem, ja sozusagen elegant lassen sich dagegen heute auch die schwierigsten und gefährlichsten Bergbesteigungen ausführen. Der Mangel an Führern sowohl, wie an Verkehrsmitteln, hochgelegenen Gaststätten und Unterkunftshütten, wirkten zusammen, um die Ent- wicklung der Hochtouristik in den Ostalpen zu hemmen. Während man bei uns erst mit der Erschliessung der einzelnen Gebirgs- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0039" n="133"/><fw place="top" type="header">Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.<lb/></fw>können. Es bedurfte einer Reihe schwerer Unglücksfälle, um die<lb/> Gefahren eines beschneiten, zerklüfteten Gletschers, einer Schnee-<lb/> wächte, eines Eisüberhanges, einer mit Neuschnee bedeckten Steil-<lb/> fläche, eines gefrorenen Rasenhanges kennen zu lernen. Wohl<lb/> scheuten sich einzelne Gemsjäger und Aelpler nicht, auch in der<lb/> Gletscher- und Firnregion herumzusteigen, allein es geschah aus-<lb/> nahmsweise und es waren die Leute mit der Lokalität genau ver-<lb/> traut. Da man in der Höhe eine sehr niedere Temperatur ver-<lb/> muthete, und immer auch ein Bivouak im Freien gefasst war,<lb/> so kleidete man sich in der Regel viel zu warm, was das Fort-<lb/> kommen und die Athmung sehr erschwerte. Statt des heute all-<lb/> gemein üblichen Rucksackes bediente man sich einer Umhänge-<lb/> tasche, welche der Führer zu tragen hatte. Ein eigentliches Berg-<lb/> kostüm gab es nicht, doch erkannte man bereits die Vortheile<lb/> kurzer Beinkleider. Thurwieser trug einen Rock mit Schössen,<lb/> den er „Frack“ nannte, kurze Beinkleider und Schnürschuhe;<lb/> Ruthner eine ähnliche Kleidung, statt des Rockes aber eine Joppe.<lb/> Gegen den Gletscherbrand schützte man sich durch Einreibungen<lb/> mit Schiesspulver, was den Nachtheil hatte, dass durch den herab-<lb/> rinnenden Schweiss Wäsche und Kleider verunreinigt wurden.<lb/> Auch viele diätetische und hygienische Hülfsmittel, deren wir uns<lb/> bei unseren heutigen Bergbesteigungen bedienen, wie unsere vor-<lb/> trefflichen Konserven, Brause-Limonaden, Taschenapotheken blieben<lb/> den alten Bergsteigern fremd. Und selbst wenn Alles stimmte,<lb/> wenn der Bergfahrer nach wochenlangen Wanderungen die letzte<lb/> Hochgebirgsstation erreicht hatte, wenn die Witterung und die<lb/> Schneeverhältnisse günstig waren, so handelte es sich auch noch<lb/> darum, ob ihm der „Führer“, dessen Frau und Brüder gefällig<lb/> waren, ob die Feldarbeit, häusliche oder religiöse Verrichtungen<lb/> es erlaubten, dass sich der Mann an eine gefährliche Tour wage.<lb/> Nicht selten gingen durch nutzloses Zuwarten kostbare Tage ver-<lb/> loren. Alle diese Verhältnisse hatte der Tourist, wie aus Ruthner’s<lb/> und Weilenmann’s Schilderungen ihrer Oetzthaler Fahrten hervor-<lb/> geht, in seine Kombinationen mit einzuziehen, sie bildeten einen<lb/> Haupttheil seiner Sorgen und Befürchtungen. Wie rasch, sicher,<lb/> bequem, ja sozusagen elegant lassen sich dagegen heute auch die<lb/> schwierigsten und gefährlichsten Bergbesteigungen ausführen. 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Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
können. Es bedurfte einer Reihe schwerer Unglücksfälle, um die
Gefahren eines beschneiten, zerklüfteten Gletschers, einer Schnee-
wächte, eines Eisüberhanges, einer mit Neuschnee bedeckten Steil-
fläche, eines gefrorenen Rasenhanges kennen zu lernen. Wohl
scheuten sich einzelne Gemsjäger und Aelpler nicht, auch in der
Gletscher- und Firnregion herumzusteigen, allein es geschah aus-
nahmsweise und es waren die Leute mit der Lokalität genau ver-
traut. Da man in der Höhe eine sehr niedere Temperatur ver-
muthete, und immer auch ein Bivouak im Freien gefasst war,
so kleidete man sich in der Regel viel zu warm, was das Fort-
kommen und die Athmung sehr erschwerte. Statt des heute all-
gemein üblichen Rucksackes bediente man sich einer Umhänge-
tasche, welche der Führer zu tragen hatte. Ein eigentliches Berg-
kostüm gab es nicht, doch erkannte man bereits die Vortheile
kurzer Beinkleider. Thurwieser trug einen Rock mit Schössen,
den er „Frack“ nannte, kurze Beinkleider und Schnürschuhe;
Ruthner eine ähnliche Kleidung, statt des Rockes aber eine Joppe.
Gegen den Gletscherbrand schützte man sich durch Einreibungen
mit Schiesspulver, was den Nachtheil hatte, dass durch den herab-
rinnenden Schweiss Wäsche und Kleider verunreinigt wurden.
Auch viele diätetische und hygienische Hülfsmittel, deren wir uns
bei unseren heutigen Bergbesteigungen bedienen, wie unsere vor-
trefflichen Konserven, Brause-Limonaden, Taschenapotheken blieben
den alten Bergsteigern fremd. Und selbst wenn Alles stimmte,
wenn der Bergfahrer nach wochenlangen Wanderungen die letzte
Hochgebirgsstation erreicht hatte, wenn die Witterung und die
Schneeverhältnisse günstig waren, so handelte es sich auch noch
darum, ob ihm der „Führer“, dessen Frau und Brüder gefällig
waren, ob die Feldarbeit, häusliche oder religiöse Verrichtungen
es erlaubten, dass sich der Mann an eine gefährliche Tour wage.
Nicht selten gingen durch nutzloses Zuwarten kostbare Tage ver-
loren. Alle diese Verhältnisse hatte der Tourist, wie aus Ruthner’s
und Weilenmann’s Schilderungen ihrer Oetzthaler Fahrten hervor-
geht, in seine Kombinationen mit einzuziehen, sie bildeten einen
Haupttheil seiner Sorgen und Befürchtungen. Wie rasch, sicher,
bequem, ja sozusagen elegant lassen sich dagegen heute auch die
schwierigsten und gefährlichsten Bergbesteigungen ausführen. Der
Mangel an Führern sowohl, wie an Verkehrsmitteln, hochgelegenen
Gaststätten und Unterkunftshütten, wirkten zusammen, um die Ent-
wicklung der Hochtouristik in den Ostalpen zu hemmen. Während
man bei uns erst mit der Erschliessung der einzelnen Gebirgs-
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