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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
und erkünstelte Beredtsamkeit, auf scholastische in
zahllose Kunstwörter und spitzfindige casuistische
Fragen verwickelte Philosophie und Theologie, al-
lenfalls auch auf Physik und Mathematik. Aechte
Philologie und Geschichte, und was davon auf
Bildung wahrer Gelehrsamkeit für Einfluß zu er-
warten ist, war nicht das, was sie zu cultiviren
und auszubreiten suchten.


VI.

Ihre Grundsätze waren fürchterlich, wo es
darauf ankam, diejenigen, die ihnen zuwider wa-
ren, zu unterdrücken, oder Verfolgung und Rache
auszuüben. Geschmeidig war ihre Moral, wenn
sie es zuträglich fanden, ihre Beichtkinder glimpf-
lich zu behandeln. Ein Grundsatz, den sie annah-
men, daß es keine Sünde sey, was man aus
wahrscheinlichen Gründen thue, und daß eine gute
Absicht auch böse Handlungen rechtfertigen könne,
war sehr dazu behülflich, Leidenschaften nachzuse-

hen,
alles, was ihm entgegen steht, durch sein Gewicht
und Ansehen oder auch durch geheime Kunstgriffe
vielmehr unterdrücken, als durch Belehrung und
bescheidenes Betragen gewinnen will; wenn sein
Eifer für Religion mit Feindseligkeit und Verfol-
gungsgeist vergesellschaftet ist; wenn es im Grun-
de alles auf sich zurückzieht, und noch dazu durch
Gelübde an auswärtige Höfe oder Oberen gebunden
ist, deren Interesse nichts weniger als mit dem
des eigenen Vaterlandes in gewissen Fällen über-
einstimmt; mag es auch noch so gelehrte und ge-
schickte einzelne Mitglieder haben, so wird doch
kaum die wahre Absicht einer wohl eingerichteten
National-Erziehung durch dasselbe erreicht wer-
den." -- Schwerlich hat noch je eine catholische
Feder so gründlich über diesen Gegenstand geschrie-
ben, wie hier einer unserer ersten jetzigen catholi-
schen Schriftsteller!

V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
und erkuͤnſtelte Beredtſamkeit, auf ſcholaſtiſche in
zahlloſe Kunſtwoͤrter und ſpitzfindige caſuiſtiſche
Fragen verwickelte Philoſophie und Theologie, al-
lenfalls auch auf Phyſik und Mathematik. Aechte
Philologie und Geſchichte, und was davon auf
Bildung wahrer Gelehrſamkeit fuͤr Einfluß zu er-
warten iſt, war nicht das, was ſie zu cultiviren
und auszubreiten ſuchten.


VI.

Ihre Grundſaͤtze waren fuͤrchterlich, wo es
darauf ankam, diejenigen, die ihnen zuwider wa-
ren, zu unterdruͤcken, oder Verfolgung und Rache
auszuuͤben. Geſchmeidig war ihre Moral, wenn
ſie es zutraͤglich fanden, ihre Beichtkinder glimpf-
lich zu behandeln. Ein Grundſatz, den ſie annah-
men, daß es keine Suͤnde ſey, was man aus
wahrſcheinlichen Gruͤnden thue, und daß eine gute
Abſicht auch boͤſe Handlungen rechtfertigen koͤnne,
war ſehr dazu behuͤlflich, Leidenſchaften nachzuſe-

hen,
alles, was ihm entgegen ſteht, durch ſein Gewicht
und Anſehen oder auch durch geheime Kunſtgriffe
vielmehr unterdruͤcken, als durch Belehrung und
beſcheidenes Betragen gewinnen will; wenn ſein
Eifer fuͤr Religion mit Feindſeligkeit und Verfol-
gungsgeiſt vergeſellſchaftet iſt; wenn es im Grun-
de alles auf ſich zuruͤckzieht, und noch dazu durch
Geluͤbde an auswaͤrtige Hoͤfe oder Oberen gebunden
iſt, deren Intereſſe nichts weniger als mit dem
des eigenen Vaterlandes in gewiſſen Faͤllen uͤber-
einſtimmt; mag es auch noch ſo gelehrte und ge-
ſchickte einzelne Mitglieder haben, ſo wird doch
kaum die wahre Abſicht einer wohl eingerichteten
National-Erziehung durch daſſelbe erreicht wer-
den.” — Schwerlich hat noch je eine catholiſche
Feder ſo gruͤndlich uͤber dieſen Gegenſtand geſchrie-
ben, wie hier einer unſerer erſten jetzigen catholi-
ſchen Schriftſteller!
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[438/0472] V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558. und erkuͤnſtelte Beredtſamkeit, auf ſcholaſtiſche in zahlloſe Kunſtwoͤrter und ſpitzfindige caſuiſtiſche Fragen verwickelte Philoſophie und Theologie, al- lenfalls auch auf Phyſik und Mathematik. Aechte Philologie und Geſchichte, und was davon auf Bildung wahrer Gelehrſamkeit fuͤr Einfluß zu er- warten iſt, war nicht das, was ſie zu cultiviren und auszubreiten ſuchten. Ihre Grundſaͤtze waren fuͤrchterlich, wo es darauf ankam, diejenigen, die ihnen zuwider wa- ren, zu unterdruͤcken, oder Verfolgung und Rache auszuuͤben. Geſchmeidig war ihre Moral, wenn ſie es zutraͤglich fanden, ihre Beichtkinder glimpf- lich zu behandeln. Ein Grundſatz, den ſie annah- men, daß es keine Suͤnde ſey, was man aus wahrſcheinlichen Gruͤnden thue, und daß eine gute Abſicht auch boͤſe Handlungen rechtfertigen koͤnne, war ſehr dazu behuͤlflich, Leidenſchaften nachzuſe- hen, (b) (b) alles, was ihm entgegen ſteht, durch ſein Gewicht und Anſehen oder auch durch geheime Kunſtgriffe vielmehr unterdruͤcken, als durch Belehrung und beſcheidenes Betragen gewinnen will; wenn ſein Eifer fuͤr Religion mit Feindſeligkeit und Verfol- gungsgeiſt vergeſellſchaftet iſt; wenn es im Grun- de alles auf ſich zuruͤckzieht, und noch dazu durch Geluͤbde an auswaͤrtige Hoͤfe oder Oberen gebunden iſt, deren Intereſſe nichts weniger als mit dem des eigenen Vaterlandes in gewiſſen Faͤllen uͤber- einſtimmt; mag es auch noch ſo gelehrte und ge- ſchickte einzelne Mitglieder haben, ſo wird doch kaum die wahre Abſicht einer wohl eingerichteten National-Erziehung durch daſſelbe erreicht wer- den.” — Schwerlich hat noch je eine catholiſche Feder ſo gruͤndlich uͤber dieſen Gegenſtand geſchrie- ben, wie hier einer unſerer erſten jetzigen catholi- ſchen Schriftſteller!

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/472>, abgerufen am 24.11.2024.