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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
gion, auf deren guten Willen es angekommen sey,
die evangelische als eine erst neu aufgekommene
Religion in Teutschland aufzunehmen, oder nicht.
So würde etwa der Fall gewesen seyn, wenn das
ganze Teutsche Reich in Ansehung der Religion
einerley Gesinnung gehabt und behalten hätte, und
nun eine Anzahl Ausländer von einer andern Re-
ligion den Eintritt auf Teutschen Boden verlangt
hätte; so wie etwa in Spanien von Aufnahme
fremder protestantischer Colonien die Frage seyn
könnte. Allein so war der Fall hier ganz und gar
nicht. Ein Theil der Nation selbst, Reichsstände
und Unterthanen, die schon da waren, hatten ihre
Gesinnungen in der Religion geändert; hielten sich
jetzt überzeugt, im bisherigen Umfange derselben
Irrthümer und Mißbräuche wahrzunehmen, bey
denen sie ohne Gefahr ihrer Seligkeit und ohne
Zwang ihres Gewissens nicht bleiben könnten; ver-
langten also nicht erst als neue Ankömmlinge auf-
genommen zu werden, sondern nur zu bleiben, was
sie waren, ohne ihrer veränderten Religionsübung
wegen bedrängt oder beschwert zu werden. Da
war gar nicht in Frage fremde Religionsverwand-
ten aufzunehmen und zu dulden, oder nicht auf-
zunehmen und nicht zu dulden; sondern ob ein
Theil der Nation den andern darum, weil der-
selbe jetzt andere Religionseinsichten und Gesin-
nungen bekommen hatte, verfolgen, verdrängen,
verachten könne?


VIII.

Freylich wenn veränderte Religionsgesinnun-
gen zum Vorwande dienen sollten, sich den Pflich-
ten gegen den Staat
zu entziehen, Obrigkeiten
zu stürzen, das gemeine Wesen in Unordnung zu

brin-

V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
gion, auf deren guten Willen es angekommen ſey,
die evangeliſche als eine erſt neu aufgekommene
Religion in Teutſchland aufzunehmen, oder nicht.
So wuͤrde etwa der Fall geweſen ſeyn, wenn das
ganze Teutſche Reich in Anſehung der Religion
einerley Geſinnung gehabt und behalten haͤtte, und
nun eine Anzahl Auslaͤnder von einer andern Re-
ligion den Eintritt auf Teutſchen Boden verlangt
haͤtte; ſo wie etwa in Spanien von Aufnahme
fremder proteſtantiſcher Colonien die Frage ſeyn
koͤnnte. Allein ſo war der Fall hier ganz und gar
nicht. Ein Theil der Nation ſelbſt, Reichsſtaͤnde
und Unterthanen, die ſchon da waren, hatten ihre
Geſinnungen in der Religion geaͤndert; hielten ſich
jetzt uͤberzeugt, im bisherigen Umfange derſelben
Irrthuͤmer und Mißbraͤuche wahrzunehmen, bey
denen ſie ohne Gefahr ihrer Seligkeit und ohne
Zwang ihres Gewiſſens nicht bleiben koͤnnten; ver-
langten alſo nicht erſt als neue Ankoͤmmlinge auf-
genommen zu werden, ſondern nur zu bleiben, was
ſie waren, ohne ihrer veraͤnderten Religionsuͤbung
wegen bedraͤngt oder beſchwert zu werden. Da
war gar nicht in Frage fremde Religionsverwand-
ten aufzunehmen und zu dulden, oder nicht auf-
zunehmen und nicht zu dulden; ſondern ob ein
Theil der Nation den andern darum, weil der-
ſelbe jetzt andere Religionseinſichten und Geſin-
nungen bekommen hatte, verfolgen, verdraͤngen,
verachten koͤnne?


VIII.

Freylich wenn veraͤnderte Religionsgeſinnun-
gen zum Vorwande dienen ſollten, ſich den Pflich-
ten gegen den Staat
zu entziehen, Obrigkeiten
zu ſtuͤrzen, das gemeine Weſen in Unordnung zu

brin-
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[410/0444] V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558. gion, auf deren guten Willen es angekommen ſey, die evangeliſche als eine erſt neu aufgekommene Religion in Teutſchland aufzunehmen, oder nicht. So wuͤrde etwa der Fall geweſen ſeyn, wenn das ganze Teutſche Reich in Anſehung der Religion einerley Geſinnung gehabt und behalten haͤtte, und nun eine Anzahl Auslaͤnder von einer andern Re- ligion den Eintritt auf Teutſchen Boden verlangt haͤtte; ſo wie etwa in Spanien von Aufnahme fremder proteſtantiſcher Colonien die Frage ſeyn koͤnnte. Allein ſo war der Fall hier ganz und gar nicht. Ein Theil der Nation ſelbſt, Reichsſtaͤnde und Unterthanen, die ſchon da waren, hatten ihre Geſinnungen in der Religion geaͤndert; hielten ſich jetzt uͤberzeugt, im bisherigen Umfange derſelben Irrthuͤmer und Mißbraͤuche wahrzunehmen, bey denen ſie ohne Gefahr ihrer Seligkeit und ohne Zwang ihres Gewiſſens nicht bleiben koͤnnten; ver- langten alſo nicht erſt als neue Ankoͤmmlinge auf- genommen zu werden, ſondern nur zu bleiben, was ſie waren, ohne ihrer veraͤnderten Religionsuͤbung wegen bedraͤngt oder beſchwert zu werden. Da war gar nicht in Frage fremde Religionsverwand- ten aufzunehmen und zu dulden, oder nicht auf- zunehmen und nicht zu dulden; ſondern ob ein Theil der Nation den andern darum, weil der- ſelbe jetzt andere Religionseinſichten und Geſin- nungen bekommen hatte, verfolgen, verdraͤngen, verachten koͤnne? Freylich wenn veraͤnderte Religionsgeſinnun- gen zum Vorwande dienen ſollten, ſich den Pflich- ten gegen den Staat zu entziehen, Obrigkeiten zu ſtuͤrzen, das gemeine Weſen in Unordnung zu brin-

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/444>, abgerufen am 22.11.2024.