Otto und seine Nachfolger glaubten jetzt ohneIX. Unterschied auf sich anwenden zu können, was ehedem nicht nur Carl der Große, sondern auch sonst irgend jemals einer der alten Römischen Kai- ser für Vorzüge gehabt haben möchte. Unter an- dern scheint man frühzeitig alles das benutzt zu haben, was in älteren Zeiten von der Stadt Rom als Beherrscherinn der Welt und von Römischen Kaisern als Herren der Welt zum Theil in Ge- dichten oder in der Sprache der Schmeicheley vor- gekommen war. Schon die Ottonen scheinen ge- glaubt zu haben, daß sie als Römische Kaiser eine gewisse Oberherrschaft sowohl über auswärtige Kö- nige als über Teutsche Fürsten ausüben könnten. Bald kam noch der Gedanke hinzu, daß die ganze Christenheit, als eine kirchliche Gesellschaft betrach- tet, ein sichtbares geistliches Oberhaupt habe; also auf gleiche Art auch alle Christliche Völker und Staaten ein weltliches Oberhaupt haben könnten; wozu wegen des Schutzes, den die Römische Kir- che vom Römischen Kaiser zu erwarten habe, niemand näher als dieser wäre. Bald verband man endlich noch überdies damit eine Deutung des Propheten Daniels von vier Königreichen, wo- von das letztere alle andere zermalmen und zer- stöhren, für sich aber ewig bleiben würde (t).
Nach solchen Vorstellungen darf man sichs weni-X. ger befremden laßen, wenn von diesen Zeiten her anderen Königreichen und sonst unabhängigen Völ- kern zugemuthet wurde, eine gewisse Oberhoheit unserer Kaiser über sich zu erkennen; wie bald nach einander mit Dänemark, Polen, Ungarn der Fall na-
ment-
(t) Dan. 2, 31-45.
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3) Otto der Große 936-974.
Otto und ſeine Nachfolger glaubten jetzt ohneIX. Unterſchied auf ſich anwenden zu koͤnnen, was ehedem nicht nur Carl der Große, ſondern auch ſonſt irgend jemals einer der alten Roͤmiſchen Kai- ſer fuͤr Vorzuͤge gehabt haben moͤchte. Unter an- dern ſcheint man fruͤhzeitig alles das benutzt zu haben, was in aͤlteren Zeiten von der Stadt Rom als Beherrſcherinn der Welt und von Roͤmiſchen Kaiſern als Herren der Welt zum Theil in Ge- dichten oder in der Sprache der Schmeicheley vor- gekommen war. Schon die Ottonen ſcheinen ge- glaubt zu haben, daß ſie als Roͤmiſche Kaiſer eine gewiſſe Oberherrſchaft ſowohl uͤber auswaͤrtige Koͤ- nige als uͤber Teutſche Fuͤrſten ausuͤben koͤnnten. Bald kam noch der Gedanke hinzu, daß die ganze Chriſtenheit, als eine kirchliche Geſellſchaft betrach- tet, ein ſichtbares geiſtliches Oberhaupt habe; alſo auf gleiche Art auch alle Chriſtliche Voͤlker und Staaten ein weltliches Oberhaupt haben koͤnnten; wozu wegen des Schutzes, den die Roͤmiſche Kir- che vom Roͤmiſchen Kaiſer zu erwarten habe, niemand naͤher als dieſer waͤre. Bald verband man endlich noch uͤberdies damit eine Deutung des Propheten Daniels von vier Koͤnigreichen, wo- von das letztere alle andere zermalmen und zer- ſtoͤhren, fuͤr ſich aber ewig bleiben wuͤrde (t).
Nach ſolchen Vorſtellungen darf man ſichs weni-X. ger befremden laßen, wenn von dieſen Zeiten her anderen Koͤnigreichen und ſonſt unabhaͤngigen Voͤl- kern zugemuthet wurde, eine gewiſſe Oberhoheit unſerer Kaiſer uͤber ſich zu erkennen; wie bald nach einander mit Daͤnemark, Polen, Ungarn der Fall na-
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(t) Dan. 2, 31-45.
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3) Otto der Große 936-974.
Otto und ſeine Nachfolger glaubten jetzt ohne
Unterſchied auf ſich anwenden zu koͤnnen, was
ehedem nicht nur Carl der Große, ſondern auch
ſonſt irgend jemals einer der alten Roͤmiſchen Kai-
ſer fuͤr Vorzuͤge gehabt haben moͤchte. Unter an-
dern ſcheint man fruͤhzeitig alles das benutzt zu
haben, was in aͤlteren Zeiten von der Stadt Rom
als Beherrſcherinn der Welt und von Roͤmiſchen
Kaiſern als Herren der Welt zum Theil in Ge-
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gekommen war. Schon die Ottonen ſcheinen ge-
glaubt zu haben, daß ſie als Roͤmiſche Kaiſer eine
gewiſſe Oberherrſchaft ſowohl uͤber auswaͤrtige Koͤ-
nige als uͤber Teutſche Fuͤrſten ausuͤben koͤnnten.
Bald kam noch der Gedanke hinzu, daß die ganze
Chriſtenheit, als eine kirchliche Geſellſchaft betrach-
tet, ein ſichtbares geiſtliches Oberhaupt habe; alſo
auf gleiche Art auch alle Chriſtliche Voͤlker und
Staaten ein weltliches Oberhaupt haben koͤnnten;
wozu wegen des Schutzes, den die Roͤmiſche Kir-
che vom Roͤmiſchen Kaiſer zu erwarten habe,
niemand naͤher als dieſer waͤre. Bald verband
man endlich noch uͤberdies damit eine Deutung
des Propheten Daniels von vier Koͤnigreichen, wo-
von das letztere alle andere zermalmen und zer-
ſtoͤhren, fuͤr ſich aber ewig bleiben wuͤrde (t).
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Nach ſolchen Vorſtellungen darf man ſichs weni-
ger befremden laßen, wenn von dieſen Zeiten her
anderen Koͤnigreichen und ſonſt unabhaͤngigen Voͤl-
kern zugemuthet wurde, eine gewiſſe Oberhoheit
unſerer Kaiſer uͤber ſich zu erkennen; wie bald nach
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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/151>, abgerufen am 27.11.2024.
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