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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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hafte Reinlichkeit. Das Gouvernement gibt jedem
Verbrecher früh eine halbe Kanne dicke Gersten-
schleim-Suppe, Mittags, den einen Tag ein halbes
Pfund Fleisch, den andern Fleischbrüh-Suppe, und
täglich ein Pfund gutes Brod. Ausserdem ist ihnen
auch noch anderes Essen und eine halbe Flasche Wein
täglich zu kaufen erlaubt. Sie beschäftigen sich den
Tag über, wo sie sich in besondern Höfen, die zu ei-
ner gewissen Anzahl Stuben gehören, aufhalten kön-
nen, wie und womit sie wollen. Für diejenigen,
welche arbeiten wollen, gibt es Werkstätten; viele
aber rauchen und spielen nur von Früh bis Abend
im Hofe. Um 9 Uhr Morgens müssen sich alle zum
Gottesdienst versammeln. Gewöhnlich wohnen 7--8
in einer Stube. Zum Schlafen erhalten sie jeder
eine Matratze und zwei Decken, auch Kohlen zum
Kochen, und im Winter zum Heizen, so viel nöthig
ist. Die zum Tode Verurtheilten kommen in beson-
dere, etwas weniger kommode Zellen, wo zwei bis
drei in einer schlafen. Am Tage haben indeß auch
diese ihren Hof zur Recreation und zum Essen eine
besondere Stube. Ich sah sechs Knaben, wovon der
älteste kaum vierzehn Jahre zählte, und die alle un-
ter Todesurtheil schwebten, sehr lustig hier rauchen
und spielen. Das Urtheil war indessen noch nicht be-
stätigt, und sie daher noch mit den übrigen Gesan-
genen zusammen. Man glaubte, sie würden begnadigt
und nur Zeitlebens nach Botanybay geschickt werden.

Vier Aeltere, die sich in derselben Lage befanden,
nur mit dem Unterschied, daß sie, wegen zu schwerer
Verbrechen auf keine Begnadigung rechnen durften

hafte Reinlichkeit. Das Gouvernement gibt jedem
Verbrecher früh eine halbe Kanne dicke Gerſten-
ſchleim-Suppe, Mittags, den einen Tag ein halbes
Pfund Fleiſch, den andern Fleiſchbrüh-Suppe, und
täglich ein Pfund gutes Brod. Auſſerdem iſt ihnen
auch noch anderes Eſſen und eine halbe Flaſche Wein
täglich zu kaufen erlaubt. Sie beſchäftigen ſich den
Tag über, wo ſie ſich in beſondern Höfen, die zu ei-
ner gewiſſen Anzahl Stuben gehören, aufhalten kön-
nen, wie und womit ſie wollen. Für diejenigen,
welche arbeiten wollen, gibt es Werkſtätten; viele
aber rauchen und ſpielen nur von Früh bis Abend
im Hofe. Um 9 Uhr Morgens müſſen ſich alle zum
Gottesdienſt verſammeln. Gewöhnlich wohnen 7—8
in einer Stube. Zum Schlafen erhalten ſie jeder
eine Matratze und zwei Decken, auch Kohlen zum
Kochen, und im Winter zum Heizen, ſo viel nöthig
iſt. Die zum Tode Verurtheilten kommen in beſon-
dere, etwas weniger kommode Zellen, wo zwei bis
drei in einer ſchlafen. Am Tage haben indeß auch
dieſe ihren Hof zur Recreation und zum Eſſen eine
beſondere Stube. Ich ſah ſechs Knaben, wovon der
älteſte kaum vierzehn Jahre zählte, und die alle un-
ter Todesurtheil ſchwebten, ſehr luſtig hier rauchen
und ſpielen. Das Urtheil war indeſſen noch nicht be-
ſtätigt, und ſie daher noch mit den übrigen Geſan-
genen zuſammen. Man glaubte, ſie würden begnadigt
und nur Zeitlebens nach Botanybay geſchickt werden.

Vier Aeltere, die ſich in derſelben Lage befanden,
nur mit dem Unterſchied, daß ſie, wegen zu ſchwerer
Verbrechen auf keine Begnadigung rechnen durften

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[75/0091] hafte Reinlichkeit. Das Gouvernement gibt jedem Verbrecher früh eine halbe Kanne dicke Gerſten- ſchleim-Suppe, Mittags, den einen Tag ein halbes Pfund Fleiſch, den andern Fleiſchbrüh-Suppe, und täglich ein Pfund gutes Brod. Auſſerdem iſt ihnen auch noch anderes Eſſen und eine halbe Flaſche Wein täglich zu kaufen erlaubt. Sie beſchäftigen ſich den Tag über, wo ſie ſich in beſondern Höfen, die zu ei- ner gewiſſen Anzahl Stuben gehören, aufhalten kön- nen, wie und womit ſie wollen. Für diejenigen, welche arbeiten wollen, gibt es Werkſtätten; viele aber rauchen und ſpielen nur von Früh bis Abend im Hofe. Um 9 Uhr Morgens müſſen ſich alle zum Gottesdienſt verſammeln. Gewöhnlich wohnen 7—8 in einer Stube. Zum Schlafen erhalten ſie jeder eine Matratze und zwei Decken, auch Kohlen zum Kochen, und im Winter zum Heizen, ſo viel nöthig iſt. Die zum Tode Verurtheilten kommen in beſon- dere, etwas weniger kommode Zellen, wo zwei bis drei in einer ſchlafen. Am Tage haben indeß auch dieſe ihren Hof zur Recreation und zum Eſſen eine beſondere Stube. Ich ſah ſechs Knaben, wovon der älteſte kaum vierzehn Jahre zählte, und die alle un- ter Todesurtheil ſchwebten, ſehr luſtig hier rauchen und ſpielen. Das Urtheil war indeſſen noch nicht be- ſtätigt, und ſie daher noch mit den übrigen Geſan- genen zuſammen. Man glaubte, ſie würden begnadigt und nur Zeitlebens nach Botanybay geſchickt werden. Vier Aeltere, die ſich in derſelben Lage befanden, nur mit dem Unterſchied, daß ſie, wegen zu ſchwerer Verbrechen auf keine Begnadigung rechnen durften

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/91>, abgerufen am 24.11.2024.