Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

nur als zureichende Sklaven, und doch von derselben
Mutter Natur geboren sind -- oder an den Dürfti-
gen dachte, der nach des langen Tages angestreng-
ter Arbeit die karge ärmliche Nahrung am Abend
kaum erschwingen kann, während wir, wie auf jener
englischen Carrikatur, überfüllt von Genuß, den
Bettler um seinen Hunger beneiden! Darin
eben liegt aber vielleicht die Compensation, und un-
sere Entschuldigung, daß wir aller dieser guten und
gerechten Gefühle ungeachtet (ich schließe von mir auf
andere) uns dennoch sehr entrüsten würden, wenn
der erwähnte Diener Tantalus einmal mit uns von
der wohlbesetzten Tafel zulangen, oder der Arme im
unhochzeitlichen Kleide sich selbst bei uns zu Tische
bitten wollte. Gott hat es selbst so angeordnet, daß
die Einen genießen, die Andern entbehren sollen,
und es bleibt so in der Welt! Jedem Ruf der Freude
ertönt am andern Ort ein Echoschrei der Angst und
Verzweiflung, und wo Raserei sich hier den Kopf
zerschmettert, fühlt ein Andrer in demselben Augen-
blick das höchste Entzücken der Lust!

Also gräme sich Niemand unnütz darüber, wenn
er auch weder verdient noch begreift, warum es ihm
besser oder schlechter als Andern geht. Das Schicksal
liebt einmal diese bittere Ironie -- drum pflückt, o
Menschen, die Blumen kindlich so lange sie blühn,
theilt ihren Duft wo ihr könnt, auch Andern mit,
und bietet männlich dem eignen Schmerz eine eherne
Brust.


nur als zureichende Sklaven, und doch von derſelben
Mutter Natur geboren ſind — oder an den Dürfti-
gen dachte, der nach des langen Tages angeſtreng-
ter Arbeit die karge ärmliche Nahrung am Abend
kaum erſchwingen kann, während wir, wie auf jener
engliſchen Carrikatur, überfüllt von Genuß, den
Bettler um ſeinen Hunger beneiden! Darin
eben liegt aber vielleicht die Compenſation, und un-
ſere Entſchuldigung, daß wir aller dieſer guten und
gerechten Gefühle ungeachtet (ich ſchließe von mir auf
andere) uns dennoch ſehr entrüſten würden, wenn
der erwähnte Diener Tantalus einmal mit uns von
der wohlbeſetzten Tafel zulangen, oder der Arme im
unhochzeitlichen Kleide ſich ſelbſt bei uns zu Tiſche
bitten wollte. Gott hat es ſelbſt ſo angeordnet, daß
die Einen genießen, die Andern entbehren ſollen,
und es bleibt ſo in der Welt! Jedem Ruf der Freude
ertönt am andern Ort ein Echoſchrei der Angſt und
Verzweiflung, und wo Raſerei ſich hier den Kopf
zerſchmettert, fühlt ein Andrer in demſelben Augen-
blick das höchſte Entzücken der Luſt!

Alſo gräme ſich Niemand unnütz darüber, wenn
er auch weder verdient noch begreift, warum es ihm
beſſer oder ſchlechter als Andern geht. Das Schickſal
liebt einmal dieſe bittere Ironie — drum pflückt, o
Menſchen, die Blumen kindlich ſo lange ſie blühn,
theilt ihren Duft wo ihr könnt, auch Andern mit,
und bietet männlich dem eignen Schmerz eine eherne
Bruſt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="71"/>
nur als zureichende Sklaven, und doch von der&#x017F;elben<lb/>
Mutter Natur geboren &#x017F;ind &#x2014; oder an den Dürfti-<lb/>
gen dachte, der nach des langen Tages ange&#x017F;treng-<lb/>
ter Arbeit die karge ärmliche Nahrung am Abend<lb/>
kaum er&#x017F;chwingen kann, während wir, wie auf jener<lb/>
engli&#x017F;chen Carrikatur, überfüllt von Genuß, den<lb/>
Bettler <hi rendition="#g">um &#x017F;einen Hunger</hi> beneiden! Darin<lb/>
eben liegt aber vielleicht die Compen&#x017F;ation, und un-<lb/>
&#x017F;ere Ent&#x017F;chuldigung, daß wir aller die&#x017F;er guten und<lb/>
gerechten Gefühle ungeachtet (ich &#x017F;chließe von mir auf<lb/>
andere) uns dennoch &#x017F;ehr entrü&#x017F;ten würden, wenn<lb/>
der erwähnte Diener Tantalus einmal mit uns von<lb/>
der wohlbe&#x017F;etzten Tafel zulangen, oder der Arme im<lb/>
unhochzeitlichen Kleide &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t bei uns zu Ti&#x017F;che<lb/>
bitten wollte. Gott hat es &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o angeordnet, daß<lb/>
die Einen genießen, die Andern entbehren &#x017F;ollen,<lb/>
und es bleibt &#x017F;o in der Welt! Jedem Ruf der Freude<lb/>
ertönt am andern Ort ein Echo&#x017F;chrei der Ang&#x017F;t und<lb/>
Verzweiflung, und wo Ra&#x017F;erei &#x017F;ich hier den Kopf<lb/>
zer&#x017F;chmettert, fühlt ein Andrer in dem&#x017F;elben Augen-<lb/>
blick das höch&#x017F;te Entzücken der Lu&#x017F;t!</p><lb/>
          <p>Al&#x017F;o gräme &#x017F;ich Niemand unnütz darüber, wenn<lb/>
er auch weder verdient noch begreift, warum es ihm<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er oder &#x017F;chlechter als Andern geht. Das Schick&#x017F;al<lb/>
liebt einmal die&#x017F;e bittere Ironie &#x2014; drum pflückt, o<lb/>
Men&#x017F;chen, die Blumen kindlich &#x017F;o lange &#x017F;ie blühn,<lb/>
theilt ihren Duft wo ihr könnt, auch Andern mit,<lb/>
und bietet männlich dem eignen Schmerz eine eherne<lb/>
Bru&#x017F;t.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0087] nur als zureichende Sklaven, und doch von derſelben Mutter Natur geboren ſind — oder an den Dürfti- gen dachte, der nach des langen Tages angeſtreng- ter Arbeit die karge ärmliche Nahrung am Abend kaum erſchwingen kann, während wir, wie auf jener engliſchen Carrikatur, überfüllt von Genuß, den Bettler um ſeinen Hunger beneiden! Darin eben liegt aber vielleicht die Compenſation, und un- ſere Entſchuldigung, daß wir aller dieſer guten und gerechten Gefühle ungeachtet (ich ſchließe von mir auf andere) uns dennoch ſehr entrüſten würden, wenn der erwähnte Diener Tantalus einmal mit uns von der wohlbeſetzten Tafel zulangen, oder der Arme im unhochzeitlichen Kleide ſich ſelbſt bei uns zu Tiſche bitten wollte. Gott hat es ſelbſt ſo angeordnet, daß die Einen genießen, die Andern entbehren ſollen, und es bleibt ſo in der Welt! Jedem Ruf der Freude ertönt am andern Ort ein Echoſchrei der Angſt und Verzweiflung, und wo Raſerei ſich hier den Kopf zerſchmettert, fühlt ein Andrer in demſelben Augen- blick das höchſte Entzücken der Luſt! Alſo gräme ſich Niemand unnütz darüber, wenn er auch weder verdient noch begreift, warum es ihm beſſer oder ſchlechter als Andern geht. Das Schickſal liebt einmal dieſe bittere Ironie — drum pflückt, o Menſchen, die Blumen kindlich ſo lange ſie blühn, theilt ihren Duft wo ihr könnt, auch Andern mit, und bietet männlich dem eignen Schmerz eine eherne Bruſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/87
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/87>, abgerufen am 24.11.2024.