Ich muß Dir ein paar, jenes Land charakterisi- rende Anekdoten mittheilen, die ich von ihm erzäh- len hörte.
Der jetzige Schach wurde von seinem ersten Mini- ster Ibrahim Chan, der ihn früher auf den Thron gesetzt, als er noch ein Kind war, lange in solcher Abhängigkeit erhalten, daß er nur dem Namen nach regierte. Es war ihm um so unmöglicher, Wider- stand zu leisten, da jede Gouverneurstelle der Pro- vinzen und ersten Städte des Reichs ohne Ausnahme durch Verwandte und Creaturen des Ministers be- setzt worden war. Endlich beschloß der König, um jeden Preis sich einer solchen Sklaverei zu entziehen, und wählte folgendes energische Mittel dazu, welches den ächten orientalischen Charakter an sich trägt. Es existirt nämlich, nach den alten Gesetzen des Reichs, eine Klasse Soldaten in Persien, die in allen Hauptstädten nur sparsam vertheilt ist, und des Kö- nigs Garde heißt. Diese befolgen keine andern Be- fehle als solche, welche unmittelbar vom König selbst gegeben werden, und mit seinem Handsiegel unter- zeichnet sind, daher auch diese Garden allein vom alles beherrschenden Minister unabhängig geblieben waren, und die einzige sichere Stütze des Throns bildeten. An die Chefs dieser Vertrauten erließ der König nun im Geheim selbst geschriebene Befehle, die dahin lauteten, an einem gewissen Tage und Stunde alle Verwandte Ibrahims im ganzen Reiche zu ermorden. Als die bezeichnete Stunde herannahte, hielt der Schach einen Divan, suchte während dessel- ben Streit mit Ibrahim herbeizuführen, und als die-
Ich muß Dir ein paar, jenes Land charakteriſi- rende Anekdoten mittheilen, die ich von ihm erzäh- len hörte.
Der jetzige Schach wurde von ſeinem erſten Mini- ſter Ibrahim Chan, der ihn früher auf den Thron geſetzt, als er noch ein Kind war, lange in ſolcher Abhängigkeit erhalten, daß er nur dem Namen nach regierte. Es war ihm um ſo unmöglicher, Wider- ſtand zu leiſten, da jede Gouverneurſtelle der Pro- vinzen und erſten Städte des Reichs ohne Ausnahme durch Verwandte und Creaturen des Miniſters be- ſetzt worden war. Endlich beſchloß der König, um jeden Preis ſich einer ſolchen Sklaverei zu entziehen, und wählte folgendes energiſche Mittel dazu, welches den ächten orientaliſchen Charakter an ſich trägt. Es exiſtirt nämlich, nach den alten Geſetzen des Reichs, eine Klaſſe Soldaten in Perſien, die in allen Hauptſtädten nur ſparſam vertheilt iſt, und des Kö- nigs Garde heißt. Dieſe befolgen keine andern Be- fehle als ſolche, welche unmittelbar vom König ſelbſt gegeben werden, und mit ſeinem Handſiegel unter- zeichnet ſind, daher auch dieſe Garden allein vom alles beherrſchenden Miniſter unabhängig geblieben waren, und die einzige ſichere Stütze des Throns bildeten. An die Chefs dieſer Vertrauten erließ der König nun im Geheim ſelbſt geſchriebene Befehle, die dahin lauteten, an einem gewiſſen Tage und Stunde alle Verwandte Ibrahims im ganzen Reiche zu ermorden. Als die bezeichnete Stunde herannahte, hielt der Schach einen Divan, ſuchte während deſſel- ben Streit mit Ibrahim herbeizuführen, und als die-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0080"n="64"/><p>Ich muß Dir ein paar, jenes Land charakteriſi-<lb/>
rende Anekdoten mittheilen, die ich von ihm erzäh-<lb/>
len hörte.</p><lb/><p>Der jetzige Schach wurde von ſeinem erſten Mini-<lb/>ſter Ibrahim Chan, der ihn früher auf den Thron<lb/>
geſetzt, als er noch ein Kind war, lange in ſolcher<lb/>
Abhängigkeit erhalten, daß er nur dem Namen nach<lb/>
regierte. Es war ihm um ſo unmöglicher, Wider-<lb/>ſtand zu leiſten, da jede Gouverneurſtelle der Pro-<lb/>
vinzen und erſten Städte des Reichs ohne Ausnahme<lb/>
durch Verwandte und Creaturen des Miniſters be-<lb/>ſetzt worden war. Endlich beſchloß der König, um<lb/>
jeden Preis ſich einer ſolchen Sklaverei zu entziehen,<lb/>
und wählte folgendes energiſche Mittel dazu, welches<lb/>
den ächten orientaliſchen Charakter an ſich trägt.<lb/>
Es exiſtirt nämlich, nach den alten Geſetzen des<lb/>
Reichs, eine Klaſſe Soldaten in Perſien, die in allen<lb/>
Hauptſtädten nur ſparſam vertheilt iſt, und des Kö-<lb/>
nigs Garde heißt. Dieſe befolgen keine andern Be-<lb/>
fehle als ſolche, welche unmittelbar vom König ſelbſt<lb/>
gegeben werden, und mit ſeinem Handſiegel unter-<lb/>
zeichnet ſind, daher auch dieſe Garden allein vom<lb/>
alles beherrſchenden Miniſter unabhängig geblieben<lb/>
waren, und die einzige ſichere Stütze des Throns<lb/>
bildeten. An die Chefs dieſer Vertrauten erließ der<lb/>
König nun im Geheim ſelbſt geſchriebene Befehle,<lb/>
die dahin lauteten, an einem gewiſſen Tage und<lb/>
Stunde alle Verwandte Ibrahims im ganzen Reiche<lb/>
zu ermorden. Als die bezeichnete Stunde herannahte,<lb/>
hielt der Schach einen Divan, ſuchte während deſſel-<lb/>
ben Streit mit Ibrahim herbeizuführen, und als die-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0080]
Ich muß Dir ein paar, jenes Land charakteriſi-
rende Anekdoten mittheilen, die ich von ihm erzäh-
len hörte.
Der jetzige Schach wurde von ſeinem erſten Mini-
ſter Ibrahim Chan, der ihn früher auf den Thron
geſetzt, als er noch ein Kind war, lange in ſolcher
Abhängigkeit erhalten, daß er nur dem Namen nach
regierte. Es war ihm um ſo unmöglicher, Wider-
ſtand zu leiſten, da jede Gouverneurſtelle der Pro-
vinzen und erſten Städte des Reichs ohne Ausnahme
durch Verwandte und Creaturen des Miniſters be-
ſetzt worden war. Endlich beſchloß der König, um
jeden Preis ſich einer ſolchen Sklaverei zu entziehen,
und wählte folgendes energiſche Mittel dazu, welches
den ächten orientaliſchen Charakter an ſich trägt.
Es exiſtirt nämlich, nach den alten Geſetzen des
Reichs, eine Klaſſe Soldaten in Perſien, die in allen
Hauptſtädten nur ſparſam vertheilt iſt, und des Kö-
nigs Garde heißt. Dieſe befolgen keine andern Be-
fehle als ſolche, welche unmittelbar vom König ſelbſt
gegeben werden, und mit ſeinem Handſiegel unter-
zeichnet ſind, daher auch dieſe Garden allein vom
alles beherrſchenden Miniſter unabhängig geblieben
waren, und die einzige ſichere Stütze des Throns
bildeten. An die Chefs dieſer Vertrauten erließ der
König nun im Geheim ſelbſt geſchriebene Befehle,
die dahin lauteten, an einem gewiſſen Tage und
Stunde alle Verwandte Ibrahims im ganzen Reiche
zu ermorden. Als die bezeichnete Stunde herannahte,
hielt der Schach einen Divan, ſuchte während deſſel-
ben Streit mit Ibrahim herbeizuführen, und als die-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/80>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.