lich sicher, daß keine zweite Opiumflasche geholt wer- den würde) um meine Toilette zu einem großen Dine bei unserm Gesandten zu machen, das ich nicht ver- säumen wollte.
Denke Dir nun meinen wirklich nicht geringen Schreck, als mir einige Tage darauf R. mit seinem gut angenommenen englischen Phlegma erzählt: Heute früh hat sich die W .... im Serpentineriver ersäuft, ist nachher von einem vorbeigehenden Bedienten herausgefischt und schon mehrere Stunden ehe unser- eins aufsteht, unter großem Volkszulauf nach ihrer Wohnung zurückgebracht worden. "Mein Gott, ist sie todt?" rief ich. "Ich glaube nicht," erwiederte R ... "sie soll, wenn ich recht hörte, wieder zu sich gekommen seyn."
Ich eilte sogleich nach ihrer Wohnung, fand aber alle Läden verschlossen, und der Diener äusserte, daß Niemand außer dem Arzte vorgelassen würde, die Herrschaft sey tödtlich krank.
Das heißt doch die Narrheit ein wenig zu weit treiben, dachte ich bei mir selbst, und diese, ihrem unsterblichen Verwandten so schlecht nachahmende Nichte, illustrirt recht die Wahrheit: wie viel leichter und schwächer es sey, ein unerträgliches Leid durch Selbstmord abzuwerfen, als es kühn bis zum letzten Athemzug zu tragen!
Doch fühle ich lebhaftes Bedauern mit der armen Frau, und freute mich fast, daß meine nahe Abreise mir das Wiedersehen derselben, nach einer solchen
lich ſicher, daß keine zweite Opiumflaſche geholt wer- den würde) um meine Toilette zu einem großen Diné bei unſerm Geſandten zu machen, das ich nicht ver- ſäumen wollte.
Denke Dir nun meinen wirklich nicht geringen Schreck, als mir einige Tage darauf R. mit ſeinem gut angenommenen engliſchen Phlegma erzählt: Heute früh hat ſich die W .... im Serpentineriver erſäuft, iſt nachher von einem vorbeigehenden Bedienten herausgefiſcht und ſchon mehrere Stunden ehe unſer- eins aufſteht, unter großem Volkszulauf nach ihrer Wohnung zurückgebracht worden. „Mein Gott, iſt ſie todt?“ rief ich. „Ich glaube nicht,“ erwiederte R … „ſie ſoll, wenn ich recht hörte, wieder zu ſich gekommen ſeyn.“
Ich eilte ſogleich nach ihrer Wohnung, fand aber alle Läden verſchloſſen, und der Diener äuſſerte, daß Niemand außer dem Arzte vorgelaſſen würde, die Herrſchaft ſey tödtlich krank.
Das heißt doch die Narrheit ein wenig zu weit treiben, dachte ich bei mir ſelbſt, und dieſe, ihrem unſterblichen Verwandten ſo ſchlecht nachahmende Nichte, illuſtrirt recht die Wahrheit: wie viel leichter und ſchwächer es ſey, ein unerträgliches Leid durch Selbſtmord abzuwerfen, als es kühn bis zum letzten Athemzug zu tragen!
Doch fühle ich lebhaftes Bedauern mit der armen Frau, und freute mich faſt, daß meine nahe Abreiſe mir das Wiederſehen derſelben, nach einer ſolchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0440"n="420"/>
lich ſicher, daß keine zweite Opiumflaſche geholt wer-<lb/>
den würde) um meine Toilette zu einem großen Din<hirendition="#aq">é</hi><lb/>
bei unſerm Geſandten zu machen, das ich nicht ver-<lb/>ſäumen wollte.</p><lb/><p>Denke Dir nun meinen wirklich nicht geringen<lb/>
Schreck, als mir einige Tage darauf R. mit ſeinem<lb/>
gut angenommenen engliſchen Phlegma erzählt: Heute<lb/>
früh hat ſich die W .... im Serpentineriver erſäuft,<lb/>
iſt nachher von einem vorbeigehenden Bedienten<lb/>
herausgefiſcht und ſchon mehrere Stunden ehe unſer-<lb/>
eins aufſteht, unter großem Volkszulauf nach ihrer<lb/>
Wohnung zurückgebracht worden. „Mein Gott, iſt<lb/>ſie todt?“ rief ich. „Ich glaube nicht,“ erwiederte<lb/>
R …„ſie ſoll, wenn ich recht hörte, wieder zu ſich<lb/>
gekommen ſeyn.“</p><lb/><p>Ich eilte ſogleich nach ihrer Wohnung, fand aber<lb/>
alle Läden verſchloſſen, und der Diener äuſſerte, daß<lb/>
Niemand außer dem Arzte vorgelaſſen würde, die<lb/>
Herrſchaft ſey tödtlich krank.</p><lb/><p>Das heißt doch die Narrheit ein wenig zu weit<lb/>
treiben, dachte ich bei mir ſelbſt, und dieſe, ihrem<lb/>
unſterblichen Verwandten ſo ſchlecht nachahmende<lb/>
Nichte, illuſtrirt recht die Wahrheit: wie viel leichter<lb/>
und ſchwächer es ſey, ein unerträgliches Leid durch<lb/>
Selbſtmord abzuwerfen, als es kühn bis zum letzten<lb/>
Athemzug zu tragen!</p><lb/><p>Doch fühle ich lebhaftes Bedauern mit der armen<lb/>
Frau, und freute mich faſt, daß meine nahe Abreiſe<lb/>
mir das Wiederſehen derſelben, nach einer ſolchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[420/0440]
lich ſicher, daß keine zweite Opiumflaſche geholt wer-
den würde) um meine Toilette zu einem großen Diné
bei unſerm Geſandten zu machen, das ich nicht ver-
ſäumen wollte.
Denke Dir nun meinen wirklich nicht geringen
Schreck, als mir einige Tage darauf R. mit ſeinem
gut angenommenen engliſchen Phlegma erzählt: Heute
früh hat ſich die W .... im Serpentineriver erſäuft,
iſt nachher von einem vorbeigehenden Bedienten
herausgefiſcht und ſchon mehrere Stunden ehe unſer-
eins aufſteht, unter großem Volkszulauf nach ihrer
Wohnung zurückgebracht worden. „Mein Gott, iſt
ſie todt?“ rief ich. „Ich glaube nicht,“ erwiederte
R … „ſie ſoll, wenn ich recht hörte, wieder zu ſich
gekommen ſeyn.“
Ich eilte ſogleich nach ihrer Wohnung, fand aber
alle Läden verſchloſſen, und der Diener äuſſerte, daß
Niemand außer dem Arzte vorgelaſſen würde, die
Herrſchaft ſey tödtlich krank.
Das heißt doch die Narrheit ein wenig zu weit
treiben, dachte ich bei mir ſelbſt, und dieſe, ihrem
unſterblichen Verwandten ſo ſchlecht nachahmende
Nichte, illuſtrirt recht die Wahrheit: wie viel leichter
und ſchwächer es ſey, ein unerträgliches Leid durch
Selbſtmord abzuwerfen, als es kühn bis zum letzten
Athemzug zu tragen!
Doch fühle ich lebhaftes Bedauern mit der armen
Frau, und freute mich faſt, daß meine nahe Abreiſe
mir das Wiederſehen derſelben, nach einer ſolchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/440>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.