Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

der etwas männlich schönen Frau mehr als ich sonst
gethan hätte, nicht weil sie wenig Mode war, son-
dern weil diese Art weiblicher Charaktere und Reize
überhaupt keineswegs diejenigen sind, welche ich
vorziehe.

Unterdeß waren wir ziemlich bekannt mit einander
geworden, als sie nach Irland abreiste, und ich ihrer
nicht weiter gedachte.

Vor einigen Wochen kam sie wieder hier an, von
ihrem Manne, einem Engländer, geschieden, den sie,
excentrisch genug, nur deshalb geheirathet hatte, um
mit ihm nach Helena gehen zu können, was später
dennoch vereitelt ward.

Ihr französisches Wesen und ihre lebhafte Unter-
haltung, nebst allen diesen Details, zogen mich von
neuem an, und ich sah sie noch öfter als früher.
Vorige Woche trug sie mir auf, ihr ein Billet zu ei-
nem dejeune champetre im Garten der horticultural
society
zu verschaffen, über welches Fest auch Lady
Patronesses gesetzt worden sind. Als ich das Billet
brachte, verlangte sie, ich solle sie begleiten. Ganz
gutmüthig erwiederte ich, daß hier, wo die Gesell-
schaft so kleinstädtisch sey, leicht ein Gerede darüber
entstehen könne, und wir morgen vor einem Zeitungs-
Artikel nicht sicher wären, wenn wir diesen Ort al-
lein mit einander besuchten. Statt der Antwort
brach sie in Thränen aus, und sagte: es thue nichts,
denn ihr wäre Alles ohnehin jetzt einerlei, da sie
morgen nicht mehr auf dieser Welt seyn würde. --

Briefe eines Verstorbenen IV. 27

der etwas männlich ſchönen Frau mehr als ich ſonſt
gethan hätte, nicht weil ſie wenig Mode war, ſon-
dern weil dieſe Art weiblicher Charaktere und Reize
überhaupt keineswegs diejenigen ſind, welche ich
vorziehe.

Unterdeß waren wir ziemlich bekannt mit einander
geworden, als ſie nach Irland abreiſte, und ich ihrer
nicht weiter gedachte.

Vor einigen Wochen kam ſie wieder hier an, von
ihrem Manne, einem Engländer, geſchieden, den ſie,
excentriſch genug, nur deshalb geheirathet hatte, um
mit ihm nach Helena gehen zu können, was ſpäter
dennoch vereitelt ward.

Ihr franzöſiſches Weſen und ihre lebhafte Unter-
haltung, nebſt allen dieſen Details, zogen mich von
neuem an, und ich ſah ſie noch öfter als früher.
Vorige Woche trug ſie mir auf, ihr ein Billet zu ei-
nem dejeuné champêtre im Garten der horticultural
society
zu verſchaffen, über welches Feſt auch Lady
Patroneſſes geſetzt worden ſind. Als ich das Billet
brachte, verlangte ſie, ich ſolle ſie begleiten. Ganz
gutmüthig erwiederte ich, daß hier, wo die Geſell-
ſchaft ſo kleinſtädtiſch ſey, leicht ein Gerede darüber
entſtehen könne, und wir morgen vor einem Zeitungs-
Artikel nicht ſicher wären, wenn wir dieſen Ort al-
lein mit einander beſuchten. Statt der Antwort
brach ſie in Thränen aus, und ſagte: es thue nichts,
denn ihr wäre Alles ohnehin jetzt einerlei, da ſie
morgen nicht mehr auf dieſer Welt ſeyn würde. —

Briefe eines Verſtorbenen IV. 27
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0437" n="417"/>
der etwas männlich &#x017F;chönen Frau mehr als ich &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
gethan hätte, nicht weil &#x017F;ie wenig Mode war, &#x017F;on-<lb/>
dern weil die&#x017F;e Art weiblicher Charaktere und Reize<lb/>
überhaupt keineswegs diejenigen &#x017F;ind, welche ich<lb/>
vorziehe.</p><lb/>
          <p>Unterdeß waren wir ziemlich bekannt mit einander<lb/>
geworden, als &#x017F;ie nach Irland abrei&#x017F;te, und ich ihrer<lb/>
nicht weiter gedachte.</p><lb/>
          <p>Vor einigen Wochen kam &#x017F;ie wieder hier an, von<lb/>
ihrem Manne, einem Engländer, ge&#x017F;chieden, den &#x017F;ie,<lb/>
excentri&#x017F;ch genug, nur deshalb geheirathet hatte, um<lb/>
mit ihm nach Helena gehen zu können, was &#x017F;päter<lb/>
dennoch vereitelt ward.</p><lb/>
          <p>Ihr franzö&#x017F;i&#x017F;ches We&#x017F;en und ihre lebhafte Unter-<lb/>
haltung, neb&#x017F;t allen die&#x017F;en Details, zogen mich von<lb/>
neuem an, und ich &#x017F;ah &#x017F;ie noch öfter als früher.<lb/>
Vorige Woche trug &#x017F;ie mir auf, ihr ein Billet zu ei-<lb/>
nem <hi rendition="#aq">dejeuné champêtre</hi> im Garten der <hi rendition="#aq">horticultural<lb/>
society</hi> zu ver&#x017F;chaffen, über welches Fe&#x017F;t auch Lady<lb/>
Patrone&#x017F;&#x017F;es ge&#x017F;etzt worden &#x017F;ind. Als ich das Billet<lb/>
brachte, verlangte &#x017F;ie, ich &#x017F;olle &#x017F;ie begleiten. Ganz<lb/>
gutmüthig erwiederte ich, daß hier, wo die Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft &#x017F;o klein&#x017F;tädti&#x017F;ch &#x017F;ey, leicht ein Gerede darüber<lb/>
ent&#x017F;tehen könne, und wir morgen vor einem Zeitungs-<lb/>
Artikel nicht &#x017F;icher wären, wenn wir die&#x017F;en Ort al-<lb/>
lein mit einander be&#x017F;uchten. Statt der Antwort<lb/>
brach &#x017F;ie in Thränen aus, und &#x017F;agte: es thue nichts,<lb/>
denn ihr wäre Alles ohnehin jetzt einerlei, da &#x017F;ie<lb/>
morgen nicht mehr auf die&#x017F;er Welt &#x017F;eyn würde. &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Briefe eines Ver&#x017F;torbenen <hi rendition="#aq">IV.</hi> 27</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[417/0437] der etwas männlich ſchönen Frau mehr als ich ſonſt gethan hätte, nicht weil ſie wenig Mode war, ſon- dern weil dieſe Art weiblicher Charaktere und Reize überhaupt keineswegs diejenigen ſind, welche ich vorziehe. Unterdeß waren wir ziemlich bekannt mit einander geworden, als ſie nach Irland abreiſte, und ich ihrer nicht weiter gedachte. Vor einigen Wochen kam ſie wieder hier an, von ihrem Manne, einem Engländer, geſchieden, den ſie, excentriſch genug, nur deshalb geheirathet hatte, um mit ihm nach Helena gehen zu können, was ſpäter dennoch vereitelt ward. Ihr franzöſiſches Weſen und ihre lebhafte Unter- haltung, nebſt allen dieſen Details, zogen mich von neuem an, und ich ſah ſie noch öfter als früher. Vorige Woche trug ſie mir auf, ihr ein Billet zu ei- nem dejeuné champêtre im Garten der horticultural society zu verſchaffen, über welches Feſt auch Lady Patroneſſes geſetzt worden ſind. Als ich das Billet brachte, verlangte ſie, ich ſolle ſie begleiten. Ganz gutmüthig erwiederte ich, daß hier, wo die Geſell- ſchaft ſo kleinſtädtiſch ſey, leicht ein Gerede darüber entſtehen könne, und wir morgen vor einem Zeitungs- Artikel nicht ſicher wären, wenn wir dieſen Ort al- lein mit einander beſuchten. Statt der Antwort brach ſie in Thränen aus, und ſagte: es thue nichts, denn ihr wäre Alles ohnehin jetzt einerlei, da ſie morgen nicht mehr auf dieſer Welt ſeyn würde. — Briefe eines Verſtorbenen IV. 27

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/437
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/437>, abgerufen am 27.11.2024.