Es ist mir um so lieber, daß ich auf meiner Ab- reise von hier begriffen bin, da mir eben noch etwas eben so Unangenehmes als Unerwartetes begegnet ist, was mich in dem Augenblick mehr en vaue setzt, als mir lieb ist.
Schon einmal, glaube ich, schrieb ich Dir von ei- ner Nichte Napoleons, die ich zum erstenmal beim Herzog von Devonshire sah, wo sie sich eben sehr eifrig mit H. Brougham unterhielt, als ich ihr be- kannt gemacht wurde. Sie ist schön gewachsen, hat außerordentlich brillante Farben, Napoleons antike Nase, große ausdrucksvolle Augen, und alle franzö- sische Lebhaftigkeit, als Zugabe noch mit italiänischem Feuer gemischt. Dabei etwas Excentrisches in ihrem ganzen Wesen, was ich wohl liebe, wenn es Natur ist, obgleich ich offen bekennen muß, daß es mir hier nicht ganz frei von Absicht und Angewöhnung schien. Indessen ihr Name imponirte mir. Du kennst meine Ehrfurcht vor dem erhabnen Kaiser, jenen zweiten Prometheus, den Europa an einen Felsen jenseits der Linie schmiedete, jenen Riesen, welchen eine Mil- lion Pigmäen endlich zu ihrem Nachtheil erschlugen, weil sie nicht Kraft genug hatten, diesen mächtigen Geist zu zähmen, daß er ihnen Dienst geleistet hätte.
Hauptsächlich um von ihm zu sprechen, ging ich also fleißig zu ihr, und cultivirte die Bekanntschaft
Den 10ten.
Es iſt mir um ſo lieber, daß ich auf meiner Ab- reiſe von hier begriffen bin, da mir eben noch etwas eben ſo Unangenehmes als Unerwartetes begegnet iſt, was mich in dem Augenblick mehr en vûe ſetzt, als mir lieb iſt.
Schon einmal, glaube ich, ſchrieb ich Dir von ei- ner Nichte Napoleons, die ich zum erſtenmal beim Herzog von Devonshire ſah, wo ſie ſich eben ſehr eifrig mit H. Brougham unterhielt, als ich ihr be- kannt gemacht wurde. Sie iſt ſchön gewachſen, hat außerordentlich brillante Farben, Napoleons antike Naſe, große ausdrucksvolle Augen, und alle franzö- ſiſche Lebhaftigkeit, als Zugabe noch mit italiäniſchem Feuer gemiſcht. Dabei etwas Excentriſches in ihrem ganzen Weſen, was ich wohl liebe, wenn es Natur iſt, obgleich ich offen bekennen muß, daß es mir hier nicht ganz frei von Abſicht und Angewöhnung ſchien. Indeſſen ihr Name imponirte mir. Du kennſt meine Ehrfurcht vor dem erhabnen Kaiſer, jenen zweiten Prometheus, den Europa an einen Felſen jenſeits der Linie ſchmiedete, jenen Rieſen, welchen eine Mil- lion Pigmäen endlich zu ihrem Nachtheil erſchlugen, weil ſie nicht Kraft genug hatten, dieſen mächtigen Geiſt zu zähmen, daß er ihnen Dienſt geleiſtet hätte.
Hauptſächlich um von ihm zu ſprechen, ging ich alſo fleißig zu ihr, und cultivirte die Bekanntſchaft
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0436"n="416"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 10ten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Es iſt mir um ſo lieber, daß ich auf meiner Ab-<lb/>
reiſe von hier begriffen bin, da mir eben noch etwas<lb/>
eben ſo Unangenehmes als Unerwartetes begegnet iſt,<lb/>
was mich in dem Augenblick mehr <hirendition="#aq">en vûe</hi>ſetzt, als<lb/>
mir lieb iſt.</p><lb/><p>Schon einmal, glaube ich, ſchrieb ich Dir von ei-<lb/>
ner Nichte Napoleons, die ich zum erſtenmal beim<lb/>
Herzog von Devonshire ſah, wo ſie ſich eben ſehr<lb/>
eifrig mit H. Brougham unterhielt, als ich ihr be-<lb/>
kannt gemacht wurde. Sie iſt ſchön gewachſen, hat<lb/>
außerordentlich brillante Farben, Napoleons antike<lb/>
Naſe, große ausdrucksvolle Augen, und alle franzö-<lb/>ſiſche Lebhaftigkeit, als Zugabe noch mit italiäniſchem<lb/>
Feuer gemiſcht. Dabei etwas Excentriſches in ihrem<lb/>
ganzen Weſen, was ich wohl liebe, wenn es Natur<lb/>
iſt, obgleich ich offen bekennen muß, daß es mir hier<lb/>
nicht ganz frei von Abſicht und Angewöhnung ſchien.<lb/>
Indeſſen ihr Name imponirte mir. Du kennſt meine<lb/>
Ehrfurcht vor dem erhabnen Kaiſer, jenen zweiten<lb/>
Prometheus, den Europa an einen Felſen jenſeits<lb/>
der Linie ſchmiedete, jenen Rieſen, welchen eine Mil-<lb/>
lion Pigmäen endlich zu ihrem Nachtheil erſchlugen,<lb/><hirendition="#g">weil ſie nicht Kraft genug hatten, dieſen<lb/>
mächtigen Geiſt zu zähmen, daß er ihnen<lb/>
Dienſt geleiſtet hätte</hi>.</p><lb/><p>Hauptſächlich um von ihm zu ſprechen, ging ich<lb/>
alſo fleißig zu ihr, und cultivirte die Bekanntſchaft<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[416/0436]
Den 10ten.
Es iſt mir um ſo lieber, daß ich auf meiner Ab-
reiſe von hier begriffen bin, da mir eben noch etwas
eben ſo Unangenehmes als Unerwartetes begegnet iſt,
was mich in dem Augenblick mehr en vûe ſetzt, als
mir lieb iſt.
Schon einmal, glaube ich, ſchrieb ich Dir von ei-
ner Nichte Napoleons, die ich zum erſtenmal beim
Herzog von Devonshire ſah, wo ſie ſich eben ſehr
eifrig mit H. Brougham unterhielt, als ich ihr be-
kannt gemacht wurde. Sie iſt ſchön gewachſen, hat
außerordentlich brillante Farben, Napoleons antike
Naſe, große ausdrucksvolle Augen, und alle franzö-
ſiſche Lebhaftigkeit, als Zugabe noch mit italiäniſchem
Feuer gemiſcht. Dabei etwas Excentriſches in ihrem
ganzen Weſen, was ich wohl liebe, wenn es Natur
iſt, obgleich ich offen bekennen muß, daß es mir hier
nicht ganz frei von Abſicht und Angewöhnung ſchien.
Indeſſen ihr Name imponirte mir. Du kennſt meine
Ehrfurcht vor dem erhabnen Kaiſer, jenen zweiten
Prometheus, den Europa an einen Felſen jenſeits
der Linie ſchmiedete, jenen Rieſen, welchen eine Mil-
lion Pigmäen endlich zu ihrem Nachtheil erſchlugen,
weil ſie nicht Kraft genug hatten, dieſen
mächtigen Geiſt zu zähmen, daß er ihnen
Dienſt geleiſtet hätte.
Hauptſächlich um von ihm zu ſprechen, ging ich
alſo fleißig zu ihr, und cultivirte die Bekanntſchaft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/436>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.